Strategieblog

Neu Denken verlangt Mut, die alten Bahnen zu verlassen

Dieser Tage entbrannte eine öffentliche Diskussion über die künftige Wahlkampfstrategie der SPD. Auslöser waren sechs Thesen zum Wahlkampf, die als sechs „Wege“ aus der Krise bezeichnet wurden und in der Überschrift „Wahlkampf Neu Denken“ verlangten. Was dann folgte waren fünf Binsenweisheiten und nur eine wirklich spitze, neue These: Die SPD müsse lernen zu demobilisieren. Diese These provoziert zurecht den Meinungsstreit. Die Mobilisierungsprobleme der SPD haben sich ja nicht nur in Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen gezeigt – daraus aber eine Demobilisierung der Wählerinnen und Wähler als strategische Perspektive abzuleiten hat wirklich Chuzpe. Mit anderen Worten: Wenn die SPD bitte schön schon komplett demobilisiert ist, dann soll sie den Wahlkampf auch gleich so gestalten, dass möglichst niemand mehr zur Urne geht.

Wie das in Zeiten emotionaler Polarisierung und populistischer Zuspitzungen gelingen soll, bleibt offen. Mehr noch: Der Wahlkampf der SPD in Baden-Württemberg, Thüringen oder Sachsen-Anhalt war nicht mobilisierend oder polarisierend. Er hatte nichts emotionales und konnte offenkundig die eigenen Wähler nicht binden. Also beste Voraussetzungen für einen demobilisierenden Wahlkampf. Der Umstand, dass die Wahlbeteiligung am 13. März dennoch rasant in die Höhe schnellte, demonstriert doch, dass solch eine Wahlkampfkampagne so wenig Relevanz entfaltet, dass sie keinerlei Einfluss auf den Mobilisierungsgrad der Wähler hat.

Es lohnt sich also ein deutlich analytischerer Blick auf die aktuellen Entwicklungen. Das ist nicht nur ein Thema der SPD, denn alle Parteien müssen mit der aktuell extrem hohen Volatilität im Wählermarkt umgehen:

  1. Die SPD muss erkennen, dass es kein verbrieftes Anrecht darauf gibt, als Volkspartei verstanden zu werden. Die SPD wird immer häufiger von den Wählern als Funktionalpartei eingeordnet. Was bedeutet das? Die Zahl der Wähler, die quasi automatisch der SPD ihre Stimmen geben, schwindet drastisch. Dem kann die SPD immer dann entgegentreten, wenn sie die Frage nach der eigenen funktionalen Rolle beantworten kann. Dort wo das gelang, wurde sie auch deutlich stärker gewählt. Dort wo sie nicht einmal als Mehrheitsbeschaffer für andere unverzichtbar war, bricht die Wählerunterstützung weg.
  2. Die SPD hat offenbar nur noch ein starkes Pfand, um Wahlen am Ende zu gewinnen: Glaubwürdiges, empathisches Personal. Dort wo dieses Personal an der Spitze vorhanden ist und bestenfalls bereits regiert, kann die SPD gute Ergebnisse erzielen. Dieses gilt nicht nur im Vergleich der Landtagswahlen im März, sondern auch die Kommunalwahlen in Hessen legen diese Betrachtung nahe. Das ist gut dort, wo die SPD solche Personen noch hat. Das stellt sie aber dort vor eine Herkulesaufgabe, wo das Vertrauen in die Partei beim Wähler nicht durch einen Landesvater oder eine Oberbürgermeisterin hergestellt werden kann.
  3. Die SPD hat das heterogenste Wählerklientel aller Parteien. Sie muss damit strategisch umgehen lernen. Das Setzen auf große Kampagnen und mediale Hypes funktioniert nicht mehr. Je heterogener Wählerklientel sind, desto kleinteiliger und direkter muss die Ansprache erfolgen. Die Wiederentdeckung des Haustürwahlkampfs 2012/13 hat es vorgemacht. Wo immer der Haustürwahlkampf ins Rollen kam, konnte die SPD deutliche Zugewinne verzeichnen. Und aktuell: Wie soll denn eine aussagekräftige, emotional ansprechende Botschaft beim Thema Flüchtlinge für alle Wähler aussehen? Die einen sind ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe aktiv und wollen etwas für diese Menschen tun. Gleichzeitig gibt es die anderen, die diese Form der Zuwanderung ängstigt und verunsichert. Darum muss die SPD lernen nicht in tollen kreativen Kampagnen zu denken, sondern ein differenziertes Ansprachemanagement aufzubauen.
  4. Im Übrigen: Eine Volkspartei besitzt im besten Sinne in der eigenen Mitgliedschaft viele wichtige Kommunikatoren für ein solches Ansprachemanagement. Es muss aber gelingen, diese zu mobilisieren. Die SPD hat immer nur dann gute Ergebnisse vorweisen können, wenn diese Binnenmobilisierung gelang. Wer sich die Mobilisierungsunterschiede zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg anschaut, kann auch hierin einen Grund für die enorm unterschiedliche Entwicklung in der Wählergewinnung erkennen. Ein Demobilisierungswahlkampf wird also die SPD zuerst treffen. Die SPD hat bundesweit zwischen 1998 und 2009 umgerechnet täglich 2.500 Wähler verloren. Wenigstens einen Teil davon zurückzugewinnen, wird ein mehrjährige Kärrnerarbeit werden.
  5. In diesem Zuge muss ein kritischer Blick auf den Umgang mit den AfD Wählern geworfen werden. Hier sind grundlegende Fehler gemacht worden. Sowohl anbiedernde Äußerungen, die nahelegen die Kritik der AfD/Pegida sei berechtigt, als auch die Beschimpfung („Pack“) und Ausgrenzung haben nur einen Effekt: Es schweißt Wähler und Funktionäre der AfD zusammen. Mit der Niederlage der wählerfernen Besserwisser Lucke und Henkel in der AfD war absehbar, dass die AfD anders als die Piratenpartei kein kurzfristiges, sondern eher ein mittelfristiges Phänomen sein wird. Ein differenzierter Blick in die AfD zeigt, dass es rechtskonservative Demokraten wie Gauland und Meuthen ebenso wie rechtsextreme, völkische Funktionäre wie Höcke und Poggenburg gibt. Richtig wäre es, genau diesen Unterschied auch deutlich zu machen und erstere immer wieder zur Distanzierung von zweiteren aufzufordern, ansonsten aber mit ersteren in den streitbaren, kritischen demokratischen Diskurs zu treten. Nur dann wird man diese Wähler zurückgewinnen.
  6. Was aber muss man diesen Wählern anbieten, um sie zurückgewinnen zu können? Eine Frage, die für alle Parteien der Mitte gleichermaßen gilt. Die AfD ist Ausdruck einer kompletten Verunsicherung und Überforderung in vielen Milieus. Nach zahlreichen Reformen, Globalisierung, Standortwettbewerb, Gleichstellungsdiskussionen, Bildungsdebatten, Digitalisierungsschüben, immer schnelleren Transformationsprozessen in Unternehmen usw. hat sich das Leben der Menschen in den letzten 10 bis 15 Jahren massiv verändert. Alle Gewissheiten gingen verloren. Neue Gewissheiten fehlen. Die Veränderungen erfolgen, aber ohne die Menschen mitzunehmen, ihnen zu erklären, was warum mit welchem Ziel passiert. Und das in einer Sprache, die so einfach ist, wie die von Donald Trump – der ja neuesten Analysen zufolge seine Erfolge auch darauf aufbauen kann, dass gerade seine einfachen Bilder und Hierarchien und ein beschränkter, einfacher Wortschatz für politikferne Mittelschichten Wirkung erzielt, weil diese Wähler erstmals Politik wieder verstehen.
    Die Grundbotschaft muss dabei lauten: Politik kann Sicherheit im Wandel organisieren. Sie muss es sogar tun. Dabei geht es nicht um Sozialpolitik, sondern durchaus auch um Gewissheiten beim Meistern eines immer komplexeren Alltags bspw. durch umfassende Betreuungsangebote. Und es geht um eine Verbindung von öffentlicher, privater und sozialer Sicherheit – nicht erst seit der Silvesternacht 2015/16.
  7. Was bleibt als Fazit? Ganz einfach: Von Platzeck lernen! 2004 hat er in Brandenburg einen mutigen Wahlkampf geführt. Auf dem Höhepunkt der Hartz IV Konflikte, hat er sich nicht versteckt, sondern ist dorthin gegangen, wo die Menschen waren, wo sich ihre Wut, ihre Ängste, ihre Enttäuschung artikulierte und hat ihnen zugehört, ihnen die Politik erklärt und dann auch für den eigenen Kurs geworben. Er hat sich nicht von der Agenda 2010 distanziert, sondern den Kurs des Bundeskanzlers verteidigt. Aber er hat den ganzen Frust der Menschen ausgehalten, Haltung gezeigt und geredet.
  8. Haltung ist wichtiger als Effekthascherei. Es geht nicht darum, dass Kandidaten sich inszenieren und durch alberne Motive Wort halten („Ude hält Wort„), sondern eine Haltung an den Tag legen, die dieses schlicht und einfach tut. Politik handelt vom Leben der Menschen – und das ist in diesen Tagen etwas ernstes.

Aber noch etwas zeigen diese letzten Wahlen: Frank Stauss (Geschäftsführer der für die SPD Rheinland-Pfalz arbeitenden Agentur Butter) hat seit anderthalb Jahren für die Kampagne der Rheinland-Pfalz SPD gekämpft und geworben. Er hat richtigerweise erkannt, wie wichtig Haltung und glaubwürdige Spitzenkandidatin sind. Er hat diesen Kurs gehalten und offenbar dabei auch Malu Dreyers Vertrauen gewinnen können. Der Wind kam von vorne, als einige in der Bundes-SPD seine Thesen nicht hören wollten und auf die drohende Niederlage verwiesen. In Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen dagegen ist das Experiment einer inhouse Beratung der SPD gescheitert.

Kurzum: Unabhängigkeit in der Beratung ist ein elementarer Mehrwert für jeden Kunden, auch in der Politik.

 

Fehlstart einer gelungenen Startkommunikation?

Nun ist sie eine gute Woche im Amt, die neue Bundesregierung . Die Regierungsbildung war rekordverdächtig: Koalitionsverhandlungen im Akkord, rasche Zustimmung in den Parteien und schließlich eine fast reibungslose Wahl der Kanzlerin. Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen:

Die schwarzgelbe Koalition spürte strammen Gegenwind: Bei der Wahl der Bundeskanzlerin fehlten 9 von 332 Stimmen. Knapp 3% der Koalitionsabgeordneten versagten ihre Zustimmung, was verglichen mit ihren Vorgängern kein schlechtes Ergebnis ist. Dennoch konstatieren die Leitmedien „Merkels Makel-Start„, eine geschwächte Kanzlerin oder auch nur eine Schlappe für die neue Koalition. Wieso das? Vor Kurzem galt diese Koaliton doch noch als Hoffnungsträger vieler Journalisten.

Die Stimmung war in den Tagen zuvor gekippt . Immer lauter beschwerten sich die Journalisten in Berlin darüber, dass sie Teil einer (gelungenen?) Inszenierung von CDU/CSU und FDP wurden. Am Anfang dieser Inszenierung betonten die drei Koalitionspartner, dies sei eine Wunschkoalition, die nun ganz schnell vereinbart werden könnte. Diese lauten Bekenntnisse zur Koalition übertönten alle kritischen Rückfragen über die vorhandenen Gegensätze zwischen den Verhandlungspartnern. Der zweite Schritt war dann eine geschickte Kommunikationsstrecke nach einander gesetzter Positivbotschaften. Dabei wurden gezielt die Themen nach vorne gestellt, die sich in den vergangenen Monaten als Mühlsteine am Hals der SPD erwiesen hatten.

So betrifft die Erhöhung des Schonvermögens zwar nur 0,5% der Hartz IV Empfänger. Doch dieser Schritt der Koalition sendete ein klares Signal aus: Lebensleistungen der Menschen werden wieder geachtet und anerkannt. Rotgrün hatte noch wie mit dem Rasenmäher alle Betroffenen gleichbehandelt und dabei übersehen, dass sich im eigenen Klientel das Gefühl aufbaute, individuelle Biografien würden nicht mehr geachtet. Millionenfache Stimmenthaltung war das Ergebnis.

Danach nahm sich Schwarzgelb die Internetgesetzgebung vor. Die noch von der CDU/CSU vorangetriebene Internetzensur mittels Stop-Schild wurde mal eben über Bord geworfen und ein neuer Umgang mit dem Thema Datenschutz, Sicherheit und Internetrechte versprochen – fast so als wäre da die Piratenpartei stiller Teilhaber der Regierungskoalition. Dabei waren die Piratenpartei gerade erst wie Phönix aus der Asche entstanden: Insgesamt 2% bei der Bundestagswahl, ganze 13% der Erstwähler – zu Lasten der SPD.

Am Ende der Koalitionsverhandlungen wurde dann aber doch noch eine Woche laut gestritten. Die Koalitionspartner mussten gegensätzliche Versprechen zu Schuldenabbau und Steuersenkungen unter einen Hut bringen. Doch viele Journalisten hatten den Eindruck, die Koalition habe sich längst geeinigt und der Streit sei nur noch für das Publikum. Jede Seite müsse zeigen, dass sie hart für die eigenen Klientel gerungen habe. Spätestens hier vermuteten viele Journalisten, sie seien Teil einer Kommunikation der kommenden Regierung.

Der gefundene Konflikt spricht dafür, denn beide Seiten mussten Fehler lassen: Die Neuverschuldung steigt, die versprochenen 40 Mrd. Steuergeschenke werden auch nur zur Hälfte realisiert.

Zweifelsohne – für Journalisten waren das langweilige und zudem noch oppositionslose Wochen. Die Opposition ist offenbar mehr mit sich selbst als mit Kritik an der neuen Bundesregierung beschäftigt: Die Grünen streiten, ob Jamaika und Schwarzgrün nur Notnägel oder weitere Machtoptionen sind. Die Linkspartei zerreibt sich zwischen den Länderorganisationen, die von anpassungsfähiger Realpolitik bis Fundamentalopposition alles für möglich halten. Und die SPD steht mitten in einem tiefgreifenden personellen und inhaltlichen Umbruch. Da kann es nicht wundern, wenn die neue Regierung in den kommenden Wochen und Monaten wenig Gegenwind bekommen wird.

Spannend kann es erst nach der NRW-Wahl werden: Denn dann muss die Bundesregierung Klartext reden, was aus Haushaltskonsolidierung und aus der Steuerreform wird. Bis dahin muss die Opposition ihre Handlungsfähigkeit wieder hergestellt haben.

Online Campagning: Geld verbrennen oder Menschen bewegen?

Obama habe seine Wahlen online gewonnen. So lautet eine These, der man oft außerhalb der USA begegnet. Viele PR-Fachleute in Deutschland versuchten daher in den vergangenen Wochen, den Obama-Effekt im Internet einzufordern. Der deutsche Wahlkampf im Netz, so aufwendig wie noch nie, wurde von ihnen heftig gescholten. Eigene Online Tools dagegen wurden angepriesen. Zu statisch, zu wenig authentisch, zu wenig interaktiv sei der Wahlkampf. Und dennoch konnte die Agentur Weber Shandwick einen Internet-Wahlkampf-Sieger ausmachen: Die CDU.
Den politisch interessierten Beobachter konnte diese Meldung nur wundern. Auf fast allen Plattformen, in fast allen Netzwerken, in den Blogs und Foren gab es im Internet immer nur einen Sieger: Die Piratenpartei. Belächelt und nicht sonderlich ernst genommen, sammelte sie als Einpunkt-Partei am Ende sage und schreibe zwei Prozent der Wählerstimmen ein. Ganze 13 Prozent der Erstwähler stimmten für die Piraten. Damit erreichte die Piratenpartei in den Augen der jüngsten Wähler Augenhöhe mit den etablierten Parteien.
Was kann man daraus lernen?
Erstens ist die Generation upload offenbar doch empfänglich für politische Fragestellungen. Sie muss sie allerdings für relevant für den eigenen Alltag halten. Das genau ist Internet-Gesetzgebung und da fielen die oftmals wenig elaborierten Positionen der etablierten Parteien eben negativ auf.
Zweitens online lassen sich Kampagnen führen, neue Themen platzieren und Wähler überzeugen. Das haben die Piraten mit einem fast allein online gestützten Wahlkampf deutlich gemacht. Das erfordert aber eine hohe Authentizität und fachliches Verständnis von der Materie. Facebook-Profile von Kandidaten, denen man im Wesentlichen entnehmen kann, dass der Kandidat sich gerade auf dem Weg zu einer Sitzung befindet, strahlen eher Inkompetenz aus.
Drittens der Effekt eines online Wahlkampfs darf nicht überschätzt werden. Es lässt sich anhand verschiedener Unterstützerzahlen und Aktivitätsgrade in Netzwerken und Social Media abschätzen, dass etwas 50% der am online Wahlkampf interessierten Menschen die Piraten am Besten fanden. Damit dürfte der Gesamtanteil der Wähler, die primär durch online Campaigning erreicht werden bei ca. 4 Prozent liegen.
Viertens in den sehr jungen Zielgruppen steigt dieser Anteil aber dramatisch an. So scheint sich jeder vierte Erstwähler im Netz entschieden zu haben.
Fünftens bedeutet das aber auch: Wer kein passendes inhaltliches Angebot hat und allein mitmachen will, kann im Internet viel Geld für Nichts verbrennen.

Ein frühes Fazit dieses Wahlkampfs

stakeholder-event_standingNun ist es soweit. Heute wird gewählt. Ab 18 Uhr wird wohl niemand mehr über die Kampagnenführung und die Kampagneninhalte reden. Darum hier ein erster Versuch, ein Fazit zu ziehen.
Dieser Wahlkampf fand unter schwierigen Bedingungen statt. Erstmals war von Beginn an klar, dass wir uns dauerhaft im Fünf-Parteien-System bewegen. Das hätte eine komplett neue strategische Aufstellung fast aller Akteure erfordert. Anfangs schien es, als würden zumindest Grüne und CDU dieses versuchen, doch es blieb bei Lockerungsübungen. Am Ende wurden alle denkbaren Dreierbündnisse ausgeschlossen. Allein Zweierkoalitionen werden die nächsten vier Jahre regieren können (wobei die rot-grüne Variante wohl mangels Realismus ausgeschlossen werden kann).
Hinzu kam eine historische Krise, die erste globale tiefgreifende Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg. Niemand wusste Anfang des Jahres, ja nicht einmal im Frühsommer, wie sich diese Krise im Laufe des Jahres entwickeln würde. Von der anfangs noch vertretenen Hoffnung eines schnellen Aufschwungs (zu Guttenberg sprach vom Ende der Krise im September) bis zum Horrorszenario von mehr als 4 Mio. Arbeitslosen am Tag der Wahl reichten die Annahmen. Nur auf solch dünnem Eis lässt sich kein Wahlkampf planen.
Es sei also eingangs allen Kampagnenplanern und -strategen zugestanden, dass dies die kompliziertesten Ausgangsvoraussetzungen für einen Wahlkampf zumindest seit 1991 waren.
Dennoch darf die Frage gestellt werden, ob das Ergebnis sich allein damit rechtfertigen lässt. Dieser Bundestagswahlkampf war nicht nur langweilig, weil ihm bis kurz vor Ende der Konflikt fehlte, sondern er war auch handwerklich, kommunikativ schwach. Zwei Kampagnen konnten wenigstens strategisch noch auffallen: Die CDU hatte die wichtigste Lektion der Obama Kampagne gelernt. „Stay on message“. Das erfordert erstens eine Message („Wir haben die Kraft“ – meint die CDU hat Angela Merkel und die CDU hat den Mut das Notwendige zu tun). Und zweitens erfordert es die konsequente Deklination dieser Botschaft in alle Kommunikation in der Kampagne. Auch hier konnte die CDU überzeugen. Allein ausgerechnet im TV-Duell war es Angela Merkel selbst, die die zentrale Message vergaß und stets daran vorbei lief.
Ebenfalls sehr konsequent war die Kampagne der Partei Die Linke. Drei Themen dominierten den Wahlkampf („Raus aus Afghanistan“, „Nein zur Rente mit 67“, „Nein zu Hartz IV“) und wurden bis hin zur Selbstparodie („Reichtum für alle“ und „Reichtum besteuern“) durchgetragen.
Ganz anders FDP, Grüne und SPD. Während die FDP einen absolut unauffälligen Wahlkampf machte (Kann sich jemand an die Botschaft erinnern?) und schwer lesbare Plakate aufhing, profitierte sie natürlich von der Rolle die einzige Konkurrenz zur Union im bürgerlichen Lager zu sein. Und die Union war gefangen in der ungeliebten Großen Koalition. Daneben die Grünen. Einprägsame Plakatoptik. Immer wieder Variationen der Aussage, wieso Grün gegen die Krise hilft. Aber dennoch stellte sich kein Bild der Kampagne ein. Insbesondere fehlte bis zum Schluss die funktionale Begründung einer Grünwahl. Es steht zu befürchten, dass der starke Schlussspurt der SPD die Grünen noch auf Platz 5 verweisen wird, denn die Grünen konnten, ihre Wechselwähler nicht ausreichend binden. Nachdem in Hamburg zu einer schwarz-grünen Regierungsbildung kam, hätte die Parteiführung dieses entweder als Chance zur Öffnung ins bürgerliche Lager verstehen müssen oder aber diese Variante explizit ausschließen müssen. Im letzteren Fall hätte dies aber bedeutet, sich zur rot-rot-grün Option auch machtpolitisch zu verhalten. So schien es immer als seien die Grünen im Prinzip draußen.
Damit sind wir beim Wahlkampf der SPD. 1998, 2002 und 2005 hatte die SPD das inoffizielle Wettrennen um den besten Wahlkampf gewonnen. Teilweise mit großem Vorsprung. Umso mehr überraschte die schwache Performance der Kampagne. Es gab keine klare Message. Anfangs sollten mit Wirtschaftskompetenz und Deutschlandplan, 4 Mio. Job geschaffen werden. Dann hieß das Thema Finanzmarktregulierung und Begrenzung der Banker-Boni. Am Ende setzte sich dann doch die Erkenntnis durch, dass der Wahlmapf für die SPD in der Gerechtigkeitsfrage entschieden wird. Und dass die Menschen nach dieser Krise, die Frage wer die Zeche hierfür zahle, Steuerpolitik als Gerechtigkeitsthema verstanden haben. Ein altmodischer visueller Auftritt und eine regelrechte Kapitulation vor der Kritik der eigenen Onliner und der Piraten im Internet taten ihr übriges. Am Ende hatte jedes Instrument seine eigenen Botschaften. Allein der Kandidat hielt diese Kampagne zusammen. So blieb diesem gar nichts anderes übrig als selbst im TV-Duell die Wende zum Besseren einzuleiten.

Was bleibt? Das wird man sicherlich erst im Lichte der Ergebnisse sehen können. Dennoch zeigt dieser Wahlkampf bereits heute, Verschiebungen sind möglich. Ein engagierter Spitzenkandidat der SPD, der Streit in der Union (CSU versus CDU im Steuerthema), strategisch unzweideutige Nutzung der Stellung der FDP im bürgerlichen Lager, Mobilisierungswahlkampf der Linkspartei. Das alles hat nochmals Bewegung in die über Monate unveränderte Landschaft der Umfragen gebracht. Es zeigt aber auch, dass man die Rolle der werblichen und der Online Kampagnen aber auch bei weitem nicht überbewerten darf. Online dürften einige hunderttausend Wählerstimmen zu gewinnen sein. Das sind vielleicht 1 bis 1,5 Prozent. Das kann zwar wahlentscheidend sein (wenn bspw. die Stimmen der Piratenpartei bei SPD und Grünen fehlen), steht aber gemessen an der Zahl der Wähler einer Volkspartei doch nicht im Zentrum des Wahlkampfes.

Damit sind wir bei der eigenen Branche, den Kampagnenmachern, angelangt. Viele Werber fühlten sich in den letzten Wochen berufen, die Kampagnen alle in Grund und Boden zu kritisieren. Ja, eine strategisch gut angelegte und spannend ausgestaltete Kampagne kann natürlich etwas bewegen. Aber wichtiger bleibt der Umstand, dass die Kampagne sich der zentralen Inhalte annimmt, die die Menschen bewegen und diese stringent aus Sicht der jeweiligen Partei durchdekliniert.

Auch das noch: Ein unnötiger Kommentar

stakeholder-event_dekoDieser Tage fühlen sich viele berufen, über den Wahlkampf zu reden und ihr mehr oder weniger fachmännisches Urteil zum besten zu geben. Selbst der Autor dieses Blogs lässt sich dabei nicht lumpen. Der ein oder andere findet damit auch in den Medien Gehör. Warum aber heute ein Fachmedium der Kommunikationsbranche einem der skandalträchtigsten PR- und Politikberater aller Zeiten Raum einräumen muss, sich über die SPD-Kampagne zu äußern, bleibt wohl ein Geheimnis der W&V.
Dabei darf es sich Moritz Hunzinger einfach machen: Seine Kritik an der SPD-Kampagne kratzt an der Oberfläche und benennt nur offenkundige Fehler. Aber zu den strategischen Problemen der SPD schweigt er.
Doch was aufregt, ist etwas anderes: Moritz Hunzinger ist nicht irgendwer. Er hat Politiker korrumpiert, und das dann als Beratung verkauft. Über ihn sind Politiker gestürzt. Er hat der gesamten Kommunikationsbranche geschadet und wurde vom DRPR entsprechend gerügt. Von Reue ließ er bis heute nicht verlautbaren.
Es war gut, dass er in der Versenkung verschwunden war. Insbesondere in der Versenkung der politischen Kommunikation. Die W&V hätte ihn auch besser da gelassen.

Am Morgen danach

berliner-freiheitAm Morgen danach nervt oftmals ein Kater oder alles erscheint plötzlich ganz klar. Und heute – Kater oder Klarheit?

Klarheit für die Wahlforscher: CDU und FDP sind in den Umfragen leicht überbewertet, die Partei Die Linke deutlich unterbewertet.
Klarheit für die kleinen Parteien: Ihnen fallen in Zeiten der großen Koalition die Trauben in den Schoß. FDP und der Partei Die Linke mehr als den Grünen. Die Grünen werden dafür eventuell zum Zünglein an der Waage aller Machtkonstellationen.
Klarheit für die Union: Starke überparteilich wirkende Persönlichkeiten finden die Sympathie der bürgerlichen Wähler – und da sind Tillich und Merkel sich ähnlich.
Klarheit für die Nichtwähler: Je stärker sie sind, umso schwächer wird die SPD. Also: Wer nicht wählt, wählt am Ende schwarz-gelb. Damit gilt für Union und FDP in den letzten vier Wochen: Keine Aufreger produzieren, den Gegner nicht mobilisieren. Da ist der Streit zwischen CSU und FDP sogar noch hilfreich, mobilisiert er doch das bürgerliche Lager optimal, ohne Auswirkungen auf Mitte-Links zu haben.
Kater für die SPD: Da im Bund die Ampelkoalition einem Selbstmord der FDP gleich käme und rot-rot-grün selbiges für die SPD darstellt, verbleibt der SPD nur noch eine Machtkonstellation: Die große Koalition. Und das als Juniorpartner. Darum wird die SPD klar machen müssen, warum schwarz-gelb ein Schreckgespenst ist, schwarz-rot dagegen nicht.

Wird der Morgen nach dem 27. September also das Katerfrühstück für die SPD bringen? Nein, immer noch ist nichts entschieden. Gerade Thüringen zeigt, welch dramatische Verschiebungen im Wahlergebnis eine Schlussmobilisierung mit sich bringen kann. Wenn es der SPD gelingt, über die Ursachen der Krise und die erforderlichen Spielregeln in einer sozialen Gemeinordnung zu reden. Und vor allem: Wenn es der SPD gelingt ihren Wahlkampf auf die Frage zuzuspitzen, wer am Ende die Konjunkturpakete eigentlich bezahlen muss. Dann kann der Wahlkampf eine entscheidende Wende erlangen. Dann steht nicht mehr der Streit um das bessere Wirtschaftsprogramm, sondern eine Debatte über die soziale Frage im Zentrum. Thüringen und Saarland unterstreichen, dass dieses Thema die offene Flanke von schwarz-gelb ist.
Es bleibt also spannend.

Per Dienstwagen durch das Kanzleramt

Wow. Das war heute ein Auftakt für den „heißen“ Wahlkampf. Der Haushaltsausschuss beschäftigt sich mit echten Skandalen. Doch: Ulla Schmidt darf ihren Dienstwagen benutzen, sagt der Rechnungshof. Sie sollte halt mehr Sensibilität zeigen, sagt der Kommunikationsberater. Angela Merkel darf Vertreter von Wirtschaft und Gesellschaft zum Essen ins Kanzleramt einladen, sagt der gesunde Menschenverstand.

Doch die Wahlkämpfenden rufen: Skandal, Skandal! Denn es ist Wahlkampf – Und wo eine Botschaft fehlt, da werden Scheinbotschaften erfunden.

Schade, denn erstens geht der wirkliche Skandal unter: Das BMWi privatisierte ein Gesetzgebungsverfahren bei Linklaters. Und zweitens haben wir alle einen besseren Wahlkampf verdient.

Das Raumschiff stöhnt

Da mokiert sich Sonja Pohlmann im Tagesspiegel über das „scheinbar harmonische Privatleben“ Frank-Walter Steinmeiers und den freitäglichen Einkaufszettel Angela Merkels. Auch Spiegel Online bläst in dieses Horn. Professionelle Politikberater stöhnen laut auf, wenn sie über die BUNTE Homestory über Frank-Walter Steinmeier oder das EMMA Interview mit Angela Merkel lästern.

Das Raumschiff Berlin ist angewidert davon, dass seine Commander ihr Privatleben zur Schau stellen. Wie unpolitisch! Jetzt wird Politik Boulevard. Anbiederung an die Massen.

Ach, wie leicht wäre das Leben ohne das Volk. Doch genau das Volk darf am 27. September entscheiden. Und was ist so verwerflich daran, dass Wähler Menschen und Persönlichkeiten Vertrauen schenken wollen und nicht einfach nur abstrakten Politikern ihre Stimme geben wollen? Würde einer von den Kommentatoren jemanden im eigenen Umfeld sein Vertrauen schenken, wenn er weiß, dass dieser ständig Wasser predigt und zugleich Wein verpanscht?

Dabei sind die Zeiten längst vorbei, in denen Politiker freiwillig ihr Privatleben in der Öffentlichkeit präsentieren. Denn wer Ehepartner, Privatleben, sexuelle Orientierung oder gar die eigenen Kinder den Medien bekannt macht, verliert in der Öffentlichkeit das Recht auf Intimsphäre. Jede Affäre, jede sexuelle Eskapade, jedes unartige Kind wird bekannt – die Medien sind besitzergreifend. Das Risiko ist groß und der Rückzug ins Private wird eingeschränkt – jeder Politiker sollte sich das zweimal überlegen.

Vertrauen ist ein komplexes Gebilde. Schlüssige Inhalte, widerspruchsfreies Handeln, glaubwürdige Persönlichkeiten, klare Botschaften – alles das braucht es. Da kann der Einblick ins Private helfen, aber es bleibt dabei: Am Ende zählt die Botschaft. Wer glaubt Politik durch Boulevard ersetzen zu können, wird auf die Nase fallen.

Die Wahlplakate der Parteien

stakeholder-event_dessertJetzt können wir sie in Ruhe betrachten: Die Wahlplakate der Parteien wurden diese Woche vorgestellt. Mitunter ästhetisch gelungen und emotional involvierend (CDU „Wir haben die Kraft„). Mal pointiert und minimalistisch visualisiert (Bündnis’90 | Die Grünen „Aus der Krise hilft nur grün„). An anderer Stelle eher nach dem Motto Zielgruppe schaut in Kamera und formuliert Polit-Slogans (SPD „Und deshalb wähle ich SPD.„).
Die eigentliche Frage bleibt aber: Warum überhaupt Plakate? Ein nicht unerheblicher Teil der Budgets der Parteien geht in Wahlplakate. Dabei ist bekannt, dass Wahlentscheidungen viel zu komplex sind, als dass ein Plakat sie beeinflussen kann. Das persönliche Gespräch, die Präsenz der Kandidaten, ihre erlebte Glaubwürdigkeit und die mediale Berichterstattung sind viel relevanter. Noch wichtiger aber: Wie wird in der Mittagspause mit Kollegen über die Wahl geredet? Wer konnte also die Themen setzen, die die Menschen beschäftigen?
Plakate signalisieren den Bürgern vor allem, dass es auf die Wahl zugeht, es wird ernst. „Du musst dich entscheiden.“ Quasi der Countdown bei DSDS. Wenn es der CDU gelingt diesen Countdown durch die Positionierung ihrer führenden Köpfe emotional zu gestalten. Wenn es den Grünen gelingt durch eine gezielte Spendenaktion für das Großflächenplakat „meiner“ Wahl bis heute 1664 Spender zu generieren. Wenn die SPD mit ihren ehrlichen Online-Spots im Wahlkampf Mitglieder gewinnen kann. Dann allerdings gelingt der jeweiligen Kampagne ein Zusatznutzen, der weit über den Countdown hinaus geht.

„Der Deutschlandplan“

Der Deutschlandplan. Eigentlich sollte er nicht so heißen. Doch SPIEGEL online prägte einen Namen. Nun redet Steinmeier selbst vom Deutschlandplan.
Der Deutschlandplan ein Musterbeispiel wie eine erfolgreiche Strategie durch handwerkliche Fehler in Bedrängnis kommen kann. Am Anfang stand eine exklusive Vorab-Veröffentlichung von Spiegel online. Zwei Tage vor der offiziellen Vorstellung durch den Kanzlerkandidaten der SPD. Nur wenige Stunden später reagierte zu Guttenberg und setzte die wesentliche Gegenbotschaft: „Die Menschen sind es leid, immer zu Wahlkampfzeiten mit Versprechen überschüttet zu werden“. Und schon brach die Kritik über den Deutschlandplan herein. Die SPD offenkundig ohne vorbereitete Fürsprecher und ohne klare Begleitbotschaften geriet in die Defensive. So präsentierte der Kanzlerkandidat zwei Tage später seinen Deutschlandplan aus einer Verteidigungsrolle, nicht als Beweis seiner Handlungsfähigkeit.
Die anschließende Sommertour Steinmeiers unterstrich zwar die Botschaft der SPD, dass es in diesem Wahlkampf zentral um das Thema Beschäftigung gehen solle. Aber Wählerbefragungen zeigen, dass beide Botschaften – „Beschäftigung“ und „leere Wahlversprechen“ – gleichermaßen das Bild vom Deutschlandplan prägen. Strategisch ist der Vorstoß der SPD natürlich geschickt, die Union in einen inhaltlichen Wahlkampf zu zwingen. Denn jede Auseinandersetzung polarisiert und mobilisiert. Und die SPD braucht eine hohe Mobilisierung am Wahltag.

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