Strategieblog

Wenn Zivilgesellschaft zum Geschäftsmodell wird – oder: watch abgeordnetenwatch!

Kritik an Politikern, politischen Entscheidungen und am Umgang mit Interessen in der Politik ist nichts neues. Politik in der Demokratie ist das Abwägen und Bewerten von Interessen, politische Entscheidungen sind immer auch Entscheidungen über Interessen. Da kann es nicht wundern, dass Interessenvertretung ein konstitutiver Bestandteil von Demokratie und Parlamentarismus ist. Übrigens zeigt die Schweiz, dass Interessenvertretung auch in plebiszitären, direkten Demokratien kein Deut weniger relevant sind.
Neu ist aber, dass sich seit knapp 12 Jahren die Auseinandersetzung mit dieser Interessenvertretung selbst zum Thema geworden ist. Den Anfang bildete dabei sicherlich der Skandal um Moritz Huntzinger. Die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung e.V. (degepol) mit der Forderung nach Regulierung von Interessenvertretung beispielsweise durch ein Lobbyregister und eine intensive Beschäftigung von Transparency International mit dem Thema „Lobbyismus“ waren die ersten Reaktionen darauf. Später gründen sich dann mit Lobbycontrol e.V. und Parlamentwatch e.V. (abgeordnetenwatch) noch zwei spezialisierte Vereine, die sich dieser Thematik widmen. Doch während Lobbycontrol und Transparency International Nichtregierungsorganisationen sind, die Mitglieder haben, die sich mit den Themen auseinandersetzen und am Ende inhaltliche Positionen erarbeiten und verabschieden, offenbart der Blick auf abgeordnetenwatch etwas völlig anderes.
Abgeordnetenwatch erweckt den Eindruck eine Plattform zu sein, die sich neutral mit der Arbeit der Abgeordneten auseinandersetzt und dem Austausch zwischen Abgeordneten und Bürgern dient. Zielsetzung ist mehr Transparenz für die Arbeit der Abgeordneten. Da wundert es natürlich nicht, dass abgeordnetenwatch jüngst auf den Zug aufsprang und sich nun auch mit Lobbyismus auseinandersetzen will. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt aber, dass abgeordnetenwatch keine neutrale Plattform und NGO ist, sondern ein Geschäftsmodell und keine demokratische Organisation ist.
Die Gründer haben dem Verein Parlamentwatch e.V. – in dem man übrigens nicht Mitglied werden kann, sondern nur als Förderer Geld geben – eine GmbH gleichen Namens beigesellt. Hier sind die beiden Vorsitzenden dann geschäftsführende Gesellschafter. Neben einem Venture Capitalist, der die Aktivitäten des Konglomerats vorfinanziert. Alles klar und offen kommuniziert, so dass in der Fülle der Information der Kern der Botschaft verloren geht: Parlamentwatch ist ein Geschäftsmodell, das letztlich auch den wirtschaftlichen Interessen der Gründer des Start Ups dient.

Besonders deutlich wird dies, wenn man sieht, dass ein Geschäftsführer von abgeordnetenwatch mehrere Hüte aufhat. So managt Geschäftsführer Hackmack gleichzeitig die Businessplattform change.org, die ihr Geld mit der Entwicklung und Organisation von Kampagnen, insbesondere auch Lobbykampagnen verdient. Eine der bekanntesten Kampagnen von change.org war sicherlich die Lobbykampagne für höhere Vergütungssätze der Hebammen in Deutschland. So ist es dann nur logisch, dass abgeordnetenwatch seine Wertschöpfungskette erweitert. Beispielsweise mit dem neuesten Produkt Petition plus. Wer eine Petition ins Leben ruft und über change.orgso bewirbt, dass 100.000 Unterstützer zusammenkommen, erhält die Chance einer Petition plus. Dazu sind 2.000 Euro für eine repräsentative Befragung zum Petitionsthema erforderlich. Befürwortet in dieser Befragung die Mehrheit der Befragten die Petition, befragt abgeordnetenwatch alle Abgeordneten und veröffentlicht diese Ergebnisse einzeln auf abgeordnetenwatch. abgeordnetenwatch hält übrigens die Hand auch an anderer Stelle auf: Die Profile der Abgeordneten in allen Parlamenten können gegen Entgelt ausführlicher und im Sinne der Abgeordneten gestaltet werden.
Die Aktivitäten von Abgeordnetenwatch sind damit also nicht nur von den kommunizierten Interessen getrieben, sondern durchaus eine Unternehmung mit eigenen unternehmerischen Interessen. Mit BonVenture ist ein VC-Fonds wohl der wichtigste Geldgeber des Unternehmens. Auch wenn BonVenture einen besonderen Fokus auf nachhaltige Geschäftsmodelle setzt und Gewinne nach Rückführung der Mittel dann in gemeinnützige Projekte gegen sollen, so bleibt es Venture Capital, das zurückverdient werden will. Und hier scheint Demokratie durchaus als Geschäftsmodell zu taugen: auf BonVentures Website findet sich als abgeschlossenes Projekt Lobbycontrol.

Strategieblog