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Visionen oder Alpträume – die neue/alte Debatte um Marketing und PR

Das PR Magazin hat sie wiederentdeckt: Die Diskussion um das Zusammenwachsen von Marketing und PR. Das ist nun wahrlich keine neue Debatte. In seiner jüngsten Ausgabe zitiert das Blatt lang und breit den „Marketing-Papst“ Manfred Bruhn, der dieser Fusion schon lange das Wort redet und nun prophezeit, dass diese in fünf Jahren die Realität in allen Dax-Unternehmen sein wird. Social Media soll angeblich dafür sorgen und wirke als Katalysator dieser Fusion.

Es erscheint mutig, wenn man weitreichende Umstrukturierungen im Unternehmen, die Eingliederung der PR in das Marketing und gar ein neues Verständnis der PR allein am Aufkommen eines Kommunikationskanals fest macht. Zumindest sind Zweifel angebracht. Auch Fragen, ob das Budget relevantere Marketing die PR führen muss oder ob PR mittels Content Marketing das Marketing defacto von innen heraus übernehmen wird zeigen, dass am Ende Machtfragen im Unternehmen entscheiden werden. Welcher Bereich ist besser aufgestellt? Welcher Bereichsleiter genießt das Vertrauen des CEO und des Vorstands? Wer hat eine Vorstellung davon, wohin sich die Kommunikation des Unternehmens entwickeln soll und kann? Wer verfügt über die besseren Netzwerke, um sich durchzusetzen?

Kann man vor diesem Hintergrund wirklich allgemeingültige Grundsätze ausrufen? Die Frage wird in jedem Einzelfall individuell und entlang der Macht- und Vertrauenskonstellationen im Unternehmen beantwortet werden. Wirklich wichtig sind die inhaltlichen Fragen, die Anlass für solche Neuaufstellungen sind. Wer nur an Social Media denkt, springt zu kurz. Vielmehr wird doch in vielerlei Kontexten deutlich, dass Kommunikation sich neu ausrichtet und dabei Disziplinenübergreifend aufgestellt sein muss. Nicht mehr Kanalarbeiter, also Manager der verschiedenen Kommunikationskanäle, sind gefordert, sondern Kommunikationsexperten. Dabei bilden sich zwei wichtige Pole heraus: Am einen Ende vereinen sich die Marketing relevanten Fragestellungen. Hier muss Aufmerksamkeit generiert und Produktverkauf sichergestellt werden. Am anderen Ende vereinen sich die Corporate relevanten Gesichtspunkte. Das Unternehmen als sozialer Akteur muss seine Beziehungen aktiv gestalten und somit sein Sozialkapital mehreren. Dieses ist ein Vorgang, der vor allem von Relevanz, von Erwartungen und vorhandenen Issues getrieben wird. Jedes Unternehmen muss zwischen diesen Polen die individuell richtige Balance finden und diese Anforderungen bestenfalls sogar verbinden.

Der Agenturenmarkt reagiert auf diese Entwicklungen. Neue Agenturkonstellationen und neue Kompetenzfelder entstehen. Werbeagenturen drängen erfolgreich in den Markt der Marketing-PR. Corporate Agenturen übernehmen dagegen weitreichende Aufgaben in der Reputationskommunikation bis hin zur Imagekampagne. Die Veränderungen im Agenturenmarkt sind in sofern ein Spiegelbild der Entwicklungen, die sich in den Unternehmen anbahnen.

Wenn man also eine Entwicklung (ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit!) beschreiben will, dann die einer Umgruppierung kommunikationsrelevanter Felder in zwei Berichtslinien: Dann fließt einerseits die Marketing nahe Kommunikation in einer Berichtslinie zusammen. Ebenso wie andererseits die Bündelung von Stakeholder Management, Corporate Affairs und Medienarbeit unter dem Dach der Unternehmenskommunikation ein sinnvoller Schritt zur Integration der Corporate relevanten Kommunikation ist. In dieser zweiten Linie wird letztlich das Beziehungs- und Reputationsmanagement des gesamten Unternehmens verantwortet werden.

It’s PR, stupide!

Das haben Sie in Ihrem Interview auf SPON wirklich gut erkannt: PR ist unglaubwürdig und Werbung ist die ehrliche Form der Kommunikation. Warum? Nun, ich sag’s mal in meinen Worten: Auf jeder Werbung ist der Absender in Form eines Firmenlogos drauf. Das ist offen, das ist ehrlich.

PR dagegen versucht zu argumentieren, Stakeholder zu gewinnen, Dialoge zu führen, Journalisten zu informieren. Da kann ja niemand kontrollieren, was der Journalist aus einer Botschaft macht.

Ganz klar: Jeder hat diese offenen und ehrlichen Anzeigen dieser sympathischen Firma aus UK vor Augen. „Beyond Petroleum“  erklärten Sie uns, wieso BP alles für die Umwelt und die Zukunft unseres Globus tue. Kein Journalist musste kritisch nachfragen. Kein Argument konnte widerlegt werden. Schließlich zahlte BP ja offen und ehrlich für den Anzeigenraum. Dabei war es nach diversen Umwelthavarien in den USA schon zu Beginn der Amtszeit des jetzigen CEO Tony Hayward ein offenes Geheimnis, dass BP Gewinne zu Lasten der Sicherheit und der Umwelt maximiert hatte. Haywards hektische Versuche, dem entgegenzuwirken blieben wirkungslos. Anders als seine Werbung. Ganz offen und ganz ehrlich machte sie deutlich, dass BP alles tut, um der Umwelt nicht zu schaden.

Oder habe ich Sie da missverstanden, Herr Jung? War das insgeheim der Appell an Unternehmen und Agenturen, künftig Werbeanzeigen und TV-Spots zu entwickeln, in denen BP seine zig Fehlversuche beim Schließen des Bohrlochs darstellt und berichtet, warum man jeweils gescheitert ist? Was es der Ruf nach ganzseitigen Dialoganzeigen, in denen Toyota – ganz glaubwürdig – im Streitgespräch mit Verbraucherschützern sich der kritischen Frage stellt, was man hätte anders machen müssen?

Nein, am Ende war es alles nur PR. PR verfolgt Interessen und liefert Argumente, auch strittige Argumente. Holger Jung als Inhaber einer der größten Werbeagenturen hat ein Interesse: Dem Trend der Unternehmen immer weniger Budget in Werbung und immer mehr Budget in Dialog, relevanten Content, PR oder Stakeholder-Management zu investieren entgegenzutreten.

So ist das Interview zweierlei: Erstens der Beweis, dass auch Werber PR machen, wenn sie nachhaltige Wirkung erzielen und Einstellungen ändern wollen. Zweitens die Erkenntnis, dass glaubwürdige PR mehr ist als Effekthascherei und reines Negative Campaigning.

Kassaei scheitert am Widerstand der Traditionalisten

stakeholder-event_standingGanze zehn Monate war Amir Kassaei Chef des ADC. Nun ist er zurückgetreten. Offenbar gescheitert am Widerstand der Traditionalisten in der Werbebranche. Denjenigen, die noch nicht verstanden haben, wie sehr das Geschäftsmodell Werbung gerade erodiert. Wenn trotz Krise die Unternehmen über Nacht Millionen Euro schwere Werbebudgets als reine Kostenblöcke streichen können und sie dadurch nicht einmal Absatzprobleme hinnehmen müssen. Dann muss sich die Werbebranche selbstkritisch hinterfragen. Kassaei hat völlig recht, wenn er anmahnt, dass Kommunikation endlich wieder an Relevanz gewinnen muss.
Viel zu oft war und ist Werbung völlig selbstreferentiell. Kreativität wird als Selbstzweck, denn je irrelevanter eine Werbebotschaft, desto lauter muss sie formuliert werden. Nachhaltig ist das nicht. Und auf Dauer sogar nervend.
Schlimmer aber noch: Während sich die Agenturen mit mehr oder weniger gefakten Kreativwettbewerben selbst feiern, lassen sie ihre Kunden mit DER Herausforderung allein: Endlich Relevanz in die Kommunikation bekommen.
Auch SPIEGEL Online berichtet.

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