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Gastbeitrag von Indre Zetzsche: Infrastrukturprojekte brauchen Beteiligung. Beteiligung braucht Führung.

Öffentliche Großprojekte sind im Schnitt 73 Prozent teurer als geplant. Zu diesem Ergebnis kommt die jüngste Studie der Hertie School of Governance, die am 19. Mai 2015 veröffentlicht wird. Das Team unter Leitung von Prof. Dr. Genia Kostka hat 170 seit 1960 realisierte Großprojekte untersucht. Als zentrale Kostentreiber sieht die Forschergruppe vor allem Defizite bei der Entscheidung, Planung und Steuerung: „Verwaltung und politisch Verantwortliche seien oftmals zu optimistisch und überschätzten ihre Fähigkeiten.“ Ob und wie die Öffentlichkeit als Einflussgröße im Rahmen der Untersuchung berücksichtigt wurde – darüber geben die Vorabveröffentlichungen keine Auskunft. Jedoch liegt auf der Hand, dass die Öffentlichkeit eine zentrale Rolle bei Infrastrukturprojekten spielt.

Bürger/innen können Projekte aufhalten und die Kosten mit ihrem Protest in die Höhe treiben. „Stuttgart 21“ steht hierfür wie kein zweites Beispiel. Bürger/innen können aber auch dazu beitragen, dass Projekte besser und kostengünstiger werden. So etwa beim baden-württembergischen Schindhaubasistunnel.

Wie lässt es sich erklären, dass die Bürger/innen das eine Mal als Prozessoptimierer/innen, das andere Mal als „Wutbürger/innen“ auftreten? Die Antwort ist – wie immer – komplex. Und doch oder gerade deshalb lassen sich Faktoren für „gelungene“ Bürgerbeteiligung ausmachen.

Da wäre zunächst einmal die Grundsatzfrage: Wie viel Beteiligung ist eigentlich gewollt? Oder anders gefragt: Was steht eigentlich zur Disposition? Sollen die Bürger/innen als „Expert/innen in eigener Sache“ konsultiert werden (Beispiel: Netzausbau)? Sollen sie das „Wie“ eines Vorhabens mitgestalten (Beispiel: Schindhaubasistunnel) oder über das „Ob“ mitentscheiden können (Beispiel: Tempelhofer Feld). Nur wenn der Beteiligungsrahmen klar definiert und – womit wir beim zweiten Punkte wären – auch verbindlich ist, kann Öffentlichkeitsbeteiligung zum förderlichen Faktor werden.

Verbindlichkeit heißt, dass die Ergebnisse eines Beteiligungsprozesses die Wirkung entfalten, die man im Vorfeld vereinbart hat. Dass ein rein informatives Beteiligungsverfahren innovative Kraft entfaltet, würde niemand erwarten. Wenn aber die Bürger/innen entscheiden sollen und das Bürgervotum dann übergangen wird, ist Enttäuschung noch die mildeste aller denkbaren Reaktionen. Kurzum: Wer Mitbestimmung verspricht, sollte sie auch einlösen. Andernfalls verkehrt sich Beteiligung in ihr Gegenteil: Was Engagement und Vertrauen schaffen sollte, mündet in Verdrossenheit und Misstrauen.

Neben der Grundsatzfrage sind es aber auch methodische Fragen, an denen sich gelungene Beteiligung entscheidet. Ganz gleich in welcher Phase eines Infrastrukturprojekts die Öffentlichkeit beteiligt wird (Genehmigung, Planung oder Umsetzung), müssen Ziele, Instrumente und Techniken aufeinander abgestimmt sein. Ein auf Akzeptanz zielendes Verfahren tut gut daran, auf Innovationstechniken zu verzichten und stattdessen auf Information und sachlichen Austausch zu setzen. Auf Beratung zielende Beteiligung braucht wissens- und kreativitätsfördernde Methoden. Vor allem aber braucht Beteiligung Verantwortung. Was heißt das?

Wer einen Beteiligungsprozess initiiert, muss wissen, wofür sie/er das tut und den Prozess entsprechend steuern. Allzu gerne ziehen sich die Initiator/innen aus der Verantwortung und lassen „überparteiliche“ Moderator/innen vermitteln, die durchaus gute, aber am Ende nicht gewünschte und nicht umsetzbare Ergebnisse produzieren.

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JUK_IZE_Indre_Zesche_2Indre Zetzsche ist Business Direktorin bei Johanssen + Kretschmer Strategische Kommunikation GmbH für das Beratungsfeld Dialogkommunikation und frühe Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Konzeption, Moderation und strategischen Begleitung von Dialog- und Beteiligungsprojekten.

Ist Politik noch planbar? Was sich nach Stuttgart 21 verändert hat.

Von Klaus-Peter Johanssen und Peter Ruhenstroth-Bauer

Nachstehend ein Auszug aus einem Artikel der beiden Autoren im aktuellen Heft des CICERO.

Jahrelange Planungen, zahlreiche Studien und Expertengutachten, internationale Zustimmung, öffentliche Anhörungen und die nötigen Genehmigungen hatten, so dachten die Verantwortlichen, ihrem Vorhaben die nötige Legitimität verschafft. Einer Besetzung durch Umweltschützer, glaubten sie, durch Regierungsunterstützung, gerichtliche Räumungsbeschlüsse, Einsatz von Sicherheitspersonal, Polizei und Wasserwerfern erfolgreich entgegentreten zu können. Und doch mussten sie ihren Plan am Ende aufgeben. Was wie die Kurzfassung von Stuttgart 21 klingt, ist die Geschichte der den Konzernen Shell und Exxon gemeinsam gehörenden Öllagerplattform Brent Spar. Im Verein mit deutschen Medien und deutscher Öffentlichkeit hatte Greenpeace die Versenkung der außer Dienst gestellten Anlage im Nordatlantik verhindert. Und das, obwohl vorher wie nachher nachgewiesen war, dass diese Form der Entsorgung geringere Umweltschäden als andere Entsorgungslösungen verursacht hätte. […]

Eine so emotionalisierte Form öffentlicher Kritik hatte es bis dahin in Deutschland nicht gegeben. […]

Die Parallelen sind offenkundig [zur Situation in Stuttgart]: […] Angefangen mit „Montagsdemonstrationen“ einiger tausend Menschen über originelle, kreative Protestformen wie dem täglichen „Schwabenstreich“, „Bürgerchor“ und „Widerstandsbier“ wurde aus einer Bürgerinitiative eine Protestbewegung. Mittlerweile mobilisiert das Bahnhofsprojekt regelmäßig 50.000 bis 60.000 Demonstranten. Meist sind es „brave“ Schwaben, keine Krawallmacher, sondern Bürger wie der Schauspieler Walter Sittler. […] Die Politik, von dem Protest „kalt erwischt“, reagiert bislang im alten Schema: Beschlossen und verkündet – der Tiefbahnhof wird realisiert. Diese unverrückbar scheinende Haltung, die als ignorante Arroganz der Macht aufgefasst wird, schürt den Widerstand und verstärkt ihn zur Wut. Stark emotionalisiert wurde die Lage durch den polizeilichen Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray gegen Schulkinder, Frauen und Rentner und die Bilder darüber. […]

Hinzukam die Überzeugung der Politik, mit den vorgeschriebenen Beteiligungen der Öffentlichkeit, der Offenlegung der Planungen, der Behandlung von Einsprüchen bis zu rechtskräftigen Entscheidungen und der Befassung der Parlamente das Projekt rechtsstaatlich abgesichert zu haben. Damit sei das Projekt ausreichend legitimiert. […]

Juristisch betrachtet mögen sie recht haben. Mit diesem Hinweis werden sich die Demonstranten allerdings nicht nach Hause schicken lassen. […] Ungeachtet aller bisherigen Versäumnisse lässt sich die jüngste Entwicklung der Proteste gegen das Projekt freilich nicht mehr allein durch Fehler bei der Information der Bürger und der Kommunikation mit ihnen erklären. […]

Dass Politik so nicht mehr funktioniert, ist eine Binsenweisheit. Aber im Handeln und in der Kommunikation der Politik ist das immer noch nicht angekommen. Langzeitumfragen zeigen, dass die Menschen der politischen Kaste nicht mehr vertrauen. Die Wahlbeteiligungen, ganz gleich auf welcher Ebene, haben einen Tiefpunkt erreicht. Es wird Zeit, dass die Politik erkennt, dass die Uhren heute anders gehen.

Im Protest bei Stuttgart 21 wird daher mehr sichtbar als nur der Widerstand gegen ein Großprojekt. Der Protest ist gleichzeitig Symbol für Politik- und Politikerverdrossenheit der Bürger und mangelnde Bodenhaftung der politischen Entscheidungsträger. Wer sich nicht mehr ernst genommen fühlt, verliert zu Recht Vertrauen. Wem vermittelt wird, er habe keine Ahnung, der fragt nach der Legitimation der Politik. […] Die Attitüde „Information von oben nach unten“ funktioniert nicht mehr. Die Bürger fordern Mitspracherechte und Information auf Augenhöhe. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat in ihrer Antrittsrede als Bundesratspräsidentin formuliert, wie die Politik diese (neuen) Anforderungen erfüllen muss. Es gehe darum „von Anfang an aus Betroffenen wieder Beteiligte“ zu machen. Damit hat sie eine entscheidende Vorbedingung für erfolgreiche Politik formuliert. Information und Beteiligung, das verlangen die Bürgerinnen und Bürger immer lauter.

Dass Projektplanungen auch anders ablaufen können, zeigen zwei Hamburger Großprojekte im Jahr 2007: das eine die Idee einer Living-Bridge, einer an die Ponte Vecchio erinnernden 700 m langen Brücke über die Elbe mit Restaurants, Geschäften und 1.000 Wohnungen, das andere die Frage der baulichen Gestaltung des Domplatzes mitten in der City. In beiden Fällen hatten die Bürger die Möglichkeit, in Online-Foren die Pläne ausgiebig zu diskutieren und eigene Ideen vorzuschlagen. Die Ergebnisse dieser unter einer breiten Beteiligung von Bürgern und Experten sowie einer starken Medienresonanz abgelaufenen Prozesse sind bemerkenswert. Die zunächst als wegweisend bezeichnete Idee der Living-Bridge fand keine Mehrheit und wurde verworfen. Und der Hamburger Domplatz ist nun eine grüne Oase in der Stadtmitte mit den angedeuteten Grundmauern des Doms ganz ohne die ursprünglich vorgesehenen Stahl- und Glasbauten. Positive Beispiele sinnvoller Bürgerbeteiligung statt Bürgerproteste. […] Die Kommunizierbarkeit ist […] der Lackmus-Test in der Projektplanung.

Das bedeutet, dass die Politik zukünftig nicht mehr umhin kommt, sicher zu stellen, dass die Bürgerinnen und Bürger real an dem Projekt beteiligt werden. Das war bei Stuttgart 21 offenbar nicht der Fall. Wer genau hinsieht, stellt nämlich fest, dass die Beteiligung zwar nach allen erforderlichen Regularien, tatsächlich aber nur pro forma abgelaufen ist. Wie anders kann man es verstehen, dass bei den über 10.000 Einsprüchen nur die berücksichtigt wurden, die Änderungen an Einzelheiten des Tiefbahnhofprojektes vorsahen? Alle Einsprüche, die sich gänzlich gegen das Projekt aussprachen oder Alternativen unter Beibehaltung des Kopfbahnhofs vorgeschlagen haben, sind komplett unter den Tisch gefallen.

So werden aus Betroffenen keine Beteiligten, sondern Protestierende, im Fall Stuttgart 21, aber z.B. auch bei Gorleben, gar sog. „Wutprotestanten“. Die Folge dieses Kommunikationsversagens ist fatal: Denn nun spielt es keine Rolle mehr, ob der Protest gerechtfertigt ist oder nicht, die Protestierer mit ihrem Protest recht haben oder nicht. […] Kommunikation ist in diesem Stadium überfordert, die Basis für ein Agieren „nach Plan“ zu ermöglichen. Folgerichtig ist das Stuttgarter Schlichtungsverfahren trotz aller gut gemeinten Informationen via Internet und TV eine reine Schaufensterveranstaltung und Bühne der beteiligten Befürworter und Gegner. Dadurch jedenfalls wird der Konflikt nicht gelöst werden. Protest und Demonstrationen werden nicht nachlassen. Handlungsfreiheit wird daher nur gewonnen, wenn Lösungen gefunden werden, die am Ende dem Widerstand gegen das Projekt nachgeben. […]

Wenn „Politik planbar“ sein soll, müssen Partizipation und Information künftig Standard für solche Projekte von Politik und Wirtschaft werden. […]

In großen und zunehmend wohl auch kleinen Projekten bedeutet das für beide Seiten – Politik wie auch Bürgerinnen und Bürger – einen Gewöhnungsprozess. Der Bürgerfrust über „die da oben“ muss in echte und aktive Beteiligung umgelenkt werden. Auf der Suche nach Akzeptanz und einem Mehr an Legitimation muss die Politik dies ermöglichen und gleichzeitig das Bewusstsein schaffen, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Es mag sein, dass das eine oder andere Politik- oder Wirtschaftsprojekte dadurch nicht so umgesetzt werden kann, wie man sich das ursprünglich gedacht hatte. Aber mit der Bürgerbeteiligung hat man die Legitimation für seine Projekte und damit den notwendigen Handlungsspielraum sichergestellt. Das schafft nicht nur Akzeptanz, sondern macht Politik tatsächlich planbar.

Über die Autoren: Klaus-Peter Johanssen ist Kommunikationsberater und Mitgründer der Berliner Kommunikationsagentur Johanssen + Kretschmer. Bis 1998 war er Kommunikationschef der Shell in Deutschland. Peter Ruhenstroth-Bauer war Stellvertretender Chef des Bundespresseamtes und Staatssekretär bis 2005. Heute ist er Kommunikationsberater und Lehrbeauftragter für Regierungskommunikation (an der Universität Potsdam).

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