Beziehungskapital als Referenz – ein Paradigmenwechsel in der Erfolgsmessung
Erfolgsmessung ist nicht gleich Erfolgsmessung.
Schon 1996, als ich beruflich in die Agenturwelt wechselte, fand ein Deutungskampf um die richtigen Evaluationsmethoden statt: Output-Messungen wie Reichweiten, Anzeigenäquivalenzwert und Tonalitäten waren Standard in der PR. Imageanalysen waren Luxus. In dieser Zeit galten Inhaltsanalysen als Innovation, ließ sich so doch bewerten, ob Botschaften transportiert und verstanden wurden.
An den Hochschulen wurde schon damals ständig auf die Unzulänglichkeit dieser Methoden für die Evaluierung von Qualität und Strategie der Kommunikation hingewiesen. Es fehlte aber an Alternativen.
Nach der Jahrtausendwende dominierte dann mehr und mehr das Shareholder-Value-Prinzip die Denkwelten des Managements. Dies war die Grundlage der ersten systematischen Controlling-Ansätze in der Kommunikation. In Wissenschaft und Praxis wurden verschiedene Modelle entwickelt, die darauf abzielten, Kommunikation finanziell zu bilanzieren, also materielle Wertschöpfungsbeiträge für das Unternehmen nachzuweisen. Kommunikationsabteilungen mussten sich vielfach dem Druck der Ökonomisierung unterwerfen und die Illusion ökonomischer Bilanzierbarkeit mitspielen. Geschäftsführung und Vorstand sollen mit betriebswirtschaftlich darstellbaren Zahlen überzeugt und die eigene Stellung im Unternehmen untermauert werden. Die Praxis zeigt jedoch, dass eine derartige Umrechnung von Kommunikation in ökonomisches Kapital keine zufriedenstellende Lösung ist. Eine echte RoI-Rechnung oder verlässliche Bilanzierungen liefern Methoden wie das Communication Value System (CVS) der GPRA nämlich nicht.
Der Paradigmenwechsel zum Beziehungskapital
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse (Prof. Peter Szyszka: Beziehungskapital, Verlag Kohlhammer, 2014) setzen an diesem Punkt an und zeigen auf, dass die Umrechnung von Kommunikation in Realkapital auf einer lückenhaften Argumentation basiert. Führt man sich die Wirkungszusammenhänge von Kommunikation vor Augen, wird eines deutlich: Neben der direkten Unterstützung der Wertschöpfungskette beeinflusst Kommunikation den Unternehmenserfolg viel deutlicher durch die Bildung immaterieller Vermögenswerte wie Image, Reputation oder Unternehmenskultur. Kommunikation hat also keinen unmittelbaren Einfluss auf das Realkapital eines Unternehmens und kann diesen folglich auch nicht nachweisen. Vielmehr geht es darum, zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern zu vermitteln, um sozialen Kredit und Handlungsspielräume zu erwirken und darüber indirekt Ziele auf Ebene des Realkapitals zu flankieren. Somit gewinnen die Beziehungen zwischen einem Unternehmen und seinen Stakeholdern an Bedeutung und das darin verankerte Beziehungskapital wird zur Zielgröße von Kommunikation.
Das Beziehungskapital beschreibt Wertschätzung, Akzeptanz und Handlungsspielräume, die dem Unternehmen von seinen Stakeholdern bereitgestellt werden. Es wird geprägt durch die Bewertungen des Stakeholders über Reden und Handeln des Unternehmens und dessen Bedeutung für den Stakeholder. Das bedeutet: Nicht nur die persönlichkeitsbasierte Wahrnehmung von Image oder Reputation etc., sondern erst die Einordnung dessen in den Rollenkontext des Stakeholders führt zur Gestalt des Beziehungskapitals. Abhängig von der eigenen Rolle, dem situativen Kontext und den Erwartungen an das Unternehmen können Stakeholder verschiedene Attribute der Persönlichkeit als relevant beurteilen.
Authentizität ist die Erwartung von Kontinuität im Handeln
Beziehungskapital bildet daher die individuelle Beziehung zwischen Unternehmen und Stakeholder sowie die gemeinsame Beziehungsgeschichte ab. So konstruieren Stakeholder eine Wahrnehmung kontinuierlicher Fortschreibung unternehmerischen Handelns. Entsprechen neue Begegnungen mit dem Unternehmen dieser Wahrnehmung, wird das Verhalten als authentisch bewertet und das Persönlichkeitsschema bestätigt. Die Erwartung der Stakeholder ist so stark, dass auch moderate Abweichungen, im Positiven wie im Negativen, noch als dem Schema entsprechend und somit als authentisch eingestuft werden. Erst Ereignisse, die das Gewohnheitsgefüge ausdrücklich durchbrechen und eine Irritation auslösen – Krise oder inszenierter Neuanfang – haben Auswirkungen auf das Beziehungskapital.
Fünf Handlungsfelder der Unternehmenskommunikation
Die Aufgabe des Unternehmens ist es nun, Beziehungskapital zu gestalten. Kommunikation dient damit zu aller erst der Bewirtschaftung eben dieses Beziehungskapitals. Die Systematik des Beziehungskapitals lässt fünf Handlungsfelder identifizieren, die Unternehmenskommunikation potenziell annehmen muss. Dabei sind immer nur einzelne Stakeholdergruppen einzelnen Handlungsfeldern zugeordnet: 1. Eigene Identität klären und positionieren 2. Veränderungen begleiten 3. Deutungshoheit über Rollen, Themen, Märkte und Innovationen erlangen 4. Akzeptanz durch Integration schaffen 5. Bestehende Konflikte mit den Stakeholdern oder unter den Stakeholdern managen
Durch die Ausrichtung auf diese Handlungsfelder ergibt sich ein ganzheitlicher Fokus des Kommunikationsmanagements. Anstatt isoliert aus Kanälen heraus zu agieren, lassen sich die Strukturen der Unternehmenskommunikation darauf ausrichten, Prozesse umfassend zu begleiten. Die aktuelle Diskussion um Content Marketing unterstreicht dies.
Ein neuer Bezugsrahmen für Evaluierung und Bewertung der Kommunikation
Ebenso ergeben sich neue Verfahren zur Evaluierung von Kommunikation und Analyse des Beziehungskapitals. Um das Beziehungskapital erfassen und bewerten zu können, werden die Beziehungen zwischen Unternehmen und Stakeholdern hinsichtlich ihrer individuellen Parameter, den Key Relation Indicator, untersucht. Diese empirisch messbaren Indikatoren haben relevanten Einfluss auf die Entwicklung des Beziehungskapitals. Ein Tracking über Zeitverläufe ermöglicht nicht nur, Ableitungen für die spezifische Entwicklung des Beziehungskapitals zu treffen, sondern ebenso, verschiedene Stakeholdergruppen zu vergleichen.
Im Gegensatz dazu beschreibt das Relation Value Rating das Beziehungskapital ganzheitlich. Auf Basis einer standardisierten Bewertungsgrundlage lassen sich, in Anlehnung an bekannte Finanzmarktratings, Aussagen über Status, Abrufbarkeit und Stabilität des Beziehungskapitals treffen. Das Rating kann für einzelne Stakeholdergruppen, für das gesamte Unternehmen oder auch als vergleichende Wettbewerbsanalyse für relevante Marktsegmente vorgenommen werden.
Kurz gesagt: Der Einfluss von Kommunikation wird nur noch dort gemessen, wo Wirkung tatsächlich stattfindet. Darüber hinaus lassen sich nachvollziehbare und anschlussfähige Erfolgsnachweise generieren. Damit ist der Weg für Kommunikationsverantwortliche frei, künftig auf Augenhöhe mit Marketing und Geschäftsführung zu argumentieren und zu agieren.
Eine leicht gekürzte Fassung dieses Artikels erschien am 04.09.2014 in Horizont.