GroKo – quo vadis
Am 7. Februar erzielten die drei Parteien CDU, SPD und CSU einen Durchbruch in ihren Verhandlungen und konnten einen neuen Vertrag für eine Wiederauflage der Großen Koalition schließen. Diesem Vertrag müssen jetzt noch ein CDU Parteitag und die Mitglieder der SPD zustimmen. Während ersteres trotz interner Kritik am Ergebnis als Formsache gelten dürfte, stellt zweiteres eine ernstzunehmende Hürde dar. Allerdings dürften die Ereignisse von Mittwoch die Chancen einer Zustimmung deutlich gesteigert haben. Nicht nur sind einige wichtiger Erfolge aus Sicht der SPD zu konstatieren, auch der personelle Rochade die den bisherigen Parteivorsitzenden Schulz aus dem Fokus nimmt, dürften die Zustimmung steigern. Andrea Nahles gilt als Führungsfigur, der die meisten in der Partei zutrauen, den Erneuerungsprozess der SPD parallel zur Regierungsarbeit voranzutreiben. Die NoGroKo Vertreter gerieten erkennbar in die Defensive.
Vielfach wurde von einer Niederlage der CDU gesprochen und geschrieben. Das ist zweifelsohne richtig. Dabei ist die Frage des Finanzministeriums nur ein Symbol. Viel entscheidender ist der Umstand, dass CSU und SPD ein doppelter Coup gelang: Erstens konnten beide ihre Führungsfragen und die Frage nach den Machtzentren bis 2021 klären. Die CSU wird in Bayern von MP Söder in das nächste Jahrzehnt geführt, während der Parteivorsitzende und Superminister Seehofer noch für weitere vier Jahre die bundespolitische Größe der CSU darstellt. In der SPD kann Andrea Nahles eine Rolle erlangen (Partei- und Fraktionsvorsitzende), mit der schon viele Vorsitzende in der Vergangenheit liebäugelten, die aber in der SPD eine historische Seltenheit darstellt. Zugleich wird Olaf Scholz als Finanzminister und Vizekanzler die SPD Stimme im Kabinett sein. Die beiden vertrauen einander und können die K-Frage 2021 im Einvernehmen klären. Ganz anders die CDU, über der nun drei Jahre lang die Nachfolgefrage als Damoklesschwert hängt, denn weder wird ein Kronprinz oder eine Kronprinzessin installiert, noch sind die Machtverhältnisse zwischen liberal-konservativen Kräften und moderatem Merkelflügel geklärt. Das wird die gefühlte Dominanz der Bundeskanzlerin in der Großen Koalition I und II beenden und eine ganz neue Form der Koalition einleiten.
Da kommt erschwerend ein zweiter Punkt hinzu. CSU und SPD gelingt es, sehr klare Profile in dieser Koalition für sich zu erlangen. Damit können beide Parteien sich profilieren, Unterschiede herausstellen, ohne ständig zänkisch agieren zu müssen. Die CSU wird künftig über die meisten der Milliarden Infrastrukturinvestitionen wachen: Straße, Schiene, Breitband, Wohnen, Bauen – allein die Energienetze liegen in der Verantwortung des Wirtschaftsministeriums. Überdies kann eine strikte Flüchtlingspolitik die rechte Flanke der Union bedienen. Die SPD dagegen wird das Thema Europa besetzen und die Antwort auf Macron zur Zukunft der Europäischen Union wesentlich prägen können. Noch wichtiger aber: Mit Ausnahme des Themas Gesundheit liegen in den SPD Ressorts alle Alltagsthemen. Die SPD kann sich als die Partei der Mittelschichten profilieren: Arbeit, Soziales, Rente, Familie, Frauen, Jugend und Verbraucherschutz. Dagegen wirken die Ressorts der CDU wie eine bunter Flickenteppich.
Wer also glaubt, dass diese Koaliton eine bloße Fortsetzung der bisherigen Großen Koalition sein wird, der kann sich eventuell dramatisch täuschen. Zwei weitere Gründe sprechen dagegen. Diese Koalition macht das Füllhorn in Richung Investitionen in Soziale und reale Infrastrukturen auf. Der Investitionsstau soll aufgelöst werden und damit die öffentliche Daseinsvorsorge erheblich gestärkt werden. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass neben der Flüchtlingsfrage Themen der Teilhabe, der fehlenden öffentlichen Infrastruktur und des Stadt/Land-Gefälles wesentliche Treiber für die Wahl der AfD waren. Gelingt es diese Investitionen umzusetzen, dann kann dem Eindruck des Stillstands in Deutschland entgegengewirkt werden. Übrigens wird daher auch extra eine Enquetekommission zum Thema Bürgerbeteiligung und damit zur Steigerung von Akzeptanz bei solchen Vorhaben eingesetzt werden. Der andere Grund liegt in den viel belächelten 105 Kommissionen und Expertenrunden, die in diesem Koalitionsvertrag vereinbart wurden. Man darf dabei nicht übersehen, dass diese Kommissionen teilweise sehr klare Arbeitsaufträge haben und nicht so unbestimmt Fragestellungen hin und her diskutieren sollen, wie es den Eindruck hat. Auch das kann dazu führen, dass diese Koalition versuchen wird, die wichtigsten Stakeholder der eigenen Politik mitzunehmen, auch um auf diese Weise die Realisierung dieser Politik zu beschleunigen – und ja, in Teilen ist dies auch eine Vertagung von Konflikten, die nicht gelöst werden konnten (z.B. bei der Angleichung der Arzthonorare).
Gelingt diese Form der Politik, so bedeutet das für Wirtschaftsakteure, dass sie noch viel mehr darauf hinwirken müssen, sich als konstruktive Experten für die Politik anzubieten und weniger auf konfrontatives Gegensteuern zu beschränken. Das ist bei solchen Multistakeholder-Ansätzen ein hochkomplexer Vorgang, erfordert Thought Leadership, Aufbau von fachlichen und gesellschaftlichen Kompetenzen und einen transparenten sowie ehrlichen Umgang mit den eigenen Interessenlagen.