Cryan heißt die Chance für den Neuanfang bei der Deutschen Bank
Zu beneiden ist John Cryan nicht, wenn er am 1. Juli das Zepter bei der Deutschen Bank übernimmt. Er tritt ein schweres Erbe an. Aber er kann Hoffnung verbreiten. Als faktisch von außen kommender Vorstandschef kann er auf eine unvoreingenommene Wahrnehmung der Stakeholder hoffen.
Denn er ist nicht von der Führungskultur der Deutschen Bank geprägt worden. Er steht daher auch nicht für die rechtlichen und regulatorischen Risiken der Vergangenheit, auch wenn er diese nun lösen muss.
John Cryan muss aber nicht nur diese rechtlichen und regulatorischen Risiken lösen, um die damit verbundenen bilanziellen Probleme und Rückstellungen zu lösen, auch wird Cryan nicht nur an den Bilanzwerten und -risiken Hand anlegen müssen.
Mindestens ebenso wichtig ist die Steigerung des Beziehungskapitals. Selten konnte man es so deutlich vorrechnen wie am Tag der Hauptversammlung der Deutschen Bank. Während die Stakeholder und Shareholder dem Vorstandsduo die Leviten lasen und die Zerrüttung ihrer Beziehung vorführten – bis hin zur 39% Nichtzustimmung bei der Entlastung der beiden – notierte die Aktie der Deutschen Bank bei 28,80 Euro.
Damit betrug die Börsenkapitalisierung der Deutschen Bank 6,5% WENIGER als ihr Bilanzwert, allein als Ergebnis zerrütteter Stakeholder Beziehungen. Mit anderen Worten das Beziehungskapital der Deutschen Bank war negativ und betrug minus 6,5% des Bilanzwerts. So kann es auch nicht wundern, dass allein die Personalentscheidung für John Cryan einen 8%igen Sprung der Aktie auslöste und so das Beziehungskapital auf einen Nullwert führte.
Gleichwohl die nach seiner Ernennung wieder einmal gestiegenen Aktienkurse der Deutschen Bank darauf hindeuten, dass Shareholder (und Stakeholder), die sich in den letzten Jahren vom Unternehmen abgewandt hatten, weil das Vertrauen in seine Führung verloren gegangen war, nun wieder Hoffnung schöpfen können. Aber nur mit einer stärkeren Berücksichtigung ihrer Interessen kann der lange angekündigte Kulturwandel im Konzern auch gelingen.
Das vor allem ist die Chance, die sich dem Briten bietet. Dafür muss er aber den Kulturwandel neu deklarieren und erklären wie Effizienzsteigerung und Rückgewinnung von Vertrauen unter einen Hut gebracht werden können.
So ist es symbolisch gar nicht zu unterschätzen, dass Cryan eben sehr gut deutsch spricht und sich nicht wie Jain in schwierigen Momenten ständig übersetzen lassen muss.
Wenn Cryan verstanden hat, dass Stakeholder wie Politik, Gewerkschaften / Betriebsrat, Mitarbeiter oder Medien in Deutschland eine noch weit bedeutendere Rolle spielen als im Fall der UBS Sanierung, dann hat er eine echte Chance die Bank als Phönix aus der Asche auferstehen zu lassen.
Beziehungskapital als Referenz – ein Paradigmenwechsel in der Erfolgsmessung
Erfolgsmessung ist nicht gleich Erfolgsmessung.
Schon 1996, als ich beruflich in die Agenturwelt wechselte, fand ein Deutungskampf um die richtigen Evaluationsmethoden statt: Output-Messungen wie Reichweiten, Anzeigenäquivalenzwert und Tonalitäten waren Standard in der PR. Imageanalysen waren Luxus. In dieser Zeit galten Inhaltsanalysen als Innovation, ließ sich so doch bewerten, ob Botschaften transportiert und verstanden wurden.
An den Hochschulen wurde schon damals ständig auf die Unzulänglichkeit dieser Methoden für die Evaluierung von Qualität und Strategie der Kommunikation hingewiesen. Es fehlte aber an Alternativen.
Nach der Jahrtausendwende dominierte dann mehr und mehr das Shareholder-Value-Prinzip die Denkwelten des Managements. Dies war die Grundlage der ersten systematischen Controlling-Ansätze in der Kommunikation. In Wissenschaft und Praxis wurden verschiedene Modelle entwickelt, die darauf abzielten, Kommunikation finanziell zu bilanzieren, also materielle Wertschöpfungsbeiträge für das Unternehmen nachzuweisen. Kommunikationsabteilungen mussten sich vielfach dem Druck der Ökonomisierung unterwerfen und die Illusion ökonomischer Bilanzierbarkeit mitspielen. Geschäftsführung und Vorstand sollen mit betriebswirtschaftlich darstellbaren Zahlen überzeugt und die eigene Stellung im Unternehmen untermauert werden. Die Praxis zeigt jedoch, dass eine derartige Umrechnung von Kommunikation in ökonomisches Kapital keine zufriedenstellende Lösung ist. Eine echte RoI-Rechnung oder verlässliche Bilanzierungen liefern Methoden wie das Communication Value System (CVS) der GPRA nämlich nicht.
Der Paradigmenwechsel zum Beziehungskapital
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse (Prof. Peter Szyszka: Beziehungskapital, Verlag Kohlhammer, 2014) setzen an diesem Punkt an und zeigen auf, dass die Umrechnung von Kommunikation in Realkapital auf einer lückenhaften Argumentation basiert. Führt man sich die Wirkungszusammenhänge von Kommunikation vor Augen, wird eines deutlich: Neben der direkten Unterstützung der Wertschöpfungskette beeinflusst Kommunikation den Unternehmenserfolg viel deutlicher durch die Bildung immaterieller Vermögenswerte wie Image, Reputation oder Unternehmenskultur. Kommunikation hat also keinen unmittelbaren Einfluss auf das Realkapital eines Unternehmens und kann diesen folglich auch nicht nachweisen. Vielmehr geht es darum, zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern zu vermitteln, um sozialen Kredit und Handlungsspielräume zu erwirken und darüber indirekt Ziele auf Ebene des Realkapitals zu flankieren. Somit gewinnen die Beziehungen zwischen einem Unternehmen und seinen Stakeholdern an Bedeutung und das darin verankerte Beziehungskapital wird zur Zielgröße von Kommunikation.
Das Beziehungskapital beschreibt Wertschätzung, Akzeptanz und Handlungsspielräume, die dem Unternehmen von seinen Stakeholdern bereitgestellt werden. Es wird geprägt durch die Bewertungen des Stakeholders über Reden und Handeln des Unternehmens und dessen Bedeutung für den Stakeholder. Das bedeutet: Nicht nur die persönlichkeitsbasierte Wahrnehmung von Image oder Reputation etc., sondern erst die Einordnung dessen in den Rollenkontext des Stakeholders führt zur Gestalt des Beziehungskapitals. Abhängig von der eigenen Rolle, dem situativen Kontext und den Erwartungen an das Unternehmen können Stakeholder verschiedene Attribute der Persönlichkeit als relevant beurteilen.
Authentizität ist die Erwartung von Kontinuität im Handeln
Beziehungskapital bildet daher die individuelle Beziehung zwischen Unternehmen und Stakeholder sowie die gemeinsame Beziehungsgeschichte ab. So konstruieren Stakeholder eine Wahrnehmung kontinuierlicher Fortschreibung unternehmerischen Handelns. Entsprechen neue Begegnungen mit dem Unternehmen dieser Wahrnehmung, wird das Verhalten als authentisch bewertet und das Persönlichkeitsschema bestätigt. Die Erwartung der Stakeholder ist so stark, dass auch moderate Abweichungen, im Positiven wie im Negativen, noch als dem Schema entsprechend und somit als authentisch eingestuft werden. Erst Ereignisse, die das Gewohnheitsgefüge ausdrücklich durchbrechen und eine Irritation auslösen – Krise oder inszenierter Neuanfang – haben Auswirkungen auf das Beziehungskapital.
Fünf Handlungsfelder der Unternehmenskommunikation
Die Aufgabe des Unternehmens ist es nun, Beziehungskapital zu gestalten. Kommunikation dient damit zu aller erst der Bewirtschaftung eben dieses Beziehungskapitals. Die Systematik des Beziehungskapitals lässt fünf Handlungsfelder identifizieren, die Unternehmenskommunikation potenziell annehmen muss. Dabei sind immer nur einzelne Stakeholdergruppen einzelnen Handlungsfeldern zugeordnet: 1. Eigene Identität klären und positionieren 2. Veränderungen begleiten 3. Deutungshoheit über Rollen, Themen, Märkte und Innovationen erlangen 4. Akzeptanz durch Integration schaffen 5. Bestehende Konflikte mit den Stakeholdern oder unter den Stakeholdern managen
Durch die Ausrichtung auf diese Handlungsfelder ergibt sich ein ganzheitlicher Fokus des Kommunikationsmanagements. Anstatt isoliert aus Kanälen heraus zu agieren, lassen sich die Strukturen der Unternehmenskommunikation darauf ausrichten, Prozesse umfassend zu begleiten. Die aktuelle Diskussion um Content Marketing unterstreicht dies.
Ein neuer Bezugsrahmen für Evaluierung und Bewertung der Kommunikation
Ebenso ergeben sich neue Verfahren zur Evaluierung von Kommunikation und Analyse des Beziehungskapitals. Um das Beziehungskapital erfassen und bewerten zu können, werden die Beziehungen zwischen Unternehmen und Stakeholdern hinsichtlich ihrer individuellen Parameter, den Key Relation Indicator, untersucht. Diese empirisch messbaren Indikatoren haben relevanten Einfluss auf die Entwicklung des Beziehungskapitals. Ein Tracking über Zeitverläufe ermöglicht nicht nur, Ableitungen für die spezifische Entwicklung des Beziehungskapitals zu treffen, sondern ebenso, verschiedene Stakeholdergruppen zu vergleichen.
Im Gegensatz dazu beschreibt das Relation Value Rating das Beziehungskapital ganzheitlich. Auf Basis einer standardisierten Bewertungsgrundlage lassen sich, in Anlehnung an bekannte Finanzmarktratings, Aussagen über Status, Abrufbarkeit und Stabilität des Beziehungskapitals treffen. Das Rating kann für einzelne Stakeholdergruppen, für das gesamte Unternehmen oder auch als vergleichende Wettbewerbsanalyse für relevante Marktsegmente vorgenommen werden.
Kurz gesagt: Der Einfluss von Kommunikation wird nur noch dort gemessen, wo Wirkung tatsächlich stattfindet. Darüber hinaus lassen sich nachvollziehbare und anschlussfähige Erfolgsnachweise generieren. Damit ist der Weg für Kommunikationsverantwortliche frei, künftig auf Augenhöhe mit Marketing und Geschäftsführung zu argumentieren und zu agieren.
Eine leicht gekürzte Fassung dieses Artikels erschien am 04.09.2014 in Horizont.NOlympJA
Da ist es also passiert. Ganz anders als von den Politikern in München, Garmisch-Partenkirchen, im Berchtesgartener Land oder in der Bayrischen Staatskanzlei gewünscht. Die Bevölkerung hat gesprochen und sie hat „No Olympia“ gesagt, und ist der staatlichen Kampagne „Olymp-JA“ nicht gefolgt.
Statt aber im Moment der Niederlage selbstkritisch auf die eigene Kampagne und die propagandaartige Kommunikation der Ja-Seite zu gucken, brachen zahlreiche Politiker in München eine Diskussion darüber vom Zaun, dass man solch überregional bedeutende Ereignisse nicht einfach vor Ort entscheiden lassen dürfe. In der Abstimmung habe sich nicht die Mehrheit der Menschen, sondern lediglich eine mobilisierte Minderheit ausgedrückt.
Dabei gebe es genügend Gründe für selbstkritische Betrachtungen. Hat doch die Kampagne der Ja-Seite die Mobilisierung der Nein-Sager erst richtig befördert. Ob es Durchsagen der Deutschen Bahn waren, in der die Bahn dazu aufforderte mit „Ja“ zu stimmen, weil nur dann bestimmte Investitionen möglich seien. (Versteckte Botschaft: Diese Geldausgaben sind nur für Olympia nötig, verbessern aber nicht die täglichen Anforderungen an Nah- und Regionalverkehre). Oder ob es die Abstimmungsunterlagen waren, in denen nur die Ja-Seite sich darstellen konnte. (Subbotschaft: Wir ignorieren alle Gegenargumente und sind davon überzeugt, dass nur Ja-Sager recht haben.)
Am Ende war es eine Werbekampagne für geschätzt über 5 Mio. Euro, an der namhafte Münchener Werbeagenturen mitgearbeitet haben, die vor allem eines deutlich machte: Olympia ist ein Riesnegeschäft, dass wir uns nicht entgegen lassen sollten. Da aber genau die Knebelverträge des IOC, die eine ganze Region haarklein auf die Vermarktungsbedingungen des IOC verpflichten, eines der Hauptargumente der Gegenseite waren, hat diese Kampagne nur unterstrichen, was die Kritiker behaupteten.
Es zeigt sich eben einmal wieder: Stakeholder zu integrieren, Kritiker früh in der Öffentlichkeitsarbeit zu beteiligen und Entscheidungsvarianten anzubieten, sind unverzichtbare Bestandteile von Akzeptanz schaffender Kommunikation. Die „No Olympia“ Kampagne hat es vorgemacht. Mit einer echten Tür-zu-Tür-Kampagne konnten die Bürger direkt angesprochen, auf die Probleme aufmerksam gemacht und für die Schwächen der Olympia-Bewerbung sensibilisiert werden.
Bleibt zu hoffen, dass Politik und Wirtschaft in Berlin diese Abstimmung und ihr Zustandekommen genau analysieren und daraus die richtigen Konsequenzen ziehen. Denn Olympia kann genug begeisternde Geschichten liefern, um eine solche Abstimmung auch deutlich zu gewinnen. Eine Chance für Berlin 2024!
Ist Politik noch planbar? Was sich nach Stuttgart 21 verändert hat.
Von Klaus-Peter Johanssen und Peter Ruhenstroth-Bauer
Nachstehend ein Auszug aus einem Artikel der beiden Autoren im aktuellen Heft des CICERO.
Jahrelange Planungen, zahlreiche Studien und Expertengutachten, internationale Zustimmung, öffentliche Anhörungen und die nötigen Genehmigungen hatten, so dachten die Verantwortlichen, ihrem Vorhaben die nötige Legitimität verschafft. Einer Besetzung durch Umweltschützer, glaubten sie, durch Regierungsunterstützung, gerichtliche Räumungsbeschlüsse, Einsatz von Sicherheitspersonal, Polizei und Wasserwerfern erfolgreich entgegentreten zu können. Und doch mussten sie ihren Plan am Ende aufgeben. Was wie die Kurzfassung von Stuttgart 21 klingt, ist die Geschichte der den Konzernen Shell und Exxon gemeinsam gehörenden Öllagerplattform Brent Spar. Im Verein mit deutschen Medien und deutscher Öffentlichkeit hatte Greenpeace die Versenkung der außer Dienst gestellten Anlage im Nordatlantik verhindert. Und das, obwohl vorher wie nachher nachgewiesen war, dass diese Form der Entsorgung geringere Umweltschäden als andere Entsorgungslösungen verursacht hätte. […]
Eine so emotionalisierte Form öffentlicher Kritik hatte es bis dahin in Deutschland nicht gegeben. […]
Die Parallelen sind offenkundig [zur Situation in Stuttgart]: […] Angefangen mit „Montagsdemonstrationen“ einiger tausend Menschen über originelle, kreative Protestformen wie dem täglichen „Schwabenstreich“, „Bürgerchor“ und „Widerstandsbier“ wurde aus einer Bürgerinitiative eine Protestbewegung. Mittlerweile mobilisiert das Bahnhofsprojekt regelmäßig 50.000 bis 60.000 Demonstranten. Meist sind es „brave“ Schwaben, keine Krawallmacher, sondern Bürger wie der Schauspieler Walter Sittler. […] Die Politik, von dem Protest „kalt erwischt“, reagiert bislang im alten Schema: Beschlossen und verkündet – der Tiefbahnhof wird realisiert. Diese unverrückbar scheinende Haltung, die als ignorante Arroganz der Macht aufgefasst wird, schürt den Widerstand und verstärkt ihn zur Wut. Stark emotionalisiert wurde die Lage durch den polizeilichen Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray gegen Schulkinder, Frauen und Rentner und die Bilder darüber. […]
Hinzukam die Überzeugung der Politik, mit den vorgeschriebenen Beteiligungen der Öffentlichkeit, der Offenlegung der Planungen, der Behandlung von Einsprüchen bis zu rechtskräftigen Entscheidungen und der Befassung der Parlamente das Projekt rechtsstaatlich abgesichert zu haben. Damit sei das Projekt ausreichend legitimiert. […]
Juristisch betrachtet mögen sie recht haben. Mit diesem Hinweis werden sich die Demonstranten allerdings nicht nach Hause schicken lassen. […] Ungeachtet aller bisherigen Versäumnisse lässt sich die jüngste Entwicklung der Proteste gegen das Projekt freilich nicht mehr allein durch Fehler bei der Information der Bürger und der Kommunikation mit ihnen erklären. […]
Dass Politik so nicht mehr funktioniert, ist eine Binsenweisheit. Aber im Handeln und in der Kommunikation der Politik ist das immer noch nicht angekommen. Langzeitumfragen zeigen, dass die Menschen der politischen Kaste nicht mehr vertrauen. Die Wahlbeteiligungen, ganz gleich auf welcher Ebene, haben einen Tiefpunkt erreicht. Es wird Zeit, dass die Politik erkennt, dass die Uhren heute anders gehen.
Im Protest bei Stuttgart 21 wird daher mehr sichtbar als nur der Widerstand gegen ein Großprojekt. Der Protest ist gleichzeitig Symbol für Politik- und Politikerverdrossenheit der Bürger und mangelnde Bodenhaftung der politischen Entscheidungsträger. Wer sich nicht mehr ernst genommen fühlt, verliert zu Recht Vertrauen. Wem vermittelt wird, er habe keine Ahnung, der fragt nach der Legitimation der Politik. […] Die Attitüde „Information von oben nach unten“ funktioniert nicht mehr. Die Bürger fordern Mitspracherechte und Information auf Augenhöhe. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat in ihrer Antrittsrede als Bundesratspräsidentin formuliert, wie die Politik diese (neuen) Anforderungen erfüllen muss. Es gehe darum „von Anfang an aus Betroffenen wieder Beteiligte“ zu machen. Damit hat sie eine entscheidende Vorbedingung für erfolgreiche Politik formuliert. Information und Beteiligung, das verlangen die Bürgerinnen und Bürger immer lauter.
Dass Projektplanungen auch anders ablaufen können, zeigen zwei Hamburger Großprojekte im Jahr 2007: das eine die Idee einer Living-Bridge, einer an die Ponte Vecchio erinnernden 700 m langen Brücke über die Elbe mit Restaurants, Geschäften und 1.000 Wohnungen, das andere die Frage der baulichen Gestaltung des Domplatzes mitten in der City. In beiden Fällen hatten die Bürger die Möglichkeit, in Online-Foren die Pläne ausgiebig zu diskutieren und eigene Ideen vorzuschlagen. Die Ergebnisse dieser unter einer breiten Beteiligung von Bürgern und Experten sowie einer starken Medienresonanz abgelaufenen Prozesse sind bemerkenswert. Die zunächst als wegweisend bezeichnete Idee der Living-Bridge fand keine Mehrheit und wurde verworfen. Und der Hamburger Domplatz ist nun eine grüne Oase in der Stadtmitte mit den angedeuteten Grundmauern des Doms ganz ohne die ursprünglich vorgesehenen Stahl- und Glasbauten. Positive Beispiele sinnvoller Bürgerbeteiligung statt Bürgerproteste. […] Die Kommunizierbarkeit ist […] der Lackmus-Test in der Projektplanung.
Das bedeutet, dass die Politik zukünftig nicht mehr umhin kommt, sicher zu stellen, dass die Bürgerinnen und Bürger real an dem Projekt beteiligt werden. Das war bei Stuttgart 21 offenbar nicht der Fall. Wer genau hinsieht, stellt nämlich fest, dass die Beteiligung zwar nach allen erforderlichen Regularien, tatsächlich aber nur pro forma abgelaufen ist. Wie anders kann man es verstehen, dass bei den über 10.000 Einsprüchen nur die berücksichtigt wurden, die Änderungen an Einzelheiten des Tiefbahnhofprojektes vorsahen? Alle Einsprüche, die sich gänzlich gegen das Projekt aussprachen oder Alternativen unter Beibehaltung des Kopfbahnhofs vorgeschlagen haben, sind komplett unter den Tisch gefallen.
So werden aus Betroffenen keine Beteiligten, sondern Protestierende, im Fall Stuttgart 21, aber z.B. auch bei Gorleben, gar sog. „Wutprotestanten“. Die Folge dieses Kommunikationsversagens ist fatal: Denn nun spielt es keine Rolle mehr, ob der Protest gerechtfertigt ist oder nicht, die Protestierer mit ihrem Protest recht haben oder nicht. […] Kommunikation ist in diesem Stadium überfordert, die Basis für ein Agieren „nach Plan“ zu ermöglichen. Folgerichtig ist das Stuttgarter Schlichtungsverfahren trotz aller gut gemeinten Informationen via Internet und TV eine reine Schaufensterveranstaltung und Bühne der beteiligten Befürworter und Gegner. Dadurch jedenfalls wird der Konflikt nicht gelöst werden. Protest und Demonstrationen werden nicht nachlassen. Handlungsfreiheit wird daher nur gewonnen, wenn Lösungen gefunden werden, die am Ende dem Widerstand gegen das Projekt nachgeben. […]
Wenn „Politik planbar“ sein soll, müssen Partizipation und Information künftig Standard für solche Projekte von Politik und Wirtschaft werden. […]
In großen und zunehmend wohl auch kleinen Projekten bedeutet das für beide Seiten – Politik wie auch Bürgerinnen und Bürger – einen Gewöhnungsprozess. Der Bürgerfrust über „die da oben“ muss in echte und aktive Beteiligung umgelenkt werden. Auf der Suche nach Akzeptanz und einem Mehr an Legitimation muss die Politik dies ermöglichen und gleichzeitig das Bewusstsein schaffen, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Es mag sein, dass das eine oder andere Politik- oder Wirtschaftsprojekte dadurch nicht so umgesetzt werden kann, wie man sich das ursprünglich gedacht hatte. Aber mit der Bürgerbeteiligung hat man die Legitimation für seine Projekte und damit den notwendigen Handlungsspielraum sichergestellt. Das schafft nicht nur Akzeptanz, sondern macht Politik tatsächlich planbar.
Über die Autoren: Klaus-Peter Johanssen ist Kommunikationsberater und Mitgründer der Berliner Kommunikationsagentur Johanssen + Kretschmer. Bis 1998 war er Kommunikationschef der Shell in Deutschland. Peter Ruhenstroth-Bauer war Stellvertretender Chef des Bundespresseamtes und Staatssekretär bis 2005. Heute ist er Kommunikationsberater und Lehrbeauftragter für Regierungskommunikation (an der Universität Potsdam).Transparenz – es tut sich was.
Kaum war die neue Bundesregierung gebildet, bemühten sich die neuen Minister deutlich zu machen, dass sie auf keinen Fall einfach dem Lobbyismus der Wirtschaft erliegen werden. Am deutlichsten wurde während seiner Amtseinführung der neue Gesundheitsminister Rösler, der dem Lobbyismus in der Gesundheitspolitik endlich etwas entgegensetzen will. Immer öfter wird in der Diskussion „Lobbyismus“ als Ursache für politische Fehlentscheidungen ausgemacht. Dabei wissen alle Beteiligten, dass es ohne Interessenvertretung gar nicht geht. Politik muss die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten kennen und muss diese Interessen gegeneinander abwägen, Kompromisse zwischen verschiedenen Interessen finden. Das allein ermöglicht es, ungewollte Folgewirkungen zu erkennen und zu verhindern. Lobbyismus kann also die Politik nicht aus der Entscheidungsfindung und damit auch nicht aus der Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen entlassen. Voraussetzung dafür ist aber, dass grundlegende Spielregeln der Interessenvertretung und Standards der Kommunikation eingehalten werden. Unbestritten ist Transparenz dabei einer der wesentlichen Grundsätze.
Natürlich wird jeder der seine Interessen artikuliert und offen vorträgt auch immer Kritik ernten und Widerworte erfahren, weil andere Akteure in der Regel widerstreitende Interessen verfolgen. Doch etwas anderes ist die drohende Gefahr, dass die License to operate des Lobbying bedroht ist. Spätestens der nächste gravierende Skandal könnte diese in Windeseile in Frage stellen.
Mehr und mehr Akteure erkennen diese Problematik und drängen daher auf eine Klärung der gesetzlichen Grundlagen des Lobbyings:
Die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung de’ge’pol hat am 17.12. auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung und nach einer Mitgliederbefragung ein Papier mit Eckpunkten für einen Gesetzentwurf für ein Lobbygesetz verabschiedet. Damit liegt eine erste Grundlage für ein Gesetzgebungsverfahren auf dem Tisch. Zwar wird das Papier sowohl aus Kreisen der DPRG, die gegen ein verpflichtendes Lobbyregister sind, als auch von Lobbycontrol, denen die finanzielle Offenlegung nicht weit genug geht, kritisiert. Aber damit ist die Diskussion eben eröffnet. Lobbycontrol selbst hat ebenfalls am 17.12. fast 9.000 Unterschriften für ein Lobbygesetz an den Vizepräsidenten des Deutschen Bundestag, Otto Solms, übergeben.
Aber auch in die Unternehmenslandschaft ist Bewegung gekommen. So belegt die jüngste Public Affairs Umfrage der Agentur Publicis, dass das Lobbyregister seinen Schrecken verloren hat. Die Mehrheit erwartet sogar einen positiven Imageeffekt auf das Ansehen der Branche. Auch in einem Workshop der Bertelsmann Stiftung im Dezember sprachen sich eine mehrere Hauptstadtrepräsentanten verschiedener großer Unternehmen für ein Lobbyregister aus. Inzwischen scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch aus den Reihen der deutschen Industrie eine entsprechende Initiative gestartet wird. Darauf setzt offenkundig auch Transparency International. So verweist der Geschäftsführer von Transparency International, Christian Humborg, immer wieder auf die schwindende Glaubwürdigkeit des Lobbyismus, die nur doch mehr Transparenz gestoppt werden könne. Zurecht unterstreicht er welche gravierenden Folgen dies für die Akzeptanz demokratischer Entscheidungsprozesse und unserer staatlichen Institutionen haben kann.
Mein Fazit: Laut Koalitionsvertrag will die schwarzgelbe Koalition das Thema Lobbying zwar nicht anfassen, aber wenn sich mehr und mehr Akteure pro Lobbyregister positionieren, dann wird gerade eine schwarzgelbe Mehrheit sich dem nicht entgegenstellen. Kommt es zu einer Regelung steckt der Teufel im Detail – auf drei Punkte wird man besonders achten müssen:
- Der Geltungsbereich eines Lobbyregisters darf nicht auf den Deutschen Bundestag begrenzt sein, sondern muss zumindest auch die Bundesministerien umfassen. Daher bedarf es einer gesetzlichen Regelung, nicht einer Festschreibung in der Geschäftsordnung des Bundestags.
- Das Register muss verpflichtend sein. Ein freiwilliges Register birgt mehr Gefahren als Lösungen, denn es erlaubt aus Sicht der Unternehmen die Verlagerung des „Konfliktes“ in die Beratungsunternehmen, die dann fallweise klären müssen, wo sie offenlegen dürfen und wo nicht.
- Das Register muss alle Akteure umfassen. Das meint ausdrücklich auch Rechtsanwaltskanzleien. Da der Mandantenschutz nur den Inhalt des Mandats, nicht aber das Mandatsverhältnis selbst umfasst, ist diese Offenlegung juristisch problemlos möglich.