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Ein Déjà-vu oder was die Regierung Merkel gerade falsch macht

Das Déjà-vu 2015

Dieser Tage fühlt man sich erneut an die Jahre 2015 und 2016 erinnert. Eine menschliche Tragödie in Europa rüttelt die Menschen auf dem ganzen Kontinent auf. Angela Merkel erkennt diese Tragödie, versteht die Betroffenheit “ihrer“ Bürger und mobilisiert diese Emotionen, um die Krise zu lösen – nicht in Trippelschritten, sondern mit einem tiefgreifenden Akt konsequenter Politik. Sie unterwirft das politische Berlin, die Administration, die Regierung und das Parlament ihrer Logik und ihrer Krisenlösung. Und sie tut das Richtige. 2015 nach menschlichem Ermessen und ethischen Standards, 2020 nach wissenschaftlichem Kenntnisstand. Damit verhindert sie eine noch viel umfassendere Krise, Hunderttausende Flüchtlingstragödien in 2015 und weitere zigtausend Corona-Tote in Deutschland.

Doch leider geht das Déjà-vu weiter: Es wiederholen sich auch die Unzulänglichkeiten der Bundeskanzlerin und der im wachsenden politischen Streit liegenden Führungspersonen um sie herum. Sie versteht es nicht, die Menschen im Land auf Dauer mitzunehmen. Sie verliert den einmal hergestellten Kontakt, sie agiert als gute Verwalterin, aber als schlechte Kommunikatorin. Was 2016 in eine Krise der Union mündete und zum Aufstieg der AfD führte, ruft 2020 eine bislang unbekannte Bewegung (Widerstand 2020) hervor, die in kürzester Zeit über 100.000 Unterstützer gefunden hat und deren nachhaltige Überlebensfähigkeit momentan niemand einschätzen kann Insgesamt ist die Polarisierung, die Verbreitung von Verschwörungstheorien, aber auch die Reichweite rechtspopulistischer Messages wieder auf einem sehr hohen Niveau angekommen. Die Zustimmungswerte für die Regierung beginnen zu stagnieren bzw. leicht abzunehmen.

Die kommunikative Realität „da draußen“

Auch die kommunikative Lage ähnelt der in 2015. Während es in der breiten Öffentlichkeit hohe Zustimmungswerte für die Politik der Kanzlerin gibt, sind es die Echoräume der Sozialen Medien, in denen die Politik der Regierung in Frage gestellt wird und ‚alternative Fakten‘ verbreitet werden. Die vorhandene Unsicherheit über die hochdynamische Entwicklung und der Frust über die eigene Lebenslage der Menschen werden gezielt ausgenutzt. Damit erzielen die Angstmacher Involvements und Resonanzen, über die die klassischen Medien froh wären. Diese wiederum steigerten sich zu Beginn der Krise in eine quasi vorbehaltlose Zustimmung der politischen Maßnahmen, in der kritische Stimmen rar waren. Später dann schwenkten viele Medien unter dem Eindruck der Stimmungsmache in den Sozialen Medien, einzelner Politiker und auch des eigenen ökonomischen Drucks um.

2015 hatte die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles frühzeitig gewarnt, man brauche einen realistischen Kurs. Damals war die Kernaussage der Kanzlerin „Wir schaffen das“. Nahles fragte: „Ja aber wie schaffen wir es, ohne die Menschen in Deutschland zu überfordern?“ Auch 2020 stellt sich angesichts einer tiefgreifenden Gesundheits- und Wirtschaftskrise, dramatischer Zahlen am Arbeitsmarkt und drohender weiterer Insolvenzen die Frage, wie die Menschen in diesem Land für die politischen Entscheidungen mitgenommen werden können. Die Antwort darauf muss weit über die aktuelle Situation und die Mai-Wochen hinaus reichen. Die Antwort wird vor dem Hintergrund zunehmender Kampagnen von Gegner dieses gesundheitspolitischen Kurses (wie Widerstand 2020 oder dem Verband der Familienunternehmer) immer drängender. Denn die Gegner des Regierungskurses haben ein einfaches Spiel, ihre Antworten sind einfach und verzichten auf ethische Abwägungen. Damit sind ihre Botschaften leichter zu transportieren, als die eines komplexen Regierungshandelns.

Was wir jetzt brauchen

Ministerpräsidenten und Bundesregierung kommunizieren gegenwärtig vollständig im Modus der starken Exekutive. Sie entscheiden nach rational vernünftigen Erwägungen und verkünden ihre Entscheidungen. Leider werden diese Entscheidungen von ihren Zuhörern als gar nicht so vernünftig wahrgenommen, denn die erforderlichen Abwägungen und die notwendige Dämpfung des öffentlichen Lebens führen immer zu Entscheidungen, die willkürlich erscheinen: Wieso sind 750 qm Ladenfläche noch in Ordnung, aber 850 qm nicht mehr? Wieso bleiben überfüllte Wochenmärkte offen, während Einkaufszentren nicht öffnen dürfen? Wieso wird Friseuren die Wiedereröffnung erlaubt und dem Beauty-Salon nicht? Wieso darf der Spielplatz öffnen, nicht aber das Fitnessstudio? Wieso wird Urlaub an der Ostseeküste genauso untersagt wie die Kreuzfahrt auf beengtem Raum? Es gibt in diesem Dickicht der Entscheidungen keine richtigen, keine gerechten, keine in jeder Dimension sinnvollen Entscheidungen. Es ist ein Abwägen und am Ende ein Durchregieren. Das aber erscheint demjenigen, der diese Abwägungsprozesse nicht nachvollziehen kann und muss, sich nur mit den Entscheidungen auseinandersetzt immer willkürlich. Der Umstand, dass die Ministerpräsidenten dabei ganz unterschiedliche Voraussetzungen im Infektionsgeschehen und in ihrer Wirtschaft und sozialen Infrastruktur vorfinden und daher auch zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen, wird dabei nicht als rational, sondern als willkürlich oder persönlich motiviert wahrgenommen. Dieses Gefühl der Willkür ist aber der Nährboden für Zweifel, die gezielt aus politisch interessierten Kreisen der Rechtspopulisten oder der Familienunternehmer gestreut werden.

Die Kommunikation in dieser Krise muss daher einer komplett anderen Logik folgen, einer Logik, die auch mehr und mehr die politischen Entscheidungen selbst dominieren muss. Denn sowohl für die Kommunikation, als auch den Erfolg der Lockerung des Lockdowns ist eine Frage entscheidend: „Wie schaffen wir es, die Menschen mitzunehmen und für ein sozial und gesundheitlich verantwortliches Verhalten zu sensibilisieren?“ Es geht dabei um eine langfristig angelegte Akzeptanzkommunikation, die jenseits des Krisenmodus eine notwendige Strategie verfolgt.

Da kann der Blick zurück in die Geschichte helfen: Die wohl gefährlichste und tödlichste moderne Infektionskrankheit AIDS kam in den 80er Jahren zuerst in den Großstädten der westlichen Welt auf. Sie grassierte als „Schwulenseuche“ und schon bald wurde klar, dass sie beim Sex übertragen wurde. Lange bevor man AIDS (und HIV) detailliert verstanden hatte und lange bevor wirksame Medikamente zur Verfügung standen, musste diese Infektion gestoppt werden. Auch hier gab es in einigen Ländern zunächst den Versuch, mit restriktiven Mitteln dagegen vorzugehen. Das Ergebnis war unmissverständlich: Zwar konnten einige Infektions-Hotspots geschlossen und damit Infektionsgeschehen verlangsamt werden. Ideen HIV-Positive zu isolieren oder zu kennzeichnen, waren aber nirgends durchsetzbar, so scheiterte der restriktive Weg schnell. Es war die Politik der Aufklärung, die auf Verhaltensänderungen zielte, die einen tiefgreifenden Erfolg erzielen konnte und die dynamische Entwicklung dieser Krankheit eindämmen half, bis wirksame Medikamente auf den Markt kamen. Eine solche Verhaltensänderung ist eine Kombination aus grundsätzlichem Selbstverständnis („verhalte dich so, als sei Dein Gegenüber HIV-positiv“), mit einfachen Verhaltensweisen („Safer Sex“ oder im Umgang mit offenen Wunden) und technisch einfachen Hilfsmitteln (Kondome).

Angesichts der Tatsache, dass Covid-19 nicht schnell verschwinden wird, weitere Pandemie-Wellen jederzeit möglich sind und erst ein Impfstoff und eine massenweise Impfbereitschaft diesen Virus eindämmen werden, muss man davon ausgehen, dass wir in Deutschland sicherlich bis 2022 mit Covid-19 zu tun haben werden. Hinzu kommt die Gefahr, dass sich Pandemien in einer globalisierten Welt regelmäßig wiederholen werden. Es bleiben also die Fragen: Welche Verhaltensweisen von Safer Work, Safer Travel und Safer Events, können wir uns aneignen, um dauerhaft mit diesem oder jedem vergleichbaren Virus zu leben? Welche Hygienemaßnahmen brauchen wir, wie muss unser auf Krisen vorbereitetes Gesundheitssystem aussehen?

Eine Regierung, die auf Verhaltensänderungen zielt und konsequent in diesem Sinne kommuniziert, appelliert an den Einzelnen und fordert jeden auf, Teil des Kampfes gegen diese Pandemie zu werden. Sie schafft es, dass Menschen sich zunehmend freiwillig dem gewünschten Verhalten anschließen, kann auch Zuwiderhandlungen klarer sanktionieren und zugleich Akzeptanz erhalten. Damit spielt sie den Ball an Nörgler und Kritiker aus der Wirtschaft zurück. Wer nicht sicherstellen kann, dass seine Verkaufsfläche immer ausreichend Abstand zwischen den Menschen bietet, wer kein Management der Warteschlangen betreibt, wer sich weigert, wartende Kunden auch wegzuschicken, wer keine Hygiene im Betrieb sicherstellt und den nötigen Abstand zwischen den Mitarbeitern sicherstellen kann, der wird sanktioniert und dessen Betrieb wird für längere Zeit geschlossen. Wer hingegen ein verantwortliches Verhalten möglich macht, es bewusst fördert, der muss sich nicht fragen lassen, ob er 300 oder 900 qm Fläche bewirtschaftet. Wer eine Messegesellschaft es garantiert, dass nie zu viele Besucher auf dem Gelände, die Abstände eingehalten und Hygienemaßnahmen und Belüftung permanent betrieben werden, kann auch ohne Probleme eine Fachmesse durchführen.

Vor allem aber bedeutet eine am Verhalten ausgerichtete Kommunikation für die Regierung auch eine langfristig durchhaltbare Kommunikationslinie. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich einbauen. Die Menschen können neue Verhaltensweisen im Alltag trainieren. Die vielbeschworene zweite Corona-Welle, aber auch „bloße“ Grippewellen können jeweils durch eine Intensivierung der Verhaltensregeln begleitet werden – so könnte Mundnasenschutz in Grippezeiten „normal“ werden. Dazu gehört auch der Hinweis, sich bei Krankheitsgefühlen nicht in die Öffentlichkeit zu begeben, sondern lieber zuhause zu bleiben und das dringendste aus dem Homeoffice zu erledigen.

Noch heute erinnern sich viele an die Bundesgesundheitsministerin Rita Süßmuth, weil sie damals gegen erhebliche Widerstände die verhaltensorientierte Kommunikation innerhalb der Bundesregierung durchgesetzt hat.

Es ist Zeit für mehr Süßmuth in dieser Regierung.

Fehlstart einer gelungenen Startkommunikation?

Nun ist sie eine gute Woche im Amt, die neue Bundesregierung . Die Regierungsbildung war rekordverdächtig: Koalitionsverhandlungen im Akkord, rasche Zustimmung in den Parteien und schließlich eine fast reibungslose Wahl der Kanzlerin. Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen:

Die schwarzgelbe Koalition spürte strammen Gegenwind: Bei der Wahl der Bundeskanzlerin fehlten 9 von 332 Stimmen. Knapp 3% der Koalitionsabgeordneten versagten ihre Zustimmung, was verglichen mit ihren Vorgängern kein schlechtes Ergebnis ist. Dennoch konstatieren die Leitmedien „Merkels Makel-Start„, eine geschwächte Kanzlerin oder auch nur eine Schlappe für die neue Koalition. Wieso das? Vor Kurzem galt diese Koaliton doch noch als Hoffnungsträger vieler Journalisten.

Die Stimmung war in den Tagen zuvor gekippt . Immer lauter beschwerten sich die Journalisten in Berlin darüber, dass sie Teil einer (gelungenen?) Inszenierung von CDU/CSU und FDP wurden. Am Anfang dieser Inszenierung betonten die drei Koalitionspartner, dies sei eine Wunschkoalition, die nun ganz schnell vereinbart werden könnte. Diese lauten Bekenntnisse zur Koalition übertönten alle kritischen Rückfragen über die vorhandenen Gegensätze zwischen den Verhandlungspartnern. Der zweite Schritt war dann eine geschickte Kommunikationsstrecke nach einander gesetzter Positivbotschaften. Dabei wurden gezielt die Themen nach vorne gestellt, die sich in den vergangenen Monaten als Mühlsteine am Hals der SPD erwiesen hatten.

So betrifft die Erhöhung des Schonvermögens zwar nur 0,5% der Hartz IV Empfänger. Doch dieser Schritt der Koalition sendete ein klares Signal aus: Lebensleistungen der Menschen werden wieder geachtet und anerkannt. Rotgrün hatte noch wie mit dem Rasenmäher alle Betroffenen gleichbehandelt und dabei übersehen, dass sich im eigenen Klientel das Gefühl aufbaute, individuelle Biografien würden nicht mehr geachtet. Millionenfache Stimmenthaltung war das Ergebnis.

Danach nahm sich Schwarzgelb die Internetgesetzgebung vor. Die noch von der CDU/CSU vorangetriebene Internetzensur mittels Stop-Schild wurde mal eben über Bord geworfen und ein neuer Umgang mit dem Thema Datenschutz, Sicherheit und Internetrechte versprochen – fast so als wäre da die Piratenpartei stiller Teilhaber der Regierungskoalition. Dabei waren die Piratenpartei gerade erst wie Phönix aus der Asche entstanden: Insgesamt 2% bei der Bundestagswahl, ganze 13% der Erstwähler – zu Lasten der SPD.

Am Ende der Koalitionsverhandlungen wurde dann aber doch noch eine Woche laut gestritten. Die Koalitionspartner mussten gegensätzliche Versprechen zu Schuldenabbau und Steuersenkungen unter einen Hut bringen. Doch viele Journalisten hatten den Eindruck, die Koalition habe sich längst geeinigt und der Streit sei nur noch für das Publikum. Jede Seite müsse zeigen, dass sie hart für die eigenen Klientel gerungen habe. Spätestens hier vermuteten viele Journalisten, sie seien Teil einer Kommunikation der kommenden Regierung.

Der gefundene Konflikt spricht dafür, denn beide Seiten mussten Fehler lassen: Die Neuverschuldung steigt, die versprochenen 40 Mrd. Steuergeschenke werden auch nur zur Hälfte realisiert.

Zweifelsohne – für Journalisten waren das langweilige und zudem noch oppositionslose Wochen. Die Opposition ist offenbar mehr mit sich selbst als mit Kritik an der neuen Bundesregierung beschäftigt: Die Grünen streiten, ob Jamaika und Schwarzgrün nur Notnägel oder weitere Machtoptionen sind. Die Linkspartei zerreibt sich zwischen den Länderorganisationen, die von anpassungsfähiger Realpolitik bis Fundamentalopposition alles für möglich halten. Und die SPD steht mitten in einem tiefgreifenden personellen und inhaltlichen Umbruch. Da kann es nicht wundern, wenn die neue Regierung in den kommenden Wochen und Monaten wenig Gegenwind bekommen wird.

Spannend kann es erst nach der NRW-Wahl werden: Denn dann muss die Bundesregierung Klartext reden, was aus Haushaltskonsolidierung und aus der Steuerreform wird. Bis dahin muss die Opposition ihre Handlungsfähigkeit wieder hergestellt haben.

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