Strategieblog

Ein Déjà-vu oder was die Regierung Merkel gerade falsch macht

Das Déjà-vu 2015

Dieser Tage fühlt man sich erneut an die Jahre 2015 und 2016 erinnert. Eine menschliche Tragödie in Europa rüttelt die Menschen auf dem ganzen Kontinent auf. Angela Merkel erkennt diese Tragödie, versteht die Betroffenheit “ihrer“ Bürger und mobilisiert diese Emotionen, um die Krise zu lösen – nicht in Trippelschritten, sondern mit einem tiefgreifenden Akt konsequenter Politik. Sie unterwirft das politische Berlin, die Administration, die Regierung und das Parlament ihrer Logik und ihrer Krisenlösung. Und sie tut das Richtige. 2015 nach menschlichem Ermessen und ethischen Standards, 2020 nach wissenschaftlichem Kenntnisstand. Damit verhindert sie eine noch viel umfassendere Krise, Hunderttausende Flüchtlingstragödien in 2015 und weitere zigtausend Corona-Tote in Deutschland.

Doch leider geht das Déjà-vu weiter: Es wiederholen sich auch die Unzulänglichkeiten der Bundeskanzlerin und der im wachsenden politischen Streit liegenden Führungspersonen um sie herum. Sie versteht es nicht, die Menschen im Land auf Dauer mitzunehmen. Sie verliert den einmal hergestellten Kontakt, sie agiert als gute Verwalterin, aber als schlechte Kommunikatorin. Was 2016 in eine Krise der Union mündete und zum Aufstieg der AfD führte, ruft 2020 eine bislang unbekannte Bewegung (Widerstand 2020) hervor, die in kürzester Zeit über 100.000 Unterstützer gefunden hat und deren nachhaltige Überlebensfähigkeit momentan niemand einschätzen kann Insgesamt ist die Polarisierung, die Verbreitung von Verschwörungstheorien, aber auch die Reichweite rechtspopulistischer Messages wieder auf einem sehr hohen Niveau angekommen. Die Zustimmungswerte für die Regierung beginnen zu stagnieren bzw. leicht abzunehmen.

Die kommunikative Realität „da draußen“

Auch die kommunikative Lage ähnelt der in 2015. Während es in der breiten Öffentlichkeit hohe Zustimmungswerte für die Politik der Kanzlerin gibt, sind es die Echoräume der Sozialen Medien, in denen die Politik der Regierung in Frage gestellt wird und ‚alternative Fakten‘ verbreitet werden. Die vorhandene Unsicherheit über die hochdynamische Entwicklung und der Frust über die eigene Lebenslage der Menschen werden gezielt ausgenutzt. Damit erzielen die Angstmacher Involvements und Resonanzen, über die die klassischen Medien froh wären. Diese wiederum steigerten sich zu Beginn der Krise in eine quasi vorbehaltlose Zustimmung der politischen Maßnahmen, in der kritische Stimmen rar waren. Später dann schwenkten viele Medien unter dem Eindruck der Stimmungsmache in den Sozialen Medien, einzelner Politiker und auch des eigenen ökonomischen Drucks um.

2015 hatte die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles frühzeitig gewarnt, man brauche einen realistischen Kurs. Damals war die Kernaussage der Kanzlerin „Wir schaffen das“. Nahles fragte: „Ja aber wie schaffen wir es, ohne die Menschen in Deutschland zu überfordern?“ Auch 2020 stellt sich angesichts einer tiefgreifenden Gesundheits- und Wirtschaftskrise, dramatischer Zahlen am Arbeitsmarkt und drohender weiterer Insolvenzen die Frage, wie die Menschen in diesem Land für die politischen Entscheidungen mitgenommen werden können. Die Antwort darauf muss weit über die aktuelle Situation und die Mai-Wochen hinaus reichen. Die Antwort wird vor dem Hintergrund zunehmender Kampagnen von Gegner dieses gesundheitspolitischen Kurses (wie Widerstand 2020 oder dem Verband der Familienunternehmer) immer drängender. Denn die Gegner des Regierungskurses haben ein einfaches Spiel, ihre Antworten sind einfach und verzichten auf ethische Abwägungen. Damit sind ihre Botschaften leichter zu transportieren, als die eines komplexen Regierungshandelns.

Was wir jetzt brauchen

Ministerpräsidenten und Bundesregierung kommunizieren gegenwärtig vollständig im Modus der starken Exekutive. Sie entscheiden nach rational vernünftigen Erwägungen und verkünden ihre Entscheidungen. Leider werden diese Entscheidungen von ihren Zuhörern als gar nicht so vernünftig wahrgenommen, denn die erforderlichen Abwägungen und die notwendige Dämpfung des öffentlichen Lebens führen immer zu Entscheidungen, die willkürlich erscheinen: Wieso sind 750 qm Ladenfläche noch in Ordnung, aber 850 qm nicht mehr? Wieso bleiben überfüllte Wochenmärkte offen, während Einkaufszentren nicht öffnen dürfen? Wieso wird Friseuren die Wiedereröffnung erlaubt und dem Beauty-Salon nicht? Wieso darf der Spielplatz öffnen, nicht aber das Fitnessstudio? Wieso wird Urlaub an der Ostseeküste genauso untersagt wie die Kreuzfahrt auf beengtem Raum? Es gibt in diesem Dickicht der Entscheidungen keine richtigen, keine gerechten, keine in jeder Dimension sinnvollen Entscheidungen. Es ist ein Abwägen und am Ende ein Durchregieren. Das aber erscheint demjenigen, der diese Abwägungsprozesse nicht nachvollziehen kann und muss, sich nur mit den Entscheidungen auseinandersetzt immer willkürlich. Der Umstand, dass die Ministerpräsidenten dabei ganz unterschiedliche Voraussetzungen im Infektionsgeschehen und in ihrer Wirtschaft und sozialen Infrastruktur vorfinden und daher auch zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen, wird dabei nicht als rational, sondern als willkürlich oder persönlich motiviert wahrgenommen. Dieses Gefühl der Willkür ist aber der Nährboden für Zweifel, die gezielt aus politisch interessierten Kreisen der Rechtspopulisten oder der Familienunternehmer gestreut werden.

Die Kommunikation in dieser Krise muss daher einer komplett anderen Logik folgen, einer Logik, die auch mehr und mehr die politischen Entscheidungen selbst dominieren muss. Denn sowohl für die Kommunikation, als auch den Erfolg der Lockerung des Lockdowns ist eine Frage entscheidend: „Wie schaffen wir es, die Menschen mitzunehmen und für ein sozial und gesundheitlich verantwortliches Verhalten zu sensibilisieren?“ Es geht dabei um eine langfristig angelegte Akzeptanzkommunikation, die jenseits des Krisenmodus eine notwendige Strategie verfolgt.

Da kann der Blick zurück in die Geschichte helfen: Die wohl gefährlichste und tödlichste moderne Infektionskrankheit AIDS kam in den 80er Jahren zuerst in den Großstädten der westlichen Welt auf. Sie grassierte als „Schwulenseuche“ und schon bald wurde klar, dass sie beim Sex übertragen wurde. Lange bevor man AIDS (und HIV) detailliert verstanden hatte und lange bevor wirksame Medikamente zur Verfügung standen, musste diese Infektion gestoppt werden. Auch hier gab es in einigen Ländern zunächst den Versuch, mit restriktiven Mitteln dagegen vorzugehen. Das Ergebnis war unmissverständlich: Zwar konnten einige Infektions-Hotspots geschlossen und damit Infektionsgeschehen verlangsamt werden. Ideen HIV-Positive zu isolieren oder zu kennzeichnen, waren aber nirgends durchsetzbar, so scheiterte der restriktive Weg schnell. Es war die Politik der Aufklärung, die auf Verhaltensänderungen zielte, die einen tiefgreifenden Erfolg erzielen konnte und die dynamische Entwicklung dieser Krankheit eindämmen half, bis wirksame Medikamente auf den Markt kamen. Eine solche Verhaltensänderung ist eine Kombination aus grundsätzlichem Selbstverständnis („verhalte dich so, als sei Dein Gegenüber HIV-positiv“), mit einfachen Verhaltensweisen („Safer Sex“ oder im Umgang mit offenen Wunden) und technisch einfachen Hilfsmitteln (Kondome).

Angesichts der Tatsache, dass Covid-19 nicht schnell verschwinden wird, weitere Pandemie-Wellen jederzeit möglich sind und erst ein Impfstoff und eine massenweise Impfbereitschaft diesen Virus eindämmen werden, muss man davon ausgehen, dass wir in Deutschland sicherlich bis 2022 mit Covid-19 zu tun haben werden. Hinzu kommt die Gefahr, dass sich Pandemien in einer globalisierten Welt regelmäßig wiederholen werden. Es bleiben also die Fragen: Welche Verhaltensweisen von Safer Work, Safer Travel und Safer Events, können wir uns aneignen, um dauerhaft mit diesem oder jedem vergleichbaren Virus zu leben? Welche Hygienemaßnahmen brauchen wir, wie muss unser auf Krisen vorbereitetes Gesundheitssystem aussehen?

Eine Regierung, die auf Verhaltensänderungen zielt und konsequent in diesem Sinne kommuniziert, appelliert an den Einzelnen und fordert jeden auf, Teil des Kampfes gegen diese Pandemie zu werden. Sie schafft es, dass Menschen sich zunehmend freiwillig dem gewünschten Verhalten anschließen, kann auch Zuwiderhandlungen klarer sanktionieren und zugleich Akzeptanz erhalten. Damit spielt sie den Ball an Nörgler und Kritiker aus der Wirtschaft zurück. Wer nicht sicherstellen kann, dass seine Verkaufsfläche immer ausreichend Abstand zwischen den Menschen bietet, wer kein Management der Warteschlangen betreibt, wer sich weigert, wartende Kunden auch wegzuschicken, wer keine Hygiene im Betrieb sicherstellt und den nötigen Abstand zwischen den Mitarbeitern sicherstellen kann, der wird sanktioniert und dessen Betrieb wird für längere Zeit geschlossen. Wer hingegen ein verantwortliches Verhalten möglich macht, es bewusst fördert, der muss sich nicht fragen lassen, ob er 300 oder 900 qm Fläche bewirtschaftet. Wer eine Messegesellschaft es garantiert, dass nie zu viele Besucher auf dem Gelände, die Abstände eingehalten und Hygienemaßnahmen und Belüftung permanent betrieben werden, kann auch ohne Probleme eine Fachmesse durchführen.

Vor allem aber bedeutet eine am Verhalten ausgerichtete Kommunikation für die Regierung auch eine langfristig durchhaltbare Kommunikationslinie. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich einbauen. Die Menschen können neue Verhaltensweisen im Alltag trainieren. Die vielbeschworene zweite Corona-Welle, aber auch „bloße“ Grippewellen können jeweils durch eine Intensivierung der Verhaltensregeln begleitet werden – so könnte Mundnasenschutz in Grippezeiten „normal“ werden. Dazu gehört auch der Hinweis, sich bei Krankheitsgefühlen nicht in die Öffentlichkeit zu begeben, sondern lieber zuhause zu bleiben und das dringendste aus dem Homeoffice zu erledigen.

Noch heute erinnern sich viele an die Bundesgesundheitsministerin Rita Süßmuth, weil sie damals gegen erhebliche Widerstände die verhaltensorientierte Kommunikation innerhalb der Bundesregierung durchgesetzt hat.

Es ist Zeit für mehr Süßmuth in dieser Regierung.

GroKo – quo vadis

Am 7. Februar erzielten die drei Parteien CDU, SPD und CSU einen Durchbruch in ihren Verhandlungen und konnten einen neuen Vertrag für eine Wiederauflage der Großen Koalition schließen. Diesem Vertrag müssen jetzt noch ein CDU Parteitag und die Mitglieder der SPD zustimmen. Während ersteres trotz interner Kritik am Ergebnis als Formsache gelten dürfte, stellt zweiteres eine ernstzunehmende Hürde dar. Allerdings dürften die Ereignisse von Mittwoch die Chancen einer Zustimmung deutlich gesteigert haben. Nicht nur sind einige wichtiger Erfolge aus Sicht der SPD zu konstatieren, auch der personelle Rochade die den bisherigen Parteivorsitzenden Schulz aus dem Fokus nimmt, dürften die Zustimmung steigern. Andrea Nahles gilt als Führungsfigur, der die meisten in der Partei zutrauen, den Erneuerungsprozess der SPD parallel zur Regierungsarbeit voranzutreiben. Die NoGroKo Vertreter gerieten erkennbar in die Defensive.

Vielfach wurde von einer Niederlage der CDU gesprochen und geschrieben. Das ist zweifelsohne richtig. Dabei ist die Frage des Finanzministeriums nur ein Symbol. Viel entscheidender ist der Umstand, dass CSU und SPD ein doppelter Coup gelang: Erstens konnten beide ihre Führungsfragen und die Frage nach den Machtzentren bis 2021 klären. Die CSU wird in Bayern von MP Söder in das nächste Jahrzehnt geführt, während der Parteivorsitzende und Superminister Seehofer noch für weitere vier Jahre die bundespolitische Größe der CSU darstellt. In der SPD kann Andrea Nahles eine Rolle erlangen (Partei- und Fraktionsvorsitzende), mit der schon viele Vorsitzende in der Vergangenheit liebäugelten, die aber in der SPD eine historische Seltenheit darstellt. Zugleich wird Olaf Scholz als Finanzminister und Vizekanzler die SPD Stimme im Kabinett sein. Die beiden vertrauen einander und können die K-Frage 2021 im Einvernehmen klären. Ganz anders die CDU, über der nun drei Jahre lang die Nachfolgefrage als Damoklesschwert hängt, denn weder wird ein Kronprinz oder eine Kronprinzessin installiert, noch sind die Machtverhältnisse zwischen liberal-konservativen Kräften und moderatem Merkelflügel geklärt. Das wird die gefühlte Dominanz der Bundeskanzlerin in der Großen Koalition I und II beenden und eine ganz neue Form der Koalition einleiten.

Da kommt erschwerend ein zweiter Punkt hinzu. CSU und SPD gelingt es, sehr klare Profile in dieser Koalition für sich zu erlangen. Damit können beide Parteien sich profilieren, Unterschiede herausstellen, ohne ständig zänkisch agieren zu müssen. Die CSU wird künftig über die meisten der Milliarden Infrastrukturinvestitionen wachen: Straße, Schiene, Breitband, Wohnen, Bauen – allein die Energienetze liegen in der Verantwortung des Wirtschaftsministeriums. Überdies kann eine strikte Flüchtlingspolitik die rechte Flanke der Union bedienen. Die SPD dagegen wird das Thema Europa besetzen und die Antwort auf Macron zur Zukunft der Europäischen Union wesentlich prägen können. Noch wichtiger aber: Mit Ausnahme des Themas Gesundheit liegen in den SPD Ressorts alle Alltagsthemen. Die SPD kann sich als die Partei der Mittelschichten profilieren: Arbeit, Soziales, Rente, Familie, Frauen, Jugend und Verbraucherschutz. Dagegen wirken die Ressorts der CDU wie eine bunter Flickenteppich.

Wer also glaubt, dass diese Koaliton eine bloße Fortsetzung der bisherigen Großen Koalition sein wird, der kann sich eventuell dramatisch täuschen. Zwei weitere Gründe sprechen dagegen. Diese Koalition macht das Füllhorn in Richung Investitionen in Soziale und reale Infrastrukturen auf. Der Investitionsstau soll aufgelöst werden und damit die öffentliche Daseinsvorsorge erheblich gestärkt werden. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass neben der Flüchtlingsfrage Themen der Teilhabe, der fehlenden öffentlichen Infrastruktur und des Stadt/Land-Gefälles wesentliche Treiber für die Wahl der AfD waren. Gelingt es diese Investitionen umzusetzen, dann kann dem Eindruck des Stillstands in Deutschland entgegengewirkt werden. Übrigens wird daher auch extra eine Enquetekommission zum Thema Bürgerbeteiligung und damit zur Steigerung von Akzeptanz bei solchen Vorhaben eingesetzt werden. Der andere Grund liegt in den viel belächelten 105 Kommissionen und Expertenrunden, die in diesem Koalitionsvertrag vereinbart wurden. Man darf dabei nicht übersehen, dass diese Kommissionen teilweise sehr klare Arbeitsaufträge haben und nicht so unbestimmt Fragestellungen hin und her diskutieren sollen, wie es den Eindruck hat. Auch das kann dazu führen, dass diese Koalition versuchen wird, die wichtigsten Stakeholder der eigenen Politik mitzunehmen, auch um auf diese Weise die Realisierung dieser Politik zu beschleunigen – und ja, in Teilen ist dies auch eine Vertagung von Konflikten, die nicht gelöst werden konnten (z.B. bei der Angleichung der Arzthonorare).

Gelingt diese Form der Politik, so bedeutet das für Wirtschaftsakteure, dass sie noch viel mehr darauf hinwirken müssen, sich als konstruktive Experten für die Politik anzubieten und weniger auf konfrontatives Gegensteuern zu beschränken. Das ist bei solchen Multistakeholder-Ansätzen ein hochkomplexer Vorgang, erfordert Thought Leadership, Aufbau von fachlichen und gesellschaftlichen Kompetenzen und einen transparenten sowie ehrlichen Umgang mit den eigenen Interessenlagen.

Digitale Transformation.

Wie sich Unternehmenskultur und Leadership verändern müssen, damit der „Change at its worst“ gelingt. Von Birka Friedrich, Seniorberatung Change Management & Interne Kommunikation (J+K Hamburg)

 

Die Digitalisierung ist komplexer und herausfordernder als jeder Wandel, den ein Unternehmen bisher vollzogen hat. Es ist eine Transformation in eine Organisation, von der auch die Unternehmensführung nicht weiß, wie sie morgen und übermorgen aussehen wird. Versprechen darüber, was man in ein paar Jahren erreicht haben wird, werden unglaubwürdig. Die sich dynamisch entwickelnden Technologien und Geschäftsmodelle lassen sich nicht in traditioneller Marketing-Manier via Marktforschung bei 1.000 Testkunden ausprobieren. Die digitale Transformation passiert in der Arbeitswelt live und ist für alle Beteiligten wie eine Operation am offenen Herzen.

Change Manager, Personaler wie Kommunikatoren stehen vor einem gravierenden Problem: Die digitale Transformation lässt nicht entlang vorab definierbarer Prozesse für vorab definierbare Zielorganisationen und Ziel-Unternehmenskulturen planen und realisieren. Was bleibt, künftig aber an immenser Bedeutung gewinnt, ist der Faktor Mensch. Es gilt, Führungskräfte und Mitarbeiter als Schlüssel einer erfolgreichen Digitalisierung zu erkennen und ihnen entsprechend gerecht zu werden. Dann wird es gelingen, in der Unternehmenskultur und im Leadership elementare Charakteristika in einer Qualität auszuprägen, aus der heraus eine Digitalisierung erfolgreich erwachsen kann.

 

„Digitale“ Unternehmenskultur

Damit Innovation stattfinden und diese überhaupt in Disruption münden kann, braucht es eine Unternehmenskultur, die Erneuerung zulässt, fordert und fördert. Eine Kultur, in der Unternehmergeist und Kreativität nicht nur willkommen sind, sondern zum erklärten Maßstab der Mitarbeiterkompetenzen werden. Es braucht eine tiefgreifende Fehler- und Feedbackkultur. Weitere bisherige Zusatzkompetenzen und „nice-to-have“-Werte wie Mut und Selbstreflektion werden unverzichtbar.

Die Notwendigkeit zur äußeren Vernetzung, Kollaboration und Partizipation – ein wesentlicher Baustein und Treiber in der Digitalisierung – bleibt ohne die Fähigkeit und Bereitschaft, dies konsequent über alle Hierarchien hinweg einzulösen, nichts als ein heerer Wunsch.

Bisherige Grenzen und Gräben im Unternehmen sind aufzulösen. Dieses ist keine Frage von einem diffusen abteilungs-, bereichs- oder standortübergreifenden Wir-Gefühl und eines guten, teamorientierten Betriebsklimas. Erfolgreiche Digitalisierung verlangt das Neuzusammenbinden von Strukturen, Prozessen und Geschäftsmodellen – und zwar nicht einmal, sondern mehrfach, je nach Bedarf immer wieder. Nur wenn Aufbau- und Ablauforganisation darauf bewusst ausgerichtet werden, wird die Unternehmenskultur den Grad von Agilität ausprägen und erlauben, den die Digitalisierung benötigt.

 

„Digitales“ Leadership

Während Agilität faktische Flexibilität benötigt, erfordert die im Zuge der Digitalisierung eben so viel beschworene, unabdingbare Resilienz enorme soziale und emotionale Stabilität von Beziehungen zwischen Management und Mitarbeitern. Nur dann wird die neue Unsicherheit über die Zukunft zum Alltag und akzeptiert. Nur dann entsteht daraus keine Verunsicherung. Hieran zeigt sich für ein Unternehmen der enorme Wert der guten Beziehungen zu seinen internen Stakeholdern und wie wertschöpfend es ist, dieses Beziehungskapital stetig und sorgfältig zu pflegen.

Die Führungskraft muss für die Etablierung zukunftsfähiger Beziehungen ihre Rolle neu definieren, Haltung und Verhalten wandeln: Denn Dienen ist das neue Führen. Die Führungskompetenz zeigt sich nunmehr darin, einem Team von Spezialisten alle Freiheiten und das Vertrauen zu geben. Für viele Führungskräfte, die sich bisher als „Fach-Vorgesetzte“ sahen und die künftig die Expertise ihrer Mitarbeiter nicht mehr verstehen werden, wird darin ein gewaltiger Entwicklungsschritt bestehen.

Dass das Top-Management als Vorbild hingegen eine Renaissance erfährt, ist kein Widerspruch. Weil die Erfordernis zur Sinnstiftung im Zuge von Digitalisierung eine neue Dimension erlangt. Und zwar keine über Ziel- bzw. Leitbilder. Denn die digitale Transformation verändert auch Orientierungsmuster. Es geht um Visionen, um Haltungsfragen und um Transparenz. Mitarbeitermotivation für digitalen Wandel gelingt nur durch aktives Vorangehen und Inspiration für eine übergeordnete Vision. Ab sofort muss dafür keiner mehr zum Arzt. Im Weiteren kann es für den ergebnisoffenen Prozess, der mit der Digitalisierung einhergeht, nur noch Handlungsleitlinien geben. Essentials und Prozessziele können Wege weisen und die Chance auf das Commitment der Mitarbeiter von morgen – die Digital Natives, Millenials, Generation Ys und Zs – eröffnen.

Somit sind Change Management, Unternehmenskommunikation und Human Resources wie schon lange nicht mehr gemeinschaftlich gefordert: Hand in Hand müssen sie das Unternehmen und alle handelnden Akteure für diese herausragenden Herausforderungen befähigen und nachhaltig unterstützen.

Birka Friedrich ist zu erreichen unter b.friedrich@jk-kom.de.

Neu Denken verlangt Mut, die alten Bahnen zu verlassen

Dieser Tage entbrannte eine öffentliche Diskussion über die künftige Wahlkampfstrategie der SPD. Auslöser waren sechs Thesen zum Wahlkampf, die als sechs „Wege“ aus der Krise bezeichnet wurden und in der Überschrift „Wahlkampf Neu Denken“ verlangten. Was dann folgte waren fünf Binsenweisheiten und nur eine wirklich spitze, neue These: Die SPD müsse lernen zu demobilisieren. Diese These provoziert zurecht den Meinungsstreit. Die Mobilisierungsprobleme der SPD haben sich ja nicht nur in Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen gezeigt – daraus aber eine Demobilisierung der Wählerinnen und Wähler als strategische Perspektive abzuleiten hat wirklich Chuzpe. Mit anderen Worten: Wenn die SPD bitte schön schon komplett demobilisiert ist, dann soll sie den Wahlkampf auch gleich so gestalten, dass möglichst niemand mehr zur Urne geht.

Wie das in Zeiten emotionaler Polarisierung und populistischer Zuspitzungen gelingen soll, bleibt offen. Mehr noch: Der Wahlkampf der SPD in Baden-Württemberg, Thüringen oder Sachsen-Anhalt war nicht mobilisierend oder polarisierend. Er hatte nichts emotionales und konnte offenkundig die eigenen Wähler nicht binden. Also beste Voraussetzungen für einen demobilisierenden Wahlkampf. Der Umstand, dass die Wahlbeteiligung am 13. März dennoch rasant in die Höhe schnellte, demonstriert doch, dass solch eine Wahlkampfkampagne so wenig Relevanz entfaltet, dass sie keinerlei Einfluss auf den Mobilisierungsgrad der Wähler hat.

Es lohnt sich also ein deutlich analytischerer Blick auf die aktuellen Entwicklungen. Das ist nicht nur ein Thema der SPD, denn alle Parteien müssen mit der aktuell extrem hohen Volatilität im Wählermarkt umgehen:

  1. Die SPD muss erkennen, dass es kein verbrieftes Anrecht darauf gibt, als Volkspartei verstanden zu werden. Die SPD wird immer häufiger von den Wählern als Funktionalpartei eingeordnet. Was bedeutet das? Die Zahl der Wähler, die quasi automatisch der SPD ihre Stimmen geben, schwindet drastisch. Dem kann die SPD immer dann entgegentreten, wenn sie die Frage nach der eigenen funktionalen Rolle beantworten kann. Dort wo das gelang, wurde sie auch deutlich stärker gewählt. Dort wo sie nicht einmal als Mehrheitsbeschaffer für andere unverzichtbar war, bricht die Wählerunterstützung weg.
  2. Die SPD hat offenbar nur noch ein starkes Pfand, um Wahlen am Ende zu gewinnen: Glaubwürdiges, empathisches Personal. Dort wo dieses Personal an der Spitze vorhanden ist und bestenfalls bereits regiert, kann die SPD gute Ergebnisse erzielen. Dieses gilt nicht nur im Vergleich der Landtagswahlen im März, sondern auch die Kommunalwahlen in Hessen legen diese Betrachtung nahe. Das ist gut dort, wo die SPD solche Personen noch hat. Das stellt sie aber dort vor eine Herkulesaufgabe, wo das Vertrauen in die Partei beim Wähler nicht durch einen Landesvater oder eine Oberbürgermeisterin hergestellt werden kann.
  3. Die SPD hat das heterogenste Wählerklientel aller Parteien. Sie muss damit strategisch umgehen lernen. Das Setzen auf große Kampagnen und mediale Hypes funktioniert nicht mehr. Je heterogener Wählerklientel sind, desto kleinteiliger und direkter muss die Ansprache erfolgen. Die Wiederentdeckung des Haustürwahlkampfs 2012/13 hat es vorgemacht. Wo immer der Haustürwahlkampf ins Rollen kam, konnte die SPD deutliche Zugewinne verzeichnen. Und aktuell: Wie soll denn eine aussagekräftige, emotional ansprechende Botschaft beim Thema Flüchtlinge für alle Wähler aussehen? Die einen sind ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe aktiv und wollen etwas für diese Menschen tun. Gleichzeitig gibt es die anderen, die diese Form der Zuwanderung ängstigt und verunsichert. Darum muss die SPD lernen nicht in tollen kreativen Kampagnen zu denken, sondern ein differenziertes Ansprachemanagement aufzubauen.
  4. Im Übrigen: Eine Volkspartei besitzt im besten Sinne in der eigenen Mitgliedschaft viele wichtige Kommunikatoren für ein solches Ansprachemanagement. Es muss aber gelingen, diese zu mobilisieren. Die SPD hat immer nur dann gute Ergebnisse vorweisen können, wenn diese Binnenmobilisierung gelang. Wer sich die Mobilisierungsunterschiede zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg anschaut, kann auch hierin einen Grund für die enorm unterschiedliche Entwicklung in der Wählergewinnung erkennen. Ein Demobilisierungswahlkampf wird also die SPD zuerst treffen. Die SPD hat bundesweit zwischen 1998 und 2009 umgerechnet täglich 2.500 Wähler verloren. Wenigstens einen Teil davon zurückzugewinnen, wird ein mehrjährige Kärrnerarbeit werden.
  5. In diesem Zuge muss ein kritischer Blick auf den Umgang mit den AfD Wählern geworfen werden. Hier sind grundlegende Fehler gemacht worden. Sowohl anbiedernde Äußerungen, die nahelegen die Kritik der AfD/Pegida sei berechtigt, als auch die Beschimpfung („Pack“) und Ausgrenzung haben nur einen Effekt: Es schweißt Wähler und Funktionäre der AfD zusammen. Mit der Niederlage der wählerfernen Besserwisser Lucke und Henkel in der AfD war absehbar, dass die AfD anders als die Piratenpartei kein kurzfristiges, sondern eher ein mittelfristiges Phänomen sein wird. Ein differenzierter Blick in die AfD zeigt, dass es rechtskonservative Demokraten wie Gauland und Meuthen ebenso wie rechtsextreme, völkische Funktionäre wie Höcke und Poggenburg gibt. Richtig wäre es, genau diesen Unterschied auch deutlich zu machen und erstere immer wieder zur Distanzierung von zweiteren aufzufordern, ansonsten aber mit ersteren in den streitbaren, kritischen demokratischen Diskurs zu treten. Nur dann wird man diese Wähler zurückgewinnen.
  6. Was aber muss man diesen Wählern anbieten, um sie zurückgewinnen zu können? Eine Frage, die für alle Parteien der Mitte gleichermaßen gilt. Die AfD ist Ausdruck einer kompletten Verunsicherung und Überforderung in vielen Milieus. Nach zahlreichen Reformen, Globalisierung, Standortwettbewerb, Gleichstellungsdiskussionen, Bildungsdebatten, Digitalisierungsschüben, immer schnelleren Transformationsprozessen in Unternehmen usw. hat sich das Leben der Menschen in den letzten 10 bis 15 Jahren massiv verändert. Alle Gewissheiten gingen verloren. Neue Gewissheiten fehlen. Die Veränderungen erfolgen, aber ohne die Menschen mitzunehmen, ihnen zu erklären, was warum mit welchem Ziel passiert. Und das in einer Sprache, die so einfach ist, wie die von Donald Trump – der ja neuesten Analysen zufolge seine Erfolge auch darauf aufbauen kann, dass gerade seine einfachen Bilder und Hierarchien und ein beschränkter, einfacher Wortschatz für politikferne Mittelschichten Wirkung erzielt, weil diese Wähler erstmals Politik wieder verstehen.
    Die Grundbotschaft muss dabei lauten: Politik kann Sicherheit im Wandel organisieren. Sie muss es sogar tun. Dabei geht es nicht um Sozialpolitik, sondern durchaus auch um Gewissheiten beim Meistern eines immer komplexeren Alltags bspw. durch umfassende Betreuungsangebote. Und es geht um eine Verbindung von öffentlicher, privater und sozialer Sicherheit – nicht erst seit der Silvesternacht 2015/16.
  7. Was bleibt als Fazit? Ganz einfach: Von Platzeck lernen! 2004 hat er in Brandenburg einen mutigen Wahlkampf geführt. Auf dem Höhepunkt der Hartz IV Konflikte, hat er sich nicht versteckt, sondern ist dorthin gegangen, wo die Menschen waren, wo sich ihre Wut, ihre Ängste, ihre Enttäuschung artikulierte und hat ihnen zugehört, ihnen die Politik erklärt und dann auch für den eigenen Kurs geworben. Er hat sich nicht von der Agenda 2010 distanziert, sondern den Kurs des Bundeskanzlers verteidigt. Aber er hat den ganzen Frust der Menschen ausgehalten, Haltung gezeigt und geredet.
  8. Haltung ist wichtiger als Effekthascherei. Es geht nicht darum, dass Kandidaten sich inszenieren und durch alberne Motive Wort halten („Ude hält Wort„), sondern eine Haltung an den Tag legen, die dieses schlicht und einfach tut. Politik handelt vom Leben der Menschen – und das ist in diesen Tagen etwas ernstes.

Aber noch etwas zeigen diese letzten Wahlen: Frank Stauss (Geschäftsführer der für die SPD Rheinland-Pfalz arbeitenden Agentur Butter) hat seit anderthalb Jahren für die Kampagne der Rheinland-Pfalz SPD gekämpft und geworben. Er hat richtigerweise erkannt, wie wichtig Haltung und glaubwürdige Spitzenkandidatin sind. Er hat diesen Kurs gehalten und offenbar dabei auch Malu Dreyers Vertrauen gewinnen können. Der Wind kam von vorne, als einige in der Bundes-SPD seine Thesen nicht hören wollten und auf die drohende Niederlage verwiesen. In Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen dagegen ist das Experiment einer inhouse Beratung der SPD gescheitert.

Kurzum: Unabhängigkeit in der Beratung ist ein elementarer Mehrwert für jeden Kunden, auch in der Politik.

 

Wenn Zivilgesellschaft zum Geschäftsmodell wird – oder: watch abgeordnetenwatch!

Kritik an Politikern, politischen Entscheidungen und am Umgang mit Interessen in der Politik ist nichts neues. Politik in der Demokratie ist das Abwägen und Bewerten von Interessen, politische Entscheidungen sind immer auch Entscheidungen über Interessen. Da kann es nicht wundern, dass Interessenvertretung ein konstitutiver Bestandteil von Demokratie und Parlamentarismus ist. Übrigens zeigt die Schweiz, dass Interessenvertretung auch in plebiszitären, direkten Demokratien kein Deut weniger relevant sind.
Neu ist aber, dass sich seit knapp 12 Jahren die Auseinandersetzung mit dieser Interessenvertretung selbst zum Thema geworden ist. Den Anfang bildete dabei sicherlich der Skandal um Moritz Huntzinger. Die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung e.V. (degepol) mit der Forderung nach Regulierung von Interessenvertretung beispielsweise durch ein Lobbyregister und eine intensive Beschäftigung von Transparency International mit dem Thema „Lobbyismus“ waren die ersten Reaktionen darauf. Später gründen sich dann mit Lobbycontrol e.V. und Parlamentwatch e.V. (abgeordnetenwatch) noch zwei spezialisierte Vereine, die sich dieser Thematik widmen. Doch während Lobbycontrol und Transparency International Nichtregierungsorganisationen sind, die Mitglieder haben, die sich mit den Themen auseinandersetzen und am Ende inhaltliche Positionen erarbeiten und verabschieden, offenbart der Blick auf abgeordnetenwatch etwas völlig anderes.
Abgeordnetenwatch erweckt den Eindruck eine Plattform zu sein, die sich neutral mit der Arbeit der Abgeordneten auseinandersetzt und dem Austausch zwischen Abgeordneten und Bürgern dient. Zielsetzung ist mehr Transparenz für die Arbeit der Abgeordneten. Da wundert es natürlich nicht, dass abgeordnetenwatch jüngst auf den Zug aufsprang und sich nun auch mit Lobbyismus auseinandersetzen will. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt aber, dass abgeordnetenwatch keine neutrale Plattform und NGO ist, sondern ein Geschäftsmodell und keine demokratische Organisation ist.
Die Gründer haben dem Verein Parlamentwatch e.V. – in dem man übrigens nicht Mitglied werden kann, sondern nur als Förderer Geld geben – eine GmbH gleichen Namens beigesellt. Hier sind die beiden Vorsitzenden dann geschäftsführende Gesellschafter. Neben einem Venture Capitalist, der die Aktivitäten des Konglomerats vorfinanziert. Alles klar und offen kommuniziert, so dass in der Fülle der Information der Kern der Botschaft verloren geht: Parlamentwatch ist ein Geschäftsmodell, das letztlich auch den wirtschaftlichen Interessen der Gründer des Start Ups dient.

Besonders deutlich wird dies, wenn man sieht, dass ein Geschäftsführer von abgeordnetenwatch mehrere Hüte aufhat. So managt Geschäftsführer Hackmack gleichzeitig die Businessplattform change.org, die ihr Geld mit der Entwicklung und Organisation von Kampagnen, insbesondere auch Lobbykampagnen verdient. Eine der bekanntesten Kampagnen von change.org war sicherlich die Lobbykampagne für höhere Vergütungssätze der Hebammen in Deutschland. So ist es dann nur logisch, dass abgeordnetenwatch seine Wertschöpfungskette erweitert. Beispielsweise mit dem neuesten Produkt Petition plus. Wer eine Petition ins Leben ruft und über change.orgso bewirbt, dass 100.000 Unterstützer zusammenkommen, erhält die Chance einer Petition plus. Dazu sind 2.000 Euro für eine repräsentative Befragung zum Petitionsthema erforderlich. Befürwortet in dieser Befragung die Mehrheit der Befragten die Petition, befragt abgeordnetenwatch alle Abgeordneten und veröffentlicht diese Ergebnisse einzeln auf abgeordnetenwatch. abgeordnetenwatch hält übrigens die Hand auch an anderer Stelle auf: Die Profile der Abgeordneten in allen Parlamenten können gegen Entgelt ausführlicher und im Sinne der Abgeordneten gestaltet werden.
Die Aktivitäten von Abgeordnetenwatch sind damit also nicht nur von den kommunizierten Interessen getrieben, sondern durchaus eine Unternehmung mit eigenen unternehmerischen Interessen. Mit BonVenture ist ein VC-Fonds wohl der wichtigste Geldgeber des Unternehmens. Auch wenn BonVenture einen besonderen Fokus auf nachhaltige Geschäftsmodelle setzt und Gewinne nach Rückführung der Mittel dann in gemeinnützige Projekte gegen sollen, so bleibt es Venture Capital, das zurückverdient werden will. Und hier scheint Demokratie durchaus als Geschäftsmodell zu taugen: auf BonVentures Website findet sich als abgeschlossenes Projekt Lobbycontrol.

Die Mär von den herumlungernden Lobbyisten – oder acht Lektionen über Lobby und Politik

Dieser Tage konnte man ein Meisterwerk der politischer Ersatzhandlungen sehen. Und zugleich vieles über politische Entscheidungsprozeduren und Interessenvertretung lernen.

Lektion 1:

Man kann in der Politik Probleme kreieren, die keine sind. Mit dem Vorstoß zur Offenlegung der Institutionen der Inhaber von Hausausweisen haben LobbyControl und der Tagesspiegel den Eindruck erweckt, dass diese Frage von irgendeiner Relevanz für den Kampf um Transparenz im Lobbyismus wäre. Das mag für wenige Exemplare an Lobbyisten gelten, die noch ganz im Sinne des Begriffes der Lobby im Bundestag herumlungern und Abgeordnete und andere mit ihren Belangen belästigen. Erfolgreiche Interessenvertreter sind diese Exemplare offenkundig nicht. Wie irrelevant die Liste der Hausausweisträger ist, lies sich ja auch bestens nach ihrer Veröffentlichung erkennen. Überwiegend Parteivertreter und Mitarbeiter parteinaher Stiftungen waren dort zu finden. Ganz im Sinne der beste Lobbyist ist immer noch die eigene Partei?

Lektion 2:

Bei diesem Spiel kann man sich auf die Fehler der politischen Verantwortungsträger verlassen. Der Ältestenrat, die Bundestagspräsident, die Fraktionsvorstände von SPD und CDU/CSU agierten ohne jede Empathie dafür, was sie auslösen würden und verweigerten das Auskunftsinteresse des Tagesspiegels. Damit wurde das „Problem“ zum Politikum. Nach gerichtlichen Niederlagen gaben nach und nach erst die SPD, später die Union ihren Widerstand auf. Die Listen wurden einsehbar. Gähnende Langeweile.

Lektion 3:

Angst und Nervosität sind schlechte Ratgeber in der Politik. Kaum zum Politikum geworden, versuchen die Verantwortungsträger schnell eine Lösung zu finden. Man hat dazu gelernt, denn schwelt der Konflikt lange weiter, wird das Politikum von den Medien zum Skandal erklärt und Politik mal wieder vorgeführt. Also versuchen die Handelnden schnell und energisch Entscheidungen zu treffen. Je schneller und je energischer, um so weniger Luft, Zeit und Interesse ist bei Entscheidungsträgern vorhanden, nach sachgerechten Lösungen zu finden. Ziel ist es, eine „Brandwand“ hochzuziehen. Das Thema „tot zu machen“ und eine Lösung des Problems zu suggerieren.

Also, erklärt man die existierende und bis dato untaugliche Verbändeliste zum Lobbyregister, macht den Eintrag dort zum einzigen Kriterium der Vergabe eines Ausweises. Dann reduziert man die Anzahl der Ausweise je Verband von 5 auf 2, umso sicher nachweisen zu können, dass man die Zahl der Hausausweise drastisch eingeschränkt habe. Damit erklärt man das Problem für gelöst.

Lektion 4:

Hernach muss man allerdings noch schnell Ausnahmeregelungen für die Mitarbeiter der Parteien und der politischen Stiftungen schaffen, damit diese ungehindert und in Hundertschaft wieder ins Haus kommen.

Lektion 5:

Die Betroffenen reagieren ambivalent und uneinig. Damit fällt es den politischen Entscheidern besonders einfach, diese Regelungen rasch und mit wenig öffentlicher Kritik durchzusetzen. (Da nehme ich mal den Beitrag vom degepol Vorsitzenden Dominik Meier im Tagesspiegel ausdrücklich aus.)

Warum das so ist? Einerseits trifft diese Regelungen niemanden ins Mark. Klar, ist es menschlich unangenehm, sich künftig jedes Mal von einem Abgeordnetenmitarbeiter abholen lassen zu müssen. Aber deswegen wird niemand auf einen Termin verzichten. Andererseits zeigen schon die Antworten auf die Anfragen der Oppositionsparteien zur Offenlegung von Regierungskontakten im Vorfeld einzelner Gesetzgebungsverfahren, dass für die meisten Interessenvertreter die Gespräche mit Regierungsvertretern und Mitarbeitern in der Administration ohnehin viel wichtiger sind, als die Kontakte zu den Abgeordneten. Wer erst bei Vorliegen eines Gesetzentwurfs zu „lobbyieren“ anfängt, hat den Kampf ja zumeist schon verloren.

Lektion 6:

Eine solche Regelung hilft den Entscheidungsträgern über die Wahl. Eine Vielzahl an Fragen bleibt ungeklärt: Wann ist ein Verband ein Verband nach Verbändeliste? Lassen sich nun Interessen-Vereine gründen und in die Verbändeliste eintragen? Wie hält es der Bundestag mit dem Gleichheitsgrundsatz, der ausdrücklich auch für den Zugang zum Bundestag gilt und nun einseitig beschränkt wurde? usw.

Natürlich wird es hierzu juristische Auseinandersetzungen geben. Eigentlich bezweifeln fast alle Juristen, dass der Bundestag diese Auseinandersetzungen gewinnen kann. Also wird er in der kommenden Legislaturperiode sich erneut damit befassen müssen.

Lektion 7:

Aber auch politisch haben LobbyControl, der Tagesspiegel und Bundestagspräsident Lammert keine der Fragen gelöst, sondern nur ein Scheingefecht entschieden.

Wann endlich kommt ein Transparenzregister für alle Interessenvertreter, um nachvollziehen zu können, wer welche Interessen strukturell vertritt?

Wann endlich wird ein InteressenBeauftragter geschaffen, der vergleichbar einem Chief Compliance Office wirklich nachfragen kann, wer wann mit wem was verhandelt hat und so Interessenkollisionen transparent macht?

Wann endlich kommt eine Regelung, die das größte Transparenzproblem löst: Bundestagsabgeordnete, die im Nebenjob als Rechtsanwälte selbst Lobbyistentätigkeiten nachgehen, und ehemalige Politiker, denen noch alle Zugänge offenstehen, ohne Transparenzpflichten zu unterliegen. N.B. ehemalige Abgeordnete haben lebenslangen Zugang zu Fraktionssitzungen und zur Parlamentarischen Gesellschaft.

Wann endlich führen wir eine seriöse Diskussion über einen legislative Footprint, der ohne bürokratisches Monster zu sein, dazu beiträgt, ministerielle Konsultationen nachvollziehbar zu machen?

Wann endlich werden Instrumente einer Good Governance eingeführt, die es Interessenvertretern erlauben, ihre Positionen unabhängig davon, ob sie eingeladen werden zu Anhörungen, ihre Stellungnahmen einzureichen und öffentlich zu machen, um für ihre Interessen auch zu werben?

Lektion 8:

Mit dem Bild des in der Lobby herumlungernden und heimlich Termine machenden Lobbyisten im Kopf wurde uns dieser Tage leider vor Augen geführt, wie Politik und Interessenvertretung nicht funktionieren sollten. Umso größer sollte unsere Sorge sein: Wenn es nicht gelingt, adäquate und vor allem gemeinsam getragene Antworten für die zuvor genannten Fragen zu finden, dann wird Compliance in der Interessenvertretung vermutlich erst nach dem nächsten großen Skandal Einzug erhalten. Dann jedoch werden wir kaum eine sachgerechte Lösung erhalten.

Wenn Markenbildung zum Missverständnis wird

Dieser Tage sind gleich zwei sehr prominente Beispiele kommunikativer Neu-Inszenierungen zu beobachten. Dabei wird der Versuch unternommen, Unternehmenskrisen durch eine neue Interpretation der eigenen „Marke“ wegzuwischen. Beides Mal muss der Versuch misslingen.

Da ist ein Konzern in der Krise. Man hat Millionen Kunden in vielen Ländern vorsätzlich eine Software untergejubelt, die sicherstellen soll, dass versprochene Leistungswerte eben gerade nicht erreicht werden können. Egal wie die Juristen das bewerten werden, die wichtigsten Stakeholder und Kunden empfinden es als Betrug. Dieses Empfinden prägt die Erwartungen der Stakeholder, was der Konzern tun sollte, um aus dieser Krise zu kommen und sich wieder Chancen zu erarbeiten. Das ist echte Beziehungsarbeit. Was passiert, wenn man diese Erwartungen nicht erfüllt und die Lage schön redet, durfte der Vorstandsvorsitzende nach einem misslungenen Interview in den USA erfahren.

Was also tut man, wenn man Vertrauenskapital verspielt hat und neues aufbauen muss? Wie investiert man in das Vertrauen seiner Stakeholder. Es ist fast wie im echten Leben: Man erklärt sich, man begründet, wieso man besser werden wird, man entschuldigt sich – es gibt viele Möglichkeiten. Eine gehört gewiss nicht dazu: Man gießt keine Vanillesoße drüber und hofft, dass es dann allen schmeckt. Aber genau diesen Weg geht Volkswagen mit seinem neuen Auftritt. Damit aber vertieft Volkswagen das Missverständnis mit den Kunden und zementiert die Vertrauenskrise. Denn diese erwarten keine Konsolidierung des BrandIndexes und keine Neuinterpretation der Marke, sondern substantielles Verhalten und eine intensive Kommunikation hierüber. Das aber lässt Volkswagen vermissen.

Das gleiche Missverständnis wirkt bei UBER schon fast hilflos. Ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell in der Krise ist, dessen Habitus auf energischen Widerstand stößt und dessen ökonomischer Referenzrahmen („Shared Economy“) inzwischen den Regulator allerorten auf den Plan ruft, will sich nicht neu erfinden (obwohl das doch das Wesen der Disruption ist!). Also bleibt nur eine Antwort: Vanillesoße. Dieses Mal als neues Logo, das möglichst gar nichts mit dem bisherigen Unternehmen zu tun hat. Der CEO lässt sogar kolportieren, er habe an der Gestaltung persönlich mitgewirkt.

Aber die Hoffnung, dass auch nur eine der Beziehungskrisen von UBER sich auflösen lässt, wird sich als Luftnummer erweisen. Denn natürlich sind Stakeholder sich im Klaren darüber, dass nicht Markenlogos, sondern Menschen ein Unternehmen prägen. Zudem sind die Konflikte ja nicht einfach Ungeschicklichkeiten geschuldet, sondern Ergebnis eines fundamentalen Interessenkonfliktes. Gesellschaftliche Erwartungshaltungen bezüglich des Verhaltens als Good Citizen, der seine Steuern und Sozialabgaben zahlt, werden in diesem Geschäftsmodell nicht nur nicht befriedigt, sondern ja auch aktiv negiert. Eine Plattform trage keine Verantwortung für das Handeln der auf dieser Plattform agierenden Personen. Ein in der Tat sehr altmodisches Verständnis von Unternehmensverantwortung.

Fazit: Der alte Leitsatz wonach die meisten Unternehmen, ihren Markenauftritt verändern, weil sie das eigentliche strategische, unternehmerische Problem nicht lösen wollen, können oder erkennen, hat sich diese Woche gleich zweifach bestätigt.

 

Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft von Volkswagen werden auf Stakeholderebene entschieden“ – Teil II

Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober

In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ vom 22. Oktober im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen. Am 3. November beantwortete Szyszka die ersten beiden von fünf Fragen, die „PR-Journal“-Autor Wolfgang Griepentrog an den Hannoveraner Professor gerichtet hat. Heute folgt der zweite Teil der Antworten.

Wolfgang Griepentrog: Der Automobilkunde kauft bei VW oder bei einer anderen Marke des Konzerns; der Konzern und seine Problem sind dem Kunden erfahrungsgemäß egal. Das Leistungsversprechen wird primär am Produkt festgemacht, weniger an der Einhaltung konzernweiter Prinzipien. Ethische und ökologische Aspekte sind Kunden zwar wichtig, aber nicht unbedingt kaufentscheidend. Warum also soll sich der Konzern um seinen „USP“ kümmern? Muss nicht primär die Produktmarke VW neu erfunden werden? Und wie würden Sie überhaupt das Verhältnis zwischen der Konzernmarke „Volkswagen“ und der Produktmarke „Volkswagen“ sowie den anderen Töchtern beschreiben?

Peter Szyszka: Das sind gleich mehrere Fragen auf einmal. Zunächst muss, wenn es um den Konzern geht, zunächst das Prinzip Verantwortung gelten. Markenübergreifenden Themen wie Baugruppen oder eben Motoren sind Teile der Konzernverantwortung. Der Konzern macht Vorgaben, die Ingenieure einzelner Marken entwickeln, aber nicht für eine Marke, sondern entlang der Konzernvorgaben. Hier braucht es eine von außen klare Verantwortungsstruktur. Zweitens geht es um die Zukunft des klassischen Verbrennungsmotors. Wie kaum ein anderer Konzern – ausgenommen Ford – kann Volkswagen damit prahlen, ein entscheidender Wegbereiter moderner Massenmobilität gewesen zu sein. Hierfür stehen Käfer und Golf. Von hieraus sind die zentralen, plattformgebundenen Marken VW, Audi, Skoda und Seat zu interpretieren, die – jede auf ihre Weise – Teile des Massenmarktes bedienen. Die Zukunft des Verbrennungsmotors kann nur verbrauchsarm, umweltschonend und leistungsfähig und zwar in dieser Reihenfolge. Nur so können Massenautos auf Dauer aus ökonomischer wie ökologischer Perspektive für Kunden attraktiv sein. Unter diesem Dach diversifizieren die Marken. Die Produktmarke „Volkswagen. Das Auto“ muss nicht neu erfunden werden. Nur muss klar sein, wofür sie steht: für die Marke Volkswagen mit ihrer Tradition und dem mobilitätsbezogenen Leistungsversprechen.

Wolfgang Griepentrog: Wie können Automarken im deutschen Auto-Markt eigentlich den Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit schaffen und gegenüber den Kunden auch glaubwürdig vermitteln? Und wie kann ein international aufgestellter Konzern diesen Spagat auch in Regionen schaffen, in denen andere Kaufmotive gelten? Was ist hier am meisten gefragt: Kluge Markenstrategien, spezielle Unternehmensprinzipien oder ein Management, das alle möglichen Konflikte im Blick hat?

Peter Szyszka: Ich glaube, man sollte fragen, wie sie dies in der Vergangenheit gemacht haben, warum dies so war, und weiter, wie erfolgversprechend dieser Weg in Zukunft sein kann. Wenn man die mittlerweile sieben Golf-Generationen nebeneinander stellt, kann man sehen, wie dieses Auto immer größer, immer aufwendiger und immer teurer geworden ist. Dafür kamen von ‚unten‘ kleinere Baureihen nach, die dann auch wieder gewachsen sind. Für den Konzern ist dies attraktiv, weil mit steigenden PS-Zahlen und zunehmend verkauften Zusatznutzen auch Erträge und Gewinne steigen. Dass es so sein muss, wird dann von Marketingstrategen suggeriert. Dies gilt meines Erachtens für die gesamte deutsche Autobranche und ist eine Spirale, die sich nicht ins Unendliche weiterdrehen lässt. Im Gegenteil: Das Größenwachstum von Autos scheint mir in jeder Hinsicht begrenzt und lässt sich in absehbarer Zeit auch nicht mehr mit ausgetüfftelten Finanzierungsmodellen auffangen. Den Mut, hier den Hebel umzuwerfen und mit einfacheren, kostengünstigeren Autos in eine andere Richtung zu gehen, in der aus dem Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit ein Konglomerat wird, könnte eine Lösung sein. Dies mag im Moment wie eine Illusion klingen, aber die Frage, mit welcher Art von Autos Volkswagen in der mobilen Welt von morgen, z.B. am eigenen 100. Geburtstag erfolgreich sein kann, lässt in meinen Augen nur eine Antwort zu: so wie zuletzt jedenfalls nicht. Kernkompetenz und Markenkern ist die Mobilität. Sie müsste wieder im Zentrum stehen. Natürlich ist mir klar, dass es ein schwieriger Prozess wäre, denn die Modellpaletten sind da, der Konzern muss weiterleben und die Entwicklung neuer Modelle und Baureihen braucht seine Zeit. Deswegen könnte sich Veränderung vermutlich nicht radikal, sondern nur sukzessive vollziehen.

Wolfgang Griepentrog: Unternehmen, die eine Spitzenposition erklommen haben, sind besonders gefährdet und verwundbar. Schon weil es viel schwerer ist, an der Spitze zu bleiben und weiter zu wachsen als sich von geringerem Niveau aus zu entwickeln. Reputationsschäden sind deswegen besonders gravierend und für das Unternehmen schmerzhaft. Verantwortungsbewusstes Management sollte also darauf ausgerichtet sein, den Konzern mit seinen Marken nicht nur erfolgreich, sondern auch widerstandsfähig („resilient“) zu machen. Wie könnte eine „resiliente“ Unternehmens- und Markenführung bei Volkswagen aussehen?

Peter Szyszka: Sind Größe und Spitzenposition in einer ‚Weltrangliste‘ der Automobilverkäufe und Unternehmenserträge tatsächlich brauchbare Indikatoren für Erfolg, Resilienz und Zukunftsfähigkeit? Und war es nicht eine Gier, Toyota als Spitzenreiter ablösen zu wollen? Ist es daher nicht eine Ironie des Schicksals, dass die Krise genau zu dem Zeitpunkt ausbricht, als dieser Punkt erreicht wurde? Aber vielleicht kommt diese Krise genau zum richtigen Zeitpunkt, um einen Prozess einzuleiten, der gerade beim Volkswagenkonzern schwieriger einzuleiten gewesen wäre. Ich meine Industrie 4.0. Diese wird die Struktur des Volkswagenkonzerns und seiner Markentöchter gravierend verändern. Wie viele Menschen werden in 10, 15 Jahren bei VW in Wolfsburg arbeiten? Zwei Drittel, die Hälfte? Dabei wird es – zumindest aus heutiger Perspektive – weiter um den Bau von Autos gehen. Der Konzern muss sich allerdings entscheiden, welche Art von Autos diese Zukunft sichern soll und wie diese als imagemäßig diversifizierte Marken geführt werden könnten. Jene Marken, die nichts anderes sind als soziale Konstrukte, die ein Absender zwar beliebig stilisieren kann, diese aber erst durch Markenakzeptanz in Markt und Öffentlichkeit Wirkungen erzielen. Dies setzt voraus, dass der Konzern die Befindlichkeit von Markt und Marktumfeldern, den Resonanzräumen von Markenimages und deren kritische Akzeptanzfaktoren, bestens kennt. Hier muss meines Erachtens künftige Markenpolitik und -führung ansetzen.

Wolfgang Griepentrog: Vielen Dank, Herr Szyszka, für die ausführlichen Antworten.

Peter Szyszka: Gerne! Gestatten Sie mir aber bitte noch eine Schlussbemerkung. – Kurt Lotz, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG von 1968 bis 1971, hat in seinen „Lebenserinnerungen“ 1978 geschrieben, „dass die Öffentlichkeitsarbeit bei VW unter dem Aspekt planerischer Aktionen zu meiner Zeit nicht den Ansprüchen genügte, muss ich nachträglich gestehen.“ Er fügte hinzu, dass für ein Unternehmen schon damals „Öffentlichkeitsarbeit zu einem entscheidenden Faktor neben Forschung, Produktion und Absatz“ werden müsse und zwar nicht im Sinne von Produktwerbung, sondern von managementbezogener integrierter Kommunikation. Ein bis heute offensichtlich ungelöstes Volkswagen-Problem, das heute schlicht „Stakeholder-Management“ heißen müsste. Hier den Hebel umzuwerfen, führt zum VW-Kulturproblem zurück.

Interview im PR Journal

Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden“

Gastbeitrag: Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober

In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen.

Wolfgang Griepentrog: Ihren Beitrag beginnen Sie mit der provokanten Frage, ob Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen könne. Doch sind die Kunden wirklich daran interessiert? Ist es nicht vielmehr so, dass wenn Kunden mit einer Dienstleistung oder einem Produkt eigentlich zufrieden sind, eine solche Krise erfahrungsgemäß (siehe ADAC) auch rasch wieder vorbei ist? Jüngste, gute Verkaufszahlen nach Bekanntwerden des Skandals scheinen das doch zu belegen.

Peter Szyszka: Ich denke, man muss das Ganze differenzierter und nicht nur aus Kundenperspektive betrachten. Zunächst einmal halte ich es für gefährlich, mit aktuellen Verkaufszahlen zu argumentieren oder sich in Sicherheit zu wiegen. Autos sind imagesensible Produkte, bei denen sich Veränderungen nicht über Nacht, sondern mittel- und langfristig vollziehen, und es gibt kein Club-Modell wie beim ADAC, wo man auf die Trägheit der Masse setzen kann. Hier geht es immer wieder um neue Kaufentscheidungen, bei denen nicht nur der Grundnutzen Moblität, sondern auch Zusatznutzen bezahlt wird und dazu hören Image und Status. An Ford und Opel kann man das als Negativgeschichten genauso nachvollziehen wie an den Erfolgsgeschichten von VW und Audi. Es geht aber nicht allein um den Prozess des Wirtschaftens, also Beschaffung, Produktion und Absatz, es geht auch um die Bedingungen des Wirtschaftens, die Volkswagen künftig in Deutschland, den USA und anderswo auf der Welt vorfinden wird. Dort wird man – wie bei jedem Vertrauensbruch – zunächst einmal genauer hinschauen, was schon von der Sache her Handlungsspielräume enger absteckt. Zwar ist der Vertrauensbruch in der Beziehungsgeschichte zu den Stakeholdern nur eine Episode, aber sie ist nun mal Teil dieser Geschichte, mit deren Folgen man sich klugerweise in allen wesentlichen Beziehungssträngen substanziell auseinandersetzen und nach den kritischen Akzeptanzfaktoren fahnden sollte. Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden.

Griepentrog: Der Titel des Dramas von Volkswagen und seinem ehemaligen CEO Martin Winterkorn könnte lauten „Aufstieg und Niedergang einer Kultfigur der deutschen Wirtschaft“. Die Geschichte ist nicht neu und auch die Motive – Sie schreiben von „Ignoranz“, „Selbstüberschätzung“ – sind altbekannt. Können wir die Krise bei Volkswagen aber wirklich an einer Person bzw. einem kleinen Personenkreis festmachen oder liegt die Wurzel doch tiefer, etwa in spezifischen markenstrategischen Widersprüchen? Was hat VW wirklich falsch gemacht? Und wie können wir solche Entwicklungen verhindern?

Szyszka: Das an einzelnen Personen festzumachen, ist sicher falsch; es geht um die gewachsene Kultur im Umgang mit Entscheidungen und Problemen. Es geht um den Habitus des Unternehmens, die Art und Weise, wie Umfeld und Wirklichkeit wahrgenommen, welche Informationen wie verarbeitet, wie Entscheidungen zustande kommen und wie diese kommuniziert und exekutiert werden. Es geht um eingefahrene Routine im Umgang mit Problemen und um den Umgang mit Herausforderungen. Hier haben sich Muster herausgeprägt, deren Zukunftsfähigkeit jetzt zur Disposition steht. Es kann – zugespitzt formuliert – nicht sein, dass ein Spaltmaß wichtiger ist als die rechtzeitige Information eines Hauptanteilseigners wie dem Land Niedersachsen, zudem auch noch ein besonderes Verhältnis besteht. Da funktioniert das System nicht. Martin Winterkorn war für mich im Übrigen nie eine Kultfigur. Dazu fehlte ihm das Charisma, um über die gewachsene Unternehmenskultur hinaus echte eigene Akzente zu setzen – wobei ich mich fairerweise nur auf das stützen kann, was ich über die Jahre in den Medien verfolgt habe.

Ein anderes Problem ist im Konzern offensichtlich bereits erkannt worden: die bislang fehlende Trennung von Holding und Marke Volkswagen, die nun vorgenommen wird. Volkswagen war Marke und Konzern zugleich. Ob der Claim „Volkswagen. Das Auto“ bewusst strategisch über die Marke hinausreichen und für das gesamte Kerngeschäft „Mobilität“ suggerieren sollte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Problem ist sicher die Plattformstrategie, die ich als ein Holding-Geschäft verstehe, das von dort zu verantworten ist. Wenn, wie in den Medien dargestellt, eine Motorenlösung zu einem bestimmten Preis eingefordert wurde, wie beim EA 189, diese dann aber technisch nicht zu dem Preis, sondern nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erbracht wurde, dann stellt sich die Frage, wie kompetent der Volkswagen-Konzern tatsächlich bei der Frage moderner Mobiltätskonzepte ist. Ich denke, was wir in absehbarer Zukunft erleben werden, ist der „Bus-Unfall-Effekt“: Nach einem gravierenden Negativ-Ereignis werden viele kleinere Mängel und Probleme mit eigentlich geringem Nachrichtenwert in Medien und öffentlicher Meinung mit ‚dem‘ Fall in Beziehung gesetzt nach dem Motto: Siehst Du, so gut, wie wir immer gemeint haben, sind die eben doch nicht. Das mag nach Lebensweisheit klingen, dahinter lauert aber ein Imageproblem. Helfen kann da meines Erachtens nur, dass man sich künftig in Konzern und Marken strategisch-antizipativ mit den Folgen unternehmens- wie markenpolitischer Entscheidungen auseinandersetzt, dies in Entscheidungsprozessen und Auftritten mitdenkt und funktionale Transparenz schafft. Unternehmenskommunikation und Stakeholder-Management gehören dazu unmittelbar zusammen.

Über die beiden Interviewpartner: Dr. Peter Szyszka ist Professor für Organisationskommunikation und Public Relations an der Hochschule Hannover (HsH) und Leiter der Forschungsgruppe Beziehungskapital. Wolfgang Griepentrog ist Interim Manager und Kommunikationsberater. In seinem Blog „Glaubwürdig kommunizieren“ gibt er Impulse für effizientes Kommunikationsmanagement. Regelmäßig veröffentlicht er seine pointierten Marktreflexionen im „PR-Journal“.

Interview im PR-Journal

Volkswagen nach dem Vertrauensverlust: Beziehungskapital muss wieder aufgebaut werden

Gastbeitrag von Peter Szyszka:

Wie kann Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen? Oder radikaler: Kann Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen? Diese Fragen stellen sich nicht erst nach Bekanntwerden des GPRA-Vertrauensindex. Man mag zu derartigen Indexwerten stehen wie man will: Wenn sich ein Indexwert wie im vorliegenden Fall quasi halbiert hat, fordert dies zum Nachdenken heraus. Spannend ist die Frage, ob oder in wieweit es dabei um Kommunikation geht. Unternehmenskommunikation kann immer nur so gut sein wie das ihr übertragene Mandat und der Umgang hiermit. Ein Seismograph, der mit Weitblick auch kritische Meinungen in Markt und Gesellschaft herausfiltert, der Entscheidungen und Ereignisse auf deren Folgen in öffentlicher Kommunikation und Meinungsbildung hinterfragt, der Problemhorizonte nicht nur aufspürt, sondern auch auf deren unternehmenspolitische Bewältigung Einfluss nimmt, ist der eher bürokratische VW-Kommunikationsapparat jedenfalls offensichtlich nicht gewesen. Wenn sich Kommunikationsleistungen auf das Verkünden guter oder schlechter Nachrichten beschränken, dann wäre das „very old school“.

Dieses Problem, so es denn eines ist, ist im Kontext des sogenannten „Abgas-Skandal“ bei näherer Betrachtung genauso zweitrangig wie die Diskussion um eine autoritäre Führungskultur – von Insidern als „Geist von Piech“ bezeichnet –, die ein modernes Verständnis von Unternehmenskommunikation verhindert haben könnte. Im Unverständnis des Martin Winterkorn, der offensichtlich aus seinen Ämtern beim Volkswagen-Konzern und der Porsche SE gedrängt werden musste, spiegeln sich Überheblichkeit von Konzern und Köpfen gegenüber Markt und Gesellschaft und Unsensibilität bis Ignoranz im Umgang mit Öffentlichkeit und Meinungsbildung.

Eine tiefer gehende Frage lautet nämlich: Auf welchen Erwartungen basierte das Bild, das bis dahin vom Volkswagen-Konzern als Unternehmens- und Markenpersönlichkeiten in Markt und Gesellschaft bestand? Welches Persönlichkeitsprofil und welche Authentizitätsmerkmale lagen Vertrauen, Image, Reputation, Sympathie und Attraktivität zugrunde, die dem Konzern und seinen Marken entgegengebracht wurde und ihn erfolgreich machte? Volkswagen stand für mehr als „Made in Germany“, Volkswagen stand für moderne Massenmobilität. Wie anders ließe sich der bewusst gewählte Markenclaim „Volkswagen. Das Auto“ deuten? Der gleichzeitig für Audi etablierte Markenclaim „Fortschritt durch Technik“ ließ sich als Synonym für die Zukunftsorientierung des Konzerns lesen: 13 Audi-Siege bei den 24 Stunden von Le Mans in 15 Jahren plus ein Bentley-Sieg sind hier ein Pfund: Der Konzern als Wegbereiter neuer automobiler Wege.

Aber denkt sich Mobilität in Attributen derartiger Höchstleistungen oder geht es beim Kernimage nicht eher um alltagstaugliche Energieeffizienz? Der Konzern war einmal auf diesem Weg. Jedenfalls schien es so, denn Anfang der 2000er-Jahre gab es im Konzern das 3-Liter-Auto – Verbrauch wohlgemerkt und nicht Hubraum. Im Alltag bewährt, sind die Modelle Audi A2 1.2 3L TDI und VW Lupo 3L TDI ohne Nachfolger in die Automobilgeschichte eingegangen. Am Markt erfolgreich waren beide nicht, schon weil sie das Konzern-Marketing als Stiefkinder behandelte, die nicht zur Flotte passten.

Und dann war da noch das 1-Liter-Auto, als Prototyp seit 2002 immer wieder medienwirksam in Szene gesetzt: Ein Marketing-Gag vielleicht, verbunden mit der Suggestion, dies sei Volkswagens Weg der Zukunft von Massenmobilität und Verbrennungsmotor. Tatsächlich wuchsen auch bei Volkswagen, wie überall, die Autos und mit ihnen ihre PS-Leistungen. Verbrauchwerte wurden schön geprüft, ohne dass man dafür großen öffentlichen Widerspruch erntete: eine automobile Schweigespirale? Der Abgas-Skandal könnte dies alles nun ändern.

Was dies alles mit Kommunikation zu tun hat? Systemtheoretisch und auch praktisch betrachtet sehr viel, denn es geht hier um mehr als nur ums Kommunizieren. Die Beziehungen zwischen Volkswagen und seinen verschiedenen Stakeholdern, von Mitarbeitern und Kunden, Markt und Marktumfeld über Kapitalgeber, Politik usw. haben gelitten. Sie bestehen aus nichts anderem als Kommunikationen, aus Sachverhalten und Ereignissen, die sich Episode für Episode aneinander reihen. In diesen Beziehungsgeschichten gerinnen Erfahrungen zu Erwartungen, an denen Volkswagen immer gemessen wurde und auch nun gemessen wird. In ihnen ist das Beziehungskapital hinterlegt, jenes Unterstützungskapital der verschiedenen Stakeholder, von denen der Volkswagen-Konzern in der Vergangenheit gut gelebt hat. Vertrauensverluste, das sind enttäuschte Erwartungen, Irritationen und mehr, ein angeschlagenes Image, rückläufige Sympathie und Wertschätzung, nachlassende Attraktivität und mehr. Unterstützungskapital steht in Meinungen, Einstellung, Haltungen und letztlich der Akzeptanz von Konzern, Unternehmenspolitik und Konzern-Produkten. Wer ist eigentlich Volkswagen? Wo der Konzern herkommt, ist bekannt, wofür er aber steht, ist infrage gestellt.

Damit wird ein grundsätzliches Problem deutlich: Volkswagen muss sich erklären, muss eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein soll – ein Elektro-Phaeton, wie nun angekündigt, leistet dies definitiv nicht. Deutlich wird daran auch die Rolle moderner Unternehmensberatung rund um Kommunikation: Es geht um die Auseinandersetzung mit den kommunikationspolitischen Konsequenzen unternehmenspolitischer Entscheidungen, um die Gestaltung erfolgversprechender Unternehmenspolitik und das dafür notwendige Beziehungskapital und schließlich um Kommunikationsleistungen mit deren Hilfe gezielt versucht wird, dieses Beziehungskapital im erforderlichen Maße aufzubauen und zu befestigen. Auch vor eben dieser Aufgabe steht der Volkswagen-Konzern.

Artikel von Peter Szyszka im PR-Journal

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