Strategieblog

Digitale Transformation.

Wie sich Unternehmenskultur und Leadership verändern müssen, damit der „Change at its worst“ gelingt. Von Birka Friedrich, Seniorberatung Change Management & Interne Kommunikation (J+K Hamburg)

 

Die Digitalisierung ist komplexer und herausfordernder als jeder Wandel, den ein Unternehmen bisher vollzogen hat. Es ist eine Transformation in eine Organisation, von der auch die Unternehmensführung nicht weiß, wie sie morgen und übermorgen aussehen wird. Versprechen darüber, was man in ein paar Jahren erreicht haben wird, werden unglaubwürdig. Die sich dynamisch entwickelnden Technologien und Geschäftsmodelle lassen sich nicht in traditioneller Marketing-Manier via Marktforschung bei 1.000 Testkunden ausprobieren. Die digitale Transformation passiert in der Arbeitswelt live und ist für alle Beteiligten wie eine Operation am offenen Herzen.

Change Manager, Personaler wie Kommunikatoren stehen vor einem gravierenden Problem: Die digitale Transformation lässt nicht entlang vorab definierbarer Prozesse für vorab definierbare Zielorganisationen und Ziel-Unternehmenskulturen planen und realisieren. Was bleibt, künftig aber an immenser Bedeutung gewinnt, ist der Faktor Mensch. Es gilt, Führungskräfte und Mitarbeiter als Schlüssel einer erfolgreichen Digitalisierung zu erkennen und ihnen entsprechend gerecht zu werden. Dann wird es gelingen, in der Unternehmenskultur und im Leadership elementare Charakteristika in einer Qualität auszuprägen, aus der heraus eine Digitalisierung erfolgreich erwachsen kann.

 

„Digitale“ Unternehmenskultur

Damit Innovation stattfinden und diese überhaupt in Disruption münden kann, braucht es eine Unternehmenskultur, die Erneuerung zulässt, fordert und fördert. Eine Kultur, in der Unternehmergeist und Kreativität nicht nur willkommen sind, sondern zum erklärten Maßstab der Mitarbeiterkompetenzen werden. Es braucht eine tiefgreifende Fehler- und Feedbackkultur. Weitere bisherige Zusatzkompetenzen und „nice-to-have“-Werte wie Mut und Selbstreflektion werden unverzichtbar.

Die Notwendigkeit zur äußeren Vernetzung, Kollaboration und Partizipation – ein wesentlicher Baustein und Treiber in der Digitalisierung – bleibt ohne die Fähigkeit und Bereitschaft, dies konsequent über alle Hierarchien hinweg einzulösen, nichts als ein heerer Wunsch.

Bisherige Grenzen und Gräben im Unternehmen sind aufzulösen. Dieses ist keine Frage von einem diffusen abteilungs-, bereichs- oder standortübergreifenden Wir-Gefühl und eines guten, teamorientierten Betriebsklimas. Erfolgreiche Digitalisierung verlangt das Neuzusammenbinden von Strukturen, Prozessen und Geschäftsmodellen – und zwar nicht einmal, sondern mehrfach, je nach Bedarf immer wieder. Nur wenn Aufbau- und Ablauforganisation darauf bewusst ausgerichtet werden, wird die Unternehmenskultur den Grad von Agilität ausprägen und erlauben, den die Digitalisierung benötigt.

 

„Digitales“ Leadership

Während Agilität faktische Flexibilität benötigt, erfordert die im Zuge der Digitalisierung eben so viel beschworene, unabdingbare Resilienz enorme soziale und emotionale Stabilität von Beziehungen zwischen Management und Mitarbeitern. Nur dann wird die neue Unsicherheit über die Zukunft zum Alltag und akzeptiert. Nur dann entsteht daraus keine Verunsicherung. Hieran zeigt sich für ein Unternehmen der enorme Wert der guten Beziehungen zu seinen internen Stakeholdern und wie wertschöpfend es ist, dieses Beziehungskapital stetig und sorgfältig zu pflegen.

Die Führungskraft muss für die Etablierung zukunftsfähiger Beziehungen ihre Rolle neu definieren, Haltung und Verhalten wandeln: Denn Dienen ist das neue Führen. Die Führungskompetenz zeigt sich nunmehr darin, einem Team von Spezialisten alle Freiheiten und das Vertrauen zu geben. Für viele Führungskräfte, die sich bisher als „Fach-Vorgesetzte“ sahen und die künftig die Expertise ihrer Mitarbeiter nicht mehr verstehen werden, wird darin ein gewaltiger Entwicklungsschritt bestehen.

Dass das Top-Management als Vorbild hingegen eine Renaissance erfährt, ist kein Widerspruch. Weil die Erfordernis zur Sinnstiftung im Zuge von Digitalisierung eine neue Dimension erlangt. Und zwar keine über Ziel- bzw. Leitbilder. Denn die digitale Transformation verändert auch Orientierungsmuster. Es geht um Visionen, um Haltungsfragen und um Transparenz. Mitarbeitermotivation für digitalen Wandel gelingt nur durch aktives Vorangehen und Inspiration für eine übergeordnete Vision. Ab sofort muss dafür keiner mehr zum Arzt. Im Weiteren kann es für den ergebnisoffenen Prozess, der mit der Digitalisierung einhergeht, nur noch Handlungsleitlinien geben. Essentials und Prozessziele können Wege weisen und die Chance auf das Commitment der Mitarbeiter von morgen – die Digital Natives, Millenials, Generation Ys und Zs – eröffnen.

Somit sind Change Management, Unternehmenskommunikation und Human Resources wie schon lange nicht mehr gemeinschaftlich gefordert: Hand in Hand müssen sie das Unternehmen und alle handelnden Akteure für diese herausragenden Herausforderungen befähigen und nachhaltig unterstützen.

Birka Friedrich ist zu erreichen unter b.friedrich@jk-kom.de.

Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft von Volkswagen werden auf Stakeholderebene entschieden“ – Teil II

Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober

In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ vom 22. Oktober im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen. Am 3. November beantwortete Szyszka die ersten beiden von fünf Fragen, die „PR-Journal“-Autor Wolfgang Griepentrog an den Hannoveraner Professor gerichtet hat. Heute folgt der zweite Teil der Antworten.

Wolfgang Griepentrog: Der Automobilkunde kauft bei VW oder bei einer anderen Marke des Konzerns; der Konzern und seine Problem sind dem Kunden erfahrungsgemäß egal. Das Leistungsversprechen wird primär am Produkt festgemacht, weniger an der Einhaltung konzernweiter Prinzipien. Ethische und ökologische Aspekte sind Kunden zwar wichtig, aber nicht unbedingt kaufentscheidend. Warum also soll sich der Konzern um seinen „USP“ kümmern? Muss nicht primär die Produktmarke VW neu erfunden werden? Und wie würden Sie überhaupt das Verhältnis zwischen der Konzernmarke „Volkswagen“ und der Produktmarke „Volkswagen“ sowie den anderen Töchtern beschreiben?

Peter Szyszka: Das sind gleich mehrere Fragen auf einmal. Zunächst muss, wenn es um den Konzern geht, zunächst das Prinzip Verantwortung gelten. Markenübergreifenden Themen wie Baugruppen oder eben Motoren sind Teile der Konzernverantwortung. Der Konzern macht Vorgaben, die Ingenieure einzelner Marken entwickeln, aber nicht für eine Marke, sondern entlang der Konzernvorgaben. Hier braucht es eine von außen klare Verantwortungsstruktur. Zweitens geht es um die Zukunft des klassischen Verbrennungsmotors. Wie kaum ein anderer Konzern – ausgenommen Ford – kann Volkswagen damit prahlen, ein entscheidender Wegbereiter moderner Massenmobilität gewesen zu sein. Hierfür stehen Käfer und Golf. Von hieraus sind die zentralen, plattformgebundenen Marken VW, Audi, Skoda und Seat zu interpretieren, die – jede auf ihre Weise – Teile des Massenmarktes bedienen. Die Zukunft des Verbrennungsmotors kann nur verbrauchsarm, umweltschonend und leistungsfähig und zwar in dieser Reihenfolge. Nur so können Massenautos auf Dauer aus ökonomischer wie ökologischer Perspektive für Kunden attraktiv sein. Unter diesem Dach diversifizieren die Marken. Die Produktmarke „Volkswagen. Das Auto“ muss nicht neu erfunden werden. Nur muss klar sein, wofür sie steht: für die Marke Volkswagen mit ihrer Tradition und dem mobilitätsbezogenen Leistungsversprechen.

Wolfgang Griepentrog: Wie können Automarken im deutschen Auto-Markt eigentlich den Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit schaffen und gegenüber den Kunden auch glaubwürdig vermitteln? Und wie kann ein international aufgestellter Konzern diesen Spagat auch in Regionen schaffen, in denen andere Kaufmotive gelten? Was ist hier am meisten gefragt: Kluge Markenstrategien, spezielle Unternehmensprinzipien oder ein Management, das alle möglichen Konflikte im Blick hat?

Peter Szyszka: Ich glaube, man sollte fragen, wie sie dies in der Vergangenheit gemacht haben, warum dies so war, und weiter, wie erfolgversprechend dieser Weg in Zukunft sein kann. Wenn man die mittlerweile sieben Golf-Generationen nebeneinander stellt, kann man sehen, wie dieses Auto immer größer, immer aufwendiger und immer teurer geworden ist. Dafür kamen von ‚unten‘ kleinere Baureihen nach, die dann auch wieder gewachsen sind. Für den Konzern ist dies attraktiv, weil mit steigenden PS-Zahlen und zunehmend verkauften Zusatznutzen auch Erträge und Gewinne steigen. Dass es so sein muss, wird dann von Marketingstrategen suggeriert. Dies gilt meines Erachtens für die gesamte deutsche Autobranche und ist eine Spirale, die sich nicht ins Unendliche weiterdrehen lässt. Im Gegenteil: Das Größenwachstum von Autos scheint mir in jeder Hinsicht begrenzt und lässt sich in absehbarer Zeit auch nicht mehr mit ausgetüfftelten Finanzierungsmodellen auffangen. Den Mut, hier den Hebel umzuwerfen und mit einfacheren, kostengünstigeren Autos in eine andere Richtung zu gehen, in der aus dem Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit ein Konglomerat wird, könnte eine Lösung sein. Dies mag im Moment wie eine Illusion klingen, aber die Frage, mit welcher Art von Autos Volkswagen in der mobilen Welt von morgen, z.B. am eigenen 100. Geburtstag erfolgreich sein kann, lässt in meinen Augen nur eine Antwort zu: so wie zuletzt jedenfalls nicht. Kernkompetenz und Markenkern ist die Mobilität. Sie müsste wieder im Zentrum stehen. Natürlich ist mir klar, dass es ein schwieriger Prozess wäre, denn die Modellpaletten sind da, der Konzern muss weiterleben und die Entwicklung neuer Modelle und Baureihen braucht seine Zeit. Deswegen könnte sich Veränderung vermutlich nicht radikal, sondern nur sukzessive vollziehen.

Wolfgang Griepentrog: Unternehmen, die eine Spitzenposition erklommen haben, sind besonders gefährdet und verwundbar. Schon weil es viel schwerer ist, an der Spitze zu bleiben und weiter zu wachsen als sich von geringerem Niveau aus zu entwickeln. Reputationsschäden sind deswegen besonders gravierend und für das Unternehmen schmerzhaft. Verantwortungsbewusstes Management sollte also darauf ausgerichtet sein, den Konzern mit seinen Marken nicht nur erfolgreich, sondern auch widerstandsfähig („resilient“) zu machen. Wie könnte eine „resiliente“ Unternehmens- und Markenführung bei Volkswagen aussehen?

Peter Szyszka: Sind Größe und Spitzenposition in einer ‚Weltrangliste‘ der Automobilverkäufe und Unternehmenserträge tatsächlich brauchbare Indikatoren für Erfolg, Resilienz und Zukunftsfähigkeit? Und war es nicht eine Gier, Toyota als Spitzenreiter ablösen zu wollen? Ist es daher nicht eine Ironie des Schicksals, dass die Krise genau zu dem Zeitpunkt ausbricht, als dieser Punkt erreicht wurde? Aber vielleicht kommt diese Krise genau zum richtigen Zeitpunkt, um einen Prozess einzuleiten, der gerade beim Volkswagenkonzern schwieriger einzuleiten gewesen wäre. Ich meine Industrie 4.0. Diese wird die Struktur des Volkswagenkonzerns und seiner Markentöchter gravierend verändern. Wie viele Menschen werden in 10, 15 Jahren bei VW in Wolfsburg arbeiten? Zwei Drittel, die Hälfte? Dabei wird es – zumindest aus heutiger Perspektive – weiter um den Bau von Autos gehen. Der Konzern muss sich allerdings entscheiden, welche Art von Autos diese Zukunft sichern soll und wie diese als imagemäßig diversifizierte Marken geführt werden könnten. Jene Marken, die nichts anderes sind als soziale Konstrukte, die ein Absender zwar beliebig stilisieren kann, diese aber erst durch Markenakzeptanz in Markt und Öffentlichkeit Wirkungen erzielen. Dies setzt voraus, dass der Konzern die Befindlichkeit von Markt und Marktumfeldern, den Resonanzräumen von Markenimages und deren kritische Akzeptanzfaktoren, bestens kennt. Hier muss meines Erachtens künftige Markenpolitik und -führung ansetzen.

Wolfgang Griepentrog: Vielen Dank, Herr Szyszka, für die ausführlichen Antworten.

Peter Szyszka: Gerne! Gestatten Sie mir aber bitte noch eine Schlussbemerkung. – Kurt Lotz, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG von 1968 bis 1971, hat in seinen „Lebenserinnerungen“ 1978 geschrieben, „dass die Öffentlichkeitsarbeit bei VW unter dem Aspekt planerischer Aktionen zu meiner Zeit nicht den Ansprüchen genügte, muss ich nachträglich gestehen.“ Er fügte hinzu, dass für ein Unternehmen schon damals „Öffentlichkeitsarbeit zu einem entscheidenden Faktor neben Forschung, Produktion und Absatz“ werden müsse und zwar nicht im Sinne von Produktwerbung, sondern von managementbezogener integrierter Kommunikation. Ein bis heute offensichtlich ungelöstes Volkswagen-Problem, das heute schlicht „Stakeholder-Management“ heißen müsste. Hier den Hebel umzuwerfen, führt zum VW-Kulturproblem zurück.

Interview im PR Journal

Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden“

Gastbeitrag: Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober

In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen.

Wolfgang Griepentrog: Ihren Beitrag beginnen Sie mit der provokanten Frage, ob Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen könne. Doch sind die Kunden wirklich daran interessiert? Ist es nicht vielmehr so, dass wenn Kunden mit einer Dienstleistung oder einem Produkt eigentlich zufrieden sind, eine solche Krise erfahrungsgemäß (siehe ADAC) auch rasch wieder vorbei ist? Jüngste, gute Verkaufszahlen nach Bekanntwerden des Skandals scheinen das doch zu belegen.

Peter Szyszka: Ich denke, man muss das Ganze differenzierter und nicht nur aus Kundenperspektive betrachten. Zunächst einmal halte ich es für gefährlich, mit aktuellen Verkaufszahlen zu argumentieren oder sich in Sicherheit zu wiegen. Autos sind imagesensible Produkte, bei denen sich Veränderungen nicht über Nacht, sondern mittel- und langfristig vollziehen, und es gibt kein Club-Modell wie beim ADAC, wo man auf die Trägheit der Masse setzen kann. Hier geht es immer wieder um neue Kaufentscheidungen, bei denen nicht nur der Grundnutzen Moblität, sondern auch Zusatznutzen bezahlt wird und dazu hören Image und Status. An Ford und Opel kann man das als Negativgeschichten genauso nachvollziehen wie an den Erfolgsgeschichten von VW und Audi. Es geht aber nicht allein um den Prozess des Wirtschaftens, also Beschaffung, Produktion und Absatz, es geht auch um die Bedingungen des Wirtschaftens, die Volkswagen künftig in Deutschland, den USA und anderswo auf der Welt vorfinden wird. Dort wird man – wie bei jedem Vertrauensbruch – zunächst einmal genauer hinschauen, was schon von der Sache her Handlungsspielräume enger absteckt. Zwar ist der Vertrauensbruch in der Beziehungsgeschichte zu den Stakeholdern nur eine Episode, aber sie ist nun mal Teil dieser Geschichte, mit deren Folgen man sich klugerweise in allen wesentlichen Beziehungssträngen substanziell auseinandersetzen und nach den kritischen Akzeptanzfaktoren fahnden sollte. Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden.

Griepentrog: Der Titel des Dramas von Volkswagen und seinem ehemaligen CEO Martin Winterkorn könnte lauten „Aufstieg und Niedergang einer Kultfigur der deutschen Wirtschaft“. Die Geschichte ist nicht neu und auch die Motive – Sie schreiben von „Ignoranz“, „Selbstüberschätzung“ – sind altbekannt. Können wir die Krise bei Volkswagen aber wirklich an einer Person bzw. einem kleinen Personenkreis festmachen oder liegt die Wurzel doch tiefer, etwa in spezifischen markenstrategischen Widersprüchen? Was hat VW wirklich falsch gemacht? Und wie können wir solche Entwicklungen verhindern?

Szyszka: Das an einzelnen Personen festzumachen, ist sicher falsch; es geht um die gewachsene Kultur im Umgang mit Entscheidungen und Problemen. Es geht um den Habitus des Unternehmens, die Art und Weise, wie Umfeld und Wirklichkeit wahrgenommen, welche Informationen wie verarbeitet, wie Entscheidungen zustande kommen und wie diese kommuniziert und exekutiert werden. Es geht um eingefahrene Routine im Umgang mit Problemen und um den Umgang mit Herausforderungen. Hier haben sich Muster herausgeprägt, deren Zukunftsfähigkeit jetzt zur Disposition steht. Es kann – zugespitzt formuliert – nicht sein, dass ein Spaltmaß wichtiger ist als die rechtzeitige Information eines Hauptanteilseigners wie dem Land Niedersachsen, zudem auch noch ein besonderes Verhältnis besteht. Da funktioniert das System nicht. Martin Winterkorn war für mich im Übrigen nie eine Kultfigur. Dazu fehlte ihm das Charisma, um über die gewachsene Unternehmenskultur hinaus echte eigene Akzente zu setzen – wobei ich mich fairerweise nur auf das stützen kann, was ich über die Jahre in den Medien verfolgt habe.

Ein anderes Problem ist im Konzern offensichtlich bereits erkannt worden: die bislang fehlende Trennung von Holding und Marke Volkswagen, die nun vorgenommen wird. Volkswagen war Marke und Konzern zugleich. Ob der Claim „Volkswagen. Das Auto“ bewusst strategisch über die Marke hinausreichen und für das gesamte Kerngeschäft „Mobilität“ suggerieren sollte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Problem ist sicher die Plattformstrategie, die ich als ein Holding-Geschäft verstehe, das von dort zu verantworten ist. Wenn, wie in den Medien dargestellt, eine Motorenlösung zu einem bestimmten Preis eingefordert wurde, wie beim EA 189, diese dann aber technisch nicht zu dem Preis, sondern nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erbracht wurde, dann stellt sich die Frage, wie kompetent der Volkswagen-Konzern tatsächlich bei der Frage moderner Mobiltätskonzepte ist. Ich denke, was wir in absehbarer Zukunft erleben werden, ist der „Bus-Unfall-Effekt“: Nach einem gravierenden Negativ-Ereignis werden viele kleinere Mängel und Probleme mit eigentlich geringem Nachrichtenwert in Medien und öffentlicher Meinung mit ‚dem‘ Fall in Beziehung gesetzt nach dem Motto: Siehst Du, so gut, wie wir immer gemeint haben, sind die eben doch nicht. Das mag nach Lebensweisheit klingen, dahinter lauert aber ein Imageproblem. Helfen kann da meines Erachtens nur, dass man sich künftig in Konzern und Marken strategisch-antizipativ mit den Folgen unternehmens- wie markenpolitischer Entscheidungen auseinandersetzt, dies in Entscheidungsprozessen und Auftritten mitdenkt und funktionale Transparenz schafft. Unternehmenskommunikation und Stakeholder-Management gehören dazu unmittelbar zusammen.

Über die beiden Interviewpartner: Dr. Peter Szyszka ist Professor für Organisationskommunikation und Public Relations an der Hochschule Hannover (HsH) und Leiter der Forschungsgruppe Beziehungskapital. Wolfgang Griepentrog ist Interim Manager und Kommunikationsberater. In seinem Blog „Glaubwürdig kommunizieren“ gibt er Impulse für effizientes Kommunikationsmanagement. Regelmäßig veröffentlicht er seine pointierten Marktreflexionen im „PR-Journal“.

Interview im PR-Journal

Volkswagen nach dem Vertrauensverlust: Beziehungskapital muss wieder aufgebaut werden

Gastbeitrag von Peter Szyszka:

Wie kann Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen? Oder radikaler: Kann Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen? Diese Fragen stellen sich nicht erst nach Bekanntwerden des GPRA-Vertrauensindex. Man mag zu derartigen Indexwerten stehen wie man will: Wenn sich ein Indexwert wie im vorliegenden Fall quasi halbiert hat, fordert dies zum Nachdenken heraus. Spannend ist die Frage, ob oder in wieweit es dabei um Kommunikation geht. Unternehmenskommunikation kann immer nur so gut sein wie das ihr übertragene Mandat und der Umgang hiermit. Ein Seismograph, der mit Weitblick auch kritische Meinungen in Markt und Gesellschaft herausfiltert, der Entscheidungen und Ereignisse auf deren Folgen in öffentlicher Kommunikation und Meinungsbildung hinterfragt, der Problemhorizonte nicht nur aufspürt, sondern auch auf deren unternehmenspolitische Bewältigung Einfluss nimmt, ist der eher bürokratische VW-Kommunikationsapparat jedenfalls offensichtlich nicht gewesen. Wenn sich Kommunikationsleistungen auf das Verkünden guter oder schlechter Nachrichten beschränken, dann wäre das „very old school“.

Dieses Problem, so es denn eines ist, ist im Kontext des sogenannten „Abgas-Skandal“ bei näherer Betrachtung genauso zweitrangig wie die Diskussion um eine autoritäre Führungskultur – von Insidern als „Geist von Piech“ bezeichnet –, die ein modernes Verständnis von Unternehmenskommunikation verhindert haben könnte. Im Unverständnis des Martin Winterkorn, der offensichtlich aus seinen Ämtern beim Volkswagen-Konzern und der Porsche SE gedrängt werden musste, spiegeln sich Überheblichkeit von Konzern und Köpfen gegenüber Markt und Gesellschaft und Unsensibilität bis Ignoranz im Umgang mit Öffentlichkeit und Meinungsbildung.

Eine tiefer gehende Frage lautet nämlich: Auf welchen Erwartungen basierte das Bild, das bis dahin vom Volkswagen-Konzern als Unternehmens- und Markenpersönlichkeiten in Markt und Gesellschaft bestand? Welches Persönlichkeitsprofil und welche Authentizitätsmerkmale lagen Vertrauen, Image, Reputation, Sympathie und Attraktivität zugrunde, die dem Konzern und seinen Marken entgegengebracht wurde und ihn erfolgreich machte? Volkswagen stand für mehr als „Made in Germany“, Volkswagen stand für moderne Massenmobilität. Wie anders ließe sich der bewusst gewählte Markenclaim „Volkswagen. Das Auto“ deuten? Der gleichzeitig für Audi etablierte Markenclaim „Fortschritt durch Technik“ ließ sich als Synonym für die Zukunftsorientierung des Konzerns lesen: 13 Audi-Siege bei den 24 Stunden von Le Mans in 15 Jahren plus ein Bentley-Sieg sind hier ein Pfund: Der Konzern als Wegbereiter neuer automobiler Wege.

Aber denkt sich Mobilität in Attributen derartiger Höchstleistungen oder geht es beim Kernimage nicht eher um alltagstaugliche Energieeffizienz? Der Konzern war einmal auf diesem Weg. Jedenfalls schien es so, denn Anfang der 2000er-Jahre gab es im Konzern das 3-Liter-Auto – Verbrauch wohlgemerkt und nicht Hubraum. Im Alltag bewährt, sind die Modelle Audi A2 1.2 3L TDI und VW Lupo 3L TDI ohne Nachfolger in die Automobilgeschichte eingegangen. Am Markt erfolgreich waren beide nicht, schon weil sie das Konzern-Marketing als Stiefkinder behandelte, die nicht zur Flotte passten.

Und dann war da noch das 1-Liter-Auto, als Prototyp seit 2002 immer wieder medienwirksam in Szene gesetzt: Ein Marketing-Gag vielleicht, verbunden mit der Suggestion, dies sei Volkswagens Weg der Zukunft von Massenmobilität und Verbrennungsmotor. Tatsächlich wuchsen auch bei Volkswagen, wie überall, die Autos und mit ihnen ihre PS-Leistungen. Verbrauchwerte wurden schön geprüft, ohne dass man dafür großen öffentlichen Widerspruch erntete: eine automobile Schweigespirale? Der Abgas-Skandal könnte dies alles nun ändern.

Was dies alles mit Kommunikation zu tun hat? Systemtheoretisch und auch praktisch betrachtet sehr viel, denn es geht hier um mehr als nur ums Kommunizieren. Die Beziehungen zwischen Volkswagen und seinen verschiedenen Stakeholdern, von Mitarbeitern und Kunden, Markt und Marktumfeld über Kapitalgeber, Politik usw. haben gelitten. Sie bestehen aus nichts anderem als Kommunikationen, aus Sachverhalten und Ereignissen, die sich Episode für Episode aneinander reihen. In diesen Beziehungsgeschichten gerinnen Erfahrungen zu Erwartungen, an denen Volkswagen immer gemessen wurde und auch nun gemessen wird. In ihnen ist das Beziehungskapital hinterlegt, jenes Unterstützungskapital der verschiedenen Stakeholder, von denen der Volkswagen-Konzern in der Vergangenheit gut gelebt hat. Vertrauensverluste, das sind enttäuschte Erwartungen, Irritationen und mehr, ein angeschlagenes Image, rückläufige Sympathie und Wertschätzung, nachlassende Attraktivität und mehr. Unterstützungskapital steht in Meinungen, Einstellung, Haltungen und letztlich der Akzeptanz von Konzern, Unternehmenspolitik und Konzern-Produkten. Wer ist eigentlich Volkswagen? Wo der Konzern herkommt, ist bekannt, wofür er aber steht, ist infrage gestellt.

Damit wird ein grundsätzliches Problem deutlich: Volkswagen muss sich erklären, muss eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein soll – ein Elektro-Phaeton, wie nun angekündigt, leistet dies definitiv nicht. Deutlich wird daran auch die Rolle moderner Unternehmensberatung rund um Kommunikation: Es geht um die Auseinandersetzung mit den kommunikationspolitischen Konsequenzen unternehmenspolitischer Entscheidungen, um die Gestaltung erfolgversprechender Unternehmenspolitik und das dafür notwendige Beziehungskapital und schließlich um Kommunikationsleistungen mit deren Hilfe gezielt versucht wird, dieses Beziehungskapital im erforderlichen Maße aufzubauen und zu befestigen. Auch vor eben dieser Aufgabe steht der Volkswagen-Konzern.

Artikel von Peter Szyszka im PR-Journal

Roland Berger Communications: Ein neuer Anlauf

Es ist nicht das erste Mal. Erneut unternimmt Roland Berger einen aufwendigen Anlauf, um in den Markt der Kommunikationsberatungen zu kommen und sich dort zu etablieren. Vorherige Anläufe scheiterten. Diesmal soll der erfahrene Torsten Oltmanns sicherstellen, dass der Anlauf klappt. Aber warum sollte diesmal gelingen, was früher nicht gelang.

Für Roland Berger Communications spricht, dass sie erkannt haben, dass der Kommunikationsmarkt viel diverser ist, als viele sich das wünschen. Die Zahl ausgewiesener Unternehmensberatungen für Kommunikation ist klein, aber klar differenziert von den zahllosen Agenturen im Markt. Wer sich in beiden Teilmärkten bewegen will, braucht ausgewiesene Geschäfts- und Strukturmodelle, die unterschiedliche Mitarbeiter, unterschiedliche Beratungsansätze und unterschiedliche Pricings zu integrieren erlauben. Die Erklärung Roland Bergers, man kooperiere hier mit vielen Agenturen des Kunden, mag da etwas kurz greifen.

Ebenso wichtig für jede Unternehmensberatung ist aber ein eigener, differenzierender Beratungsansatz. Roland Berger stellt dabei offenkundig den CEO ins Zentrum. „Our new Executive Communications practice supports CEOs and their communications departments in better communicating their corporate goals and more efficiently achieving them. Just how important this has become in today’s world is illustrated by this figure: four out of five top managers fail not because of their performance but because of their perception – the impression they make on shareholders and stakeholders.” Das erinnert ein wenig an den nicht besonders erfolgreichen Versuch vor rund 10 Jahren, mit dem Beratungsansatz des CEO als Marke durchzustarten. Am Ende sind die immer kürzeren Amtszeiten aber viel zu volatil, um eine Organisation an einer Person auszurichten. Die mit PR-Preisen gefeierten, aber am Ende für dramatisch gescheiterten Versuche der Deutschen Bank stehen hierfür beispielhaft.

Aus Sicht von Roland Berger und dem vorhandenen Netzwerk macht es natürlich Sinn, den CEO ins Zentrum zu stellen. Genau diese Aussage lässt nun manchen PR-Geschäftsführer nervös werden, denn in solchen Konstellationen wird aus der PR-Industrie, wie sie sich bisher verstand, immer mehr die reine Werkbank. Was ein ehrenvoller, aber margenenger Job ist.

Unternehmensberatungen dagegen schauen vielmehr auf Strukturen und Prozesse, auf die Optimierung von Geschäftsmodellen und auf die Wege des Wirtschaftens eines Unternehmens, die in der Kommunikation das eigentliche Spannungsfeld ausmachen. Kommunikation als Management der Umfeld- und Umweltbedingungen des Wirtschaftens, die Beziehungsarbeit mit allen relevanten Stakeholdern, muss es schaffen, möglicherweise existierende Spannungen zu einzelnen Stakeholdern frühzeitig zu erkennen und mittels Kommunikation zu bearbeiten. Hier ist es spannend zu beobachten, wie ein vergleichsweise kleines Kompetenzzentrum bei Roland Berger gegen die umsatzmächtige Unternehmensberatung beim Kunden ankommt und ein Gleichgewicht zwischen den Beratungen erreicht.

Dem Markt wäre der Erfolg von Roland Berger Communicatios zu wünschen, wertet eine solche Konkurrenz den Markt als solches doch auf.

Von entwaffnender Klarheit

Das hat gesessen. Viele regten sich auf über DAS Interview der Woche. Nein, nicht das Sommerinterview der Bundeskanzlerin. Gemeint ist Sir Martin Sorrell, Chef und Alleinherrscher der globalen Agenturholding Nr. 1 WPP. Keine Frage, viele deutsche Agenturchefs träumen von vier Seiten im Handelsblatt mit einem ganzseitigen Portraitfoto. Und so manche Reaktion wird der Eifersucht geschuldet sein, dass das Handelsblatt lieber den „Sir“ fragt, als einen Deutschen.

Dabei ist das Interview von entwaffnender Klarheit. Sorrell, der mit 60 Mio. Euro vermutlich einer der am besten verdienenden CEOs der Welt ist, hält wenig von moralischen oder ethischen Kategorien. Er habe nur verdient, was vereinbart wurde. Und 10% des Einkommens seien fix, der Rest variabel. So begründet er seine harte Haltung gegenüber den Shareholdern der WPP, die gerne einen Deckel in die Bezahlung eingezogen hätten, dann aber vermutlich aus Sorge vor Sorrells vorzeitigen Abgang eingeknickt sind. Stattdessen stilisiert sich Sorrell zum Helden einer Sache, die von übergeordneter ethischer Dimension ist: „WPP ist keine Sache auf Leben und Tod – es ist viel wichtiger“. Narzissmus pur.

Für die WPP-Kunden werden drei Botschaften von großem Interesse sein: Die Marge sei in allen Disziplinen und Agenturen der WPP gleich hoch. Es gebe keine besonders hohen Margen im Bereich der Media. Das Datenanalysegeschäft von Kantar hebt er auf die gleiche Bedeutungsebene wie das Mediageschäft. Und schließlich würden dank der Online-Plattform Xaxis bei WPP alle (sic!) Mediadeals online und transparent für die Kunden abgewickelt. Letzteres widerspricht offenkundig den Erfahrungen vieler Kunden. Überhaupt das Mediageschäft: 2014 wäre es fast zum Mega-Merger der Branche gekommen, zwischen Omnicom und Publicis. Die Begründung für den Sinn dieser Tankerhochzeit las sich wie eine Offenbarung: Je größer, um so bessere Mediageschäfte ließen sich machen. Nicht beraterische, nicht kreative Herausforderungen und auch nicht die spezifischen Anforderungen globaler Kunden, sondern das Mediageschäft mit seinen hohen Margen und verdeckten Zusatzmargen, den teilweise non-compliance Geschäft, ist der eigentlich spannende Markt für globale Agenturgruppen.

Kein Wunder: Hier ist ihnen in den letzten Jahren die Schaffung kartellartiger Konstellationen gelungen. So hat Group M von WPP allein 40% globalen Markanteil. Mit einem Omnicom/Publicis-Merger hätten zwei Agenturgruppen den Markt weltweit dominiert. Umso interessanter, dass Sorrell das Datenanalyse-Geschäft in einem Atemzug mit der Mediabranche nennt. Hier wächst von vielen unbemerkt offenbar ein zweites strategisches Geschäftsfeld globaler Agenturen heran. Man darf gespannt sein.

Cryan heißt die Chance für den Neuanfang bei der Deutschen Bank

Zu beneiden ist John Cryan nicht, wenn er am 1. Juli das Zepter bei der Deutschen Bank übernimmt. Er tritt ein schweres Erbe an. Aber er kann Hoffnung verbreiten. Als faktisch von außen kommender Vorstandschef kann er auf eine unvoreingenommene Wahrnehmung der Stakeholder hoffen.

Denn er ist nicht von der Führungskultur der Deutschen Bank geprägt worden. Er steht daher auch nicht für die rechtlichen und regulatorischen Risiken der Vergangenheit, auch wenn er diese nun lösen muss.

John Cryan muss aber nicht nur diese rechtlichen und regulatorischen Risiken lösen, um die damit verbundenen bilanziellen Probleme und Rückstellungen zu lösen, auch wird Cryan nicht nur an den Bilanzwerten und -risiken Hand anlegen müssen.

Mindestens ebenso wichtig ist die Steigerung des Beziehungskapitals. Selten konnte man es so deutlich vorrechnen wie am Tag der Hauptversammlung der Deutschen Bank. Während die Stakeholder und Shareholder dem Vorstandsduo die Leviten lasen und die Zerrüttung ihrer Beziehung vorführten – bis hin zur 39% Nichtzustimmung bei der Entlastung der beiden – notierte die Aktie der Deutschen Bank bei 28,80 Euro.

Damit betrug die Börsenkapitalisierung der Deutschen Bank 6,5% WENIGER als ihr Bilanzwert, allein als Ergebnis zerrütteter Stakeholder Beziehungen. Mit anderen Worten das Beziehungskapital der Deutschen Bank war negativ und betrug minus 6,5% des Bilanzwerts. So kann es auch nicht wundern, dass allein die Personalentscheidung für John Cryan einen 8%igen Sprung der Aktie auslöste und so das Beziehungskapital auf einen Nullwert führte.

Gleichwohl die nach seiner Ernennung wieder einmal gestiegenen Aktienkurse der Deutschen Bank darauf hindeuten, dass Shareholder (und Stakeholder), die sich in den letzten Jahren vom Unternehmen abgewandt hatten, weil das Vertrauen in seine Führung verloren gegangen war, nun wieder Hoffnung schöpfen können. Aber nur mit einer stärkeren Berücksichtigung ihrer Interessen kann der lange angekündigte Kulturwandel im Konzern auch gelingen.

Das vor allem ist die Chance, die sich dem Briten bietet. Dafür muss er aber den Kulturwandel neu deklarieren und erklären wie Effizienzsteigerung und Rückgewinnung von Vertrauen unter einen Hut gebracht werden können.

So ist es symbolisch gar nicht zu unterschätzen, dass Cryan eben sehr gut deutsch spricht und sich nicht wie Jain in schwierigen Momenten ständig übersetzen lassen muss.

Wenn Cryan verstanden hat, dass Stakeholder wie Politik, Gewerkschaften / Betriebsrat, Mitarbeiter oder Medien in Deutschland eine noch weit bedeutendere Rolle spielen als im Fall der UBS Sanierung, dann hat er eine echte Chance die Bank als Phönix aus der Asche auferstehen zu lassen.

Gastbeitrag von Indre Zetzsche: Infrastrukturprojekte brauchen Beteiligung. Beteiligung braucht Führung.

Öffentliche Großprojekte sind im Schnitt 73 Prozent teurer als geplant. Zu diesem Ergebnis kommt die jüngste Studie der Hertie School of Governance, die am 19. Mai 2015 veröffentlicht wird. Das Team unter Leitung von Prof. Dr. Genia Kostka hat 170 seit 1960 realisierte Großprojekte untersucht. Als zentrale Kostentreiber sieht die Forschergruppe vor allem Defizite bei der Entscheidung, Planung und Steuerung: „Verwaltung und politisch Verantwortliche seien oftmals zu optimistisch und überschätzten ihre Fähigkeiten.“ Ob und wie die Öffentlichkeit als Einflussgröße im Rahmen der Untersuchung berücksichtigt wurde – darüber geben die Vorabveröffentlichungen keine Auskunft. Jedoch liegt auf der Hand, dass die Öffentlichkeit eine zentrale Rolle bei Infrastrukturprojekten spielt.

Bürger/innen können Projekte aufhalten und die Kosten mit ihrem Protest in die Höhe treiben. „Stuttgart 21“ steht hierfür wie kein zweites Beispiel. Bürger/innen können aber auch dazu beitragen, dass Projekte besser und kostengünstiger werden. So etwa beim baden-württembergischen Schindhaubasistunnel.

Wie lässt es sich erklären, dass die Bürger/innen das eine Mal als Prozessoptimierer/innen, das andere Mal als „Wutbürger/innen“ auftreten? Die Antwort ist – wie immer – komplex. Und doch oder gerade deshalb lassen sich Faktoren für „gelungene“ Bürgerbeteiligung ausmachen.

Da wäre zunächst einmal die Grundsatzfrage: Wie viel Beteiligung ist eigentlich gewollt? Oder anders gefragt: Was steht eigentlich zur Disposition? Sollen die Bürger/innen als „Expert/innen in eigener Sache“ konsultiert werden (Beispiel: Netzausbau)? Sollen sie das „Wie“ eines Vorhabens mitgestalten (Beispiel: Schindhaubasistunnel) oder über das „Ob“ mitentscheiden können (Beispiel: Tempelhofer Feld). Nur wenn der Beteiligungsrahmen klar definiert und – womit wir beim zweiten Punkte wären – auch verbindlich ist, kann Öffentlichkeitsbeteiligung zum förderlichen Faktor werden.

Verbindlichkeit heißt, dass die Ergebnisse eines Beteiligungsprozesses die Wirkung entfalten, die man im Vorfeld vereinbart hat. Dass ein rein informatives Beteiligungsverfahren innovative Kraft entfaltet, würde niemand erwarten. Wenn aber die Bürger/innen entscheiden sollen und das Bürgervotum dann übergangen wird, ist Enttäuschung noch die mildeste aller denkbaren Reaktionen. Kurzum: Wer Mitbestimmung verspricht, sollte sie auch einlösen. Andernfalls verkehrt sich Beteiligung in ihr Gegenteil: Was Engagement und Vertrauen schaffen sollte, mündet in Verdrossenheit und Misstrauen.

Neben der Grundsatzfrage sind es aber auch methodische Fragen, an denen sich gelungene Beteiligung entscheidet. Ganz gleich in welcher Phase eines Infrastrukturprojekts die Öffentlichkeit beteiligt wird (Genehmigung, Planung oder Umsetzung), müssen Ziele, Instrumente und Techniken aufeinander abgestimmt sein. Ein auf Akzeptanz zielendes Verfahren tut gut daran, auf Innovationstechniken zu verzichten und stattdessen auf Information und sachlichen Austausch zu setzen. Auf Beratung zielende Beteiligung braucht wissens- und kreativitätsfördernde Methoden. Vor allem aber braucht Beteiligung Verantwortung. Was heißt das?

Wer einen Beteiligungsprozess initiiert, muss wissen, wofür sie/er das tut und den Prozess entsprechend steuern. Allzu gerne ziehen sich die Initiator/innen aus der Verantwortung und lassen „überparteiliche“ Moderator/innen vermitteln, die durchaus gute, aber am Ende nicht gewünschte und nicht umsetzbare Ergebnisse produzieren.

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JUK_IZE_Indre_Zesche_2Indre Zetzsche ist Business Direktorin bei Johanssen + Kretschmer Strategische Kommunikation GmbH für das Beratungsfeld Dialogkommunikation und frühe Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Konzeption, Moderation und strategischen Begleitung von Dialog- und Beteiligungsprojekten.

Bittere Lektion für Labour

Labour zerschmettert zwischen zwei Volksentscheiden – SNP wird Mitglieder- und Volkspartei – konservative Tories gewinnen mehr enttäuschte Wähler der Liberalen als UKIP ihnen abnehmen kann.

Das sind die vermutlich wichtigsten Fakten der britischen Wahl. Während die Medien sich auf die ungenauen Umfragevorhersagen stürzten, hinter denen letztlich „nur“ ein Swing von 2% zulasten von Labour und zugunsten der Konservativen steht, der sich beim britischen Mehrheitswahlrecht aber eben in der Sitzzahl vervielfachen kann, soll der Fokus hier auf die strategischen Fragestellungen dahinter gelegt werden.
Labour ist der Verlierer dieser Wahl. Eine Niederlage, die weniger überraschend kommt, als viele jetzt glauben machen wollen. Letztlich hat Labour in zwei wichtigen Fragen, die‎ Teile der britischen Öffentlichkeit bewegten und bewegen, keine für die für breite Wählerschichten tauglichen, keine populären, sondern nur „vernünftige“ Antworten gefunden. Zunächst war da das Begehren nach der Unabhängigkeit Schottlands, das die SNP im letzten Jahr zwar verloren hatte, zugleich aber für sie den Boden bereitete, als Partei im Vereinigten Königreich die Rolle als einziger Interessenvertreter Schottlands einzunehmen. Als Mitgliederpartei des Nordens (100.000 Mitglieder konnten gewonnen werden) und als führende Kraft (50 Prozent der Stimmen bei dieser Wahl). Im Gegenzug zerrann Labours machtvolle Rolle im Norden, verlor die Partei hier über ein Drittel ihrer Stimmen. ‎Genauso wenig vermochte es Labour auch in der zweiten, alle Briten bewegenden, Debatte eine eigene klare Rolle zu vermitteln. Nämlich zur Frage Brexit bzw. EU-Mitgliedschaft. Statt auf populäre und auch vielleicht populistische Positionen (durchaus pro-europäisch) zu setzen, argumentierte man vielfach allein vernunftbetont. Cameron hingegen schaffte es, seine Europa-Kritiker nicht vollständig, aber doch hinreichend genug, durch das Angebot eines Volksentscheides einzubinden. So verlor Labour am Ende in alle politische Richtungen und gewann nicht genug enttäuschte liberale Wähler hinzu. Labour blieb inszeniert, abstrakt, unnahbar. Beim Wahlvolk hingegen waren andere: SNP, UKIP und am Ende sogar Cameron vorn.
Der Aufstieg der SNP war also erwartbar. Mitgliederstark und mit einem volksnahen Habitus sowie einer äußerst beliebten schottischen Ministerpräsidentin ‎konnte sich die SNP als linke Volkspartei ähnlich der CSU in Bayern etablieren. Ebenso wenig überraschen kann die vernichtende Niederlage der Liberalen, die zweidrittel ihrer Wähler verloren. Die offenkundige Machtversessenheit bei ihrem Eintritt in die Koalition mit den Konservativen, die wesentliche Wahlversprechen über Bord warf, führte ja schon für die FDP hierzulande zum Garaus. Überraschend allerdings, dass offenbar (so erste Einschätzungen) der größere Teil dieser Wähler (insbesondere in ländlicheren Gebieten und in Kleinstädten) an die Tories gingen und nicht zu Labour wechselten. Und das, obwohl Labour doch für die von den Liberalen nicht umgesetzte Politik stand.
So jedenfalls konnte UKIP nur einen einzigen Wahlkreis von den Konservativen gewinnen, während diese den Liberalen 27 Wahlkreise abnahmen.
Und was lässt sich daraus nun lernen? Mitglieder sind für Parteien in Europa immer noch eine lebenswichtige und erfolgskritische Größe. Populäre, nahbare Politik ist die einzige Chance populistische Kräfte einzubeziehen. Und wer Volksentscheide will, muss akzeptieren, dass dies die Anforderungen an politische Strategien tiefgreifend verändert.

 

Aufgeregte Debatte zum Geschäftsmodell Agentur

Endlich. So die Reaktion einiger in der Agenturbranche. Nicht schon wieder. Meinten andere. Da liefern sich GWA und GPRA gerade in den einschlägigen Branchenmedien einen Schlagabtausch, der zu Blessuren bei beiden führt. Am Anfang stand der dümmliche Vergleich der Werbeagenturen mit der Titanic. Danach die Replik vom „post-pubertäres Gattungsgehabe“. Viele Agenturchefs, die staunend die Debatte verfolgen, waren davon vor allem peinlich berührt.
Doch was steckt hinter dieser Auseinandersetzung? Offensichtlich entbrennt aktuell ein massiver Kampf um die Diskurshoheit im Feld der Marketing orientierten Agenturen. Der Umstand, dass dort weitgehend austauschbare Geschäftsmodelle existieren, hat den Konkurrenzkampf in den letzten Jahren zunehmend verschärft. Immer mehr Werbeagenturen können auch Marketing-PR anbieten. Immer mehr PR-Agenturen versuchen sich auch werblich. Aussagen wie „PR ist die Zukunft des Marketings“ belegen diese Entwicklung nachhaltig.
Insbesondere die PR kommt dabei immer weiter unter Druck: Seit Jahren kämpft sie verzweifelt um Modelle der Wirkungsmessung, um den sehr pointierten Modellen der Wirkungsmessung der Werbung und PoS-Fachleute etwas entgegenzusetzen. Diese Versuche konnten aber nie die Qualität entfalten, um Entscheider in den Unternehmen für PR zu motivieren. Inzwischen gehen Media-Fachleute und Werber noch einen Schritt weiter. Mit dem Projekt „Best for Tracking“ (B4T) versuchen sie nun eine komplett integrierte Werbewirkung der gesamten Marketingkommunikation aufzusetzen und dabei sowohl die Perspektive der Marketingentscheider als auch die der Controller einzubeziehen.
Unabhängig aber davon, ob B4T besser als bisher AIM zur Wirkungsmessung von Werbung oder Kommunikation genutzt werden kann, zeigt sich heute, dass es ein Fehler war, nicht frühzeitig zu klären, was eigentlich der Bezugsrahmen für eine Stakeholder orientierte Kommunikation wie die PR ist. Dabei hat die Wissenschaft mit den Forschungen zum Beziehungskapital inzwischen wichtige Hinweise geliefert, sollten wir nun eigentlich wissen, wie Stakeholder Kommunikation steuer-, kontrollier- und messbar sein kann.

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