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Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft von Volkswagen werden auf Stakeholderebene entschieden“ – Teil II

Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober

In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ vom 22. Oktober im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen. Am 3. November beantwortete Szyszka die ersten beiden von fünf Fragen, die „PR-Journal“-Autor Wolfgang Griepentrog an den Hannoveraner Professor gerichtet hat. Heute folgt der zweite Teil der Antworten.

Wolfgang Griepentrog: Der Automobilkunde kauft bei VW oder bei einer anderen Marke des Konzerns; der Konzern und seine Problem sind dem Kunden erfahrungsgemäß egal. Das Leistungsversprechen wird primär am Produkt festgemacht, weniger an der Einhaltung konzernweiter Prinzipien. Ethische und ökologische Aspekte sind Kunden zwar wichtig, aber nicht unbedingt kaufentscheidend. Warum also soll sich der Konzern um seinen „USP“ kümmern? Muss nicht primär die Produktmarke VW neu erfunden werden? Und wie würden Sie überhaupt das Verhältnis zwischen der Konzernmarke „Volkswagen“ und der Produktmarke „Volkswagen“ sowie den anderen Töchtern beschreiben?

Peter Szyszka: Das sind gleich mehrere Fragen auf einmal. Zunächst muss, wenn es um den Konzern geht, zunächst das Prinzip Verantwortung gelten. Markenübergreifenden Themen wie Baugruppen oder eben Motoren sind Teile der Konzernverantwortung. Der Konzern macht Vorgaben, die Ingenieure einzelner Marken entwickeln, aber nicht für eine Marke, sondern entlang der Konzernvorgaben. Hier braucht es eine von außen klare Verantwortungsstruktur. Zweitens geht es um die Zukunft des klassischen Verbrennungsmotors. Wie kaum ein anderer Konzern – ausgenommen Ford – kann Volkswagen damit prahlen, ein entscheidender Wegbereiter moderner Massenmobilität gewesen zu sein. Hierfür stehen Käfer und Golf. Von hieraus sind die zentralen, plattformgebundenen Marken VW, Audi, Skoda und Seat zu interpretieren, die – jede auf ihre Weise – Teile des Massenmarktes bedienen. Die Zukunft des Verbrennungsmotors kann nur verbrauchsarm, umweltschonend und leistungsfähig und zwar in dieser Reihenfolge. Nur so können Massenautos auf Dauer aus ökonomischer wie ökologischer Perspektive für Kunden attraktiv sein. Unter diesem Dach diversifizieren die Marken. Die Produktmarke „Volkswagen. Das Auto“ muss nicht neu erfunden werden. Nur muss klar sein, wofür sie steht: für die Marke Volkswagen mit ihrer Tradition und dem mobilitätsbezogenen Leistungsversprechen.

Wolfgang Griepentrog: Wie können Automarken im deutschen Auto-Markt eigentlich den Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit schaffen und gegenüber den Kunden auch glaubwürdig vermitteln? Und wie kann ein international aufgestellter Konzern diesen Spagat auch in Regionen schaffen, in denen andere Kaufmotive gelten? Was ist hier am meisten gefragt: Kluge Markenstrategien, spezielle Unternehmensprinzipien oder ein Management, das alle möglichen Konflikte im Blick hat?

Peter Szyszka: Ich glaube, man sollte fragen, wie sie dies in der Vergangenheit gemacht haben, warum dies so war, und weiter, wie erfolgversprechend dieser Weg in Zukunft sein kann. Wenn man die mittlerweile sieben Golf-Generationen nebeneinander stellt, kann man sehen, wie dieses Auto immer größer, immer aufwendiger und immer teurer geworden ist. Dafür kamen von ‚unten‘ kleinere Baureihen nach, die dann auch wieder gewachsen sind. Für den Konzern ist dies attraktiv, weil mit steigenden PS-Zahlen und zunehmend verkauften Zusatznutzen auch Erträge und Gewinne steigen. Dass es so sein muss, wird dann von Marketingstrategen suggeriert. Dies gilt meines Erachtens für die gesamte deutsche Autobranche und ist eine Spirale, die sich nicht ins Unendliche weiterdrehen lässt. Im Gegenteil: Das Größenwachstum von Autos scheint mir in jeder Hinsicht begrenzt und lässt sich in absehbarer Zeit auch nicht mehr mit ausgetüfftelten Finanzierungsmodellen auffangen. Den Mut, hier den Hebel umzuwerfen und mit einfacheren, kostengünstigeren Autos in eine andere Richtung zu gehen, in der aus dem Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit ein Konglomerat wird, könnte eine Lösung sein. Dies mag im Moment wie eine Illusion klingen, aber die Frage, mit welcher Art von Autos Volkswagen in der mobilen Welt von morgen, z.B. am eigenen 100. Geburtstag erfolgreich sein kann, lässt in meinen Augen nur eine Antwort zu: so wie zuletzt jedenfalls nicht. Kernkompetenz und Markenkern ist die Mobilität. Sie müsste wieder im Zentrum stehen. Natürlich ist mir klar, dass es ein schwieriger Prozess wäre, denn die Modellpaletten sind da, der Konzern muss weiterleben und die Entwicklung neuer Modelle und Baureihen braucht seine Zeit. Deswegen könnte sich Veränderung vermutlich nicht radikal, sondern nur sukzessive vollziehen.

Wolfgang Griepentrog: Unternehmen, die eine Spitzenposition erklommen haben, sind besonders gefährdet und verwundbar. Schon weil es viel schwerer ist, an der Spitze zu bleiben und weiter zu wachsen als sich von geringerem Niveau aus zu entwickeln. Reputationsschäden sind deswegen besonders gravierend und für das Unternehmen schmerzhaft. Verantwortungsbewusstes Management sollte also darauf ausgerichtet sein, den Konzern mit seinen Marken nicht nur erfolgreich, sondern auch widerstandsfähig („resilient“) zu machen. Wie könnte eine „resiliente“ Unternehmens- und Markenführung bei Volkswagen aussehen?

Peter Szyszka: Sind Größe und Spitzenposition in einer ‚Weltrangliste‘ der Automobilverkäufe und Unternehmenserträge tatsächlich brauchbare Indikatoren für Erfolg, Resilienz und Zukunftsfähigkeit? Und war es nicht eine Gier, Toyota als Spitzenreiter ablösen zu wollen? Ist es daher nicht eine Ironie des Schicksals, dass die Krise genau zu dem Zeitpunkt ausbricht, als dieser Punkt erreicht wurde? Aber vielleicht kommt diese Krise genau zum richtigen Zeitpunkt, um einen Prozess einzuleiten, der gerade beim Volkswagenkonzern schwieriger einzuleiten gewesen wäre. Ich meine Industrie 4.0. Diese wird die Struktur des Volkswagenkonzerns und seiner Markentöchter gravierend verändern. Wie viele Menschen werden in 10, 15 Jahren bei VW in Wolfsburg arbeiten? Zwei Drittel, die Hälfte? Dabei wird es – zumindest aus heutiger Perspektive – weiter um den Bau von Autos gehen. Der Konzern muss sich allerdings entscheiden, welche Art von Autos diese Zukunft sichern soll und wie diese als imagemäßig diversifizierte Marken geführt werden könnten. Jene Marken, die nichts anderes sind als soziale Konstrukte, die ein Absender zwar beliebig stilisieren kann, diese aber erst durch Markenakzeptanz in Markt und Öffentlichkeit Wirkungen erzielen. Dies setzt voraus, dass der Konzern die Befindlichkeit von Markt und Marktumfeldern, den Resonanzräumen von Markenimages und deren kritische Akzeptanzfaktoren, bestens kennt. Hier muss meines Erachtens künftige Markenpolitik und -führung ansetzen.

Wolfgang Griepentrog: Vielen Dank, Herr Szyszka, für die ausführlichen Antworten.

Peter Szyszka: Gerne! Gestatten Sie mir aber bitte noch eine Schlussbemerkung. – Kurt Lotz, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG von 1968 bis 1971, hat in seinen „Lebenserinnerungen“ 1978 geschrieben, „dass die Öffentlichkeitsarbeit bei VW unter dem Aspekt planerischer Aktionen zu meiner Zeit nicht den Ansprüchen genügte, muss ich nachträglich gestehen.“ Er fügte hinzu, dass für ein Unternehmen schon damals „Öffentlichkeitsarbeit zu einem entscheidenden Faktor neben Forschung, Produktion und Absatz“ werden müsse und zwar nicht im Sinne von Produktwerbung, sondern von managementbezogener integrierter Kommunikation. Ein bis heute offensichtlich ungelöstes Volkswagen-Problem, das heute schlicht „Stakeholder-Management“ heißen müsste. Hier den Hebel umzuwerfen, führt zum VW-Kulturproblem zurück.

Interview im PR Journal

Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden“

Gastbeitrag: Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober

In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen.

Wolfgang Griepentrog: Ihren Beitrag beginnen Sie mit der provokanten Frage, ob Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen könne. Doch sind die Kunden wirklich daran interessiert? Ist es nicht vielmehr so, dass wenn Kunden mit einer Dienstleistung oder einem Produkt eigentlich zufrieden sind, eine solche Krise erfahrungsgemäß (siehe ADAC) auch rasch wieder vorbei ist? Jüngste, gute Verkaufszahlen nach Bekanntwerden des Skandals scheinen das doch zu belegen.

Peter Szyszka: Ich denke, man muss das Ganze differenzierter und nicht nur aus Kundenperspektive betrachten. Zunächst einmal halte ich es für gefährlich, mit aktuellen Verkaufszahlen zu argumentieren oder sich in Sicherheit zu wiegen. Autos sind imagesensible Produkte, bei denen sich Veränderungen nicht über Nacht, sondern mittel- und langfristig vollziehen, und es gibt kein Club-Modell wie beim ADAC, wo man auf die Trägheit der Masse setzen kann. Hier geht es immer wieder um neue Kaufentscheidungen, bei denen nicht nur der Grundnutzen Moblität, sondern auch Zusatznutzen bezahlt wird und dazu hören Image und Status. An Ford und Opel kann man das als Negativgeschichten genauso nachvollziehen wie an den Erfolgsgeschichten von VW und Audi. Es geht aber nicht allein um den Prozess des Wirtschaftens, also Beschaffung, Produktion und Absatz, es geht auch um die Bedingungen des Wirtschaftens, die Volkswagen künftig in Deutschland, den USA und anderswo auf der Welt vorfinden wird. Dort wird man – wie bei jedem Vertrauensbruch – zunächst einmal genauer hinschauen, was schon von der Sache her Handlungsspielräume enger absteckt. Zwar ist der Vertrauensbruch in der Beziehungsgeschichte zu den Stakeholdern nur eine Episode, aber sie ist nun mal Teil dieser Geschichte, mit deren Folgen man sich klugerweise in allen wesentlichen Beziehungssträngen substanziell auseinandersetzen und nach den kritischen Akzeptanzfaktoren fahnden sollte. Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden.

Griepentrog: Der Titel des Dramas von Volkswagen und seinem ehemaligen CEO Martin Winterkorn könnte lauten „Aufstieg und Niedergang einer Kultfigur der deutschen Wirtschaft“. Die Geschichte ist nicht neu und auch die Motive – Sie schreiben von „Ignoranz“, „Selbstüberschätzung“ – sind altbekannt. Können wir die Krise bei Volkswagen aber wirklich an einer Person bzw. einem kleinen Personenkreis festmachen oder liegt die Wurzel doch tiefer, etwa in spezifischen markenstrategischen Widersprüchen? Was hat VW wirklich falsch gemacht? Und wie können wir solche Entwicklungen verhindern?

Szyszka: Das an einzelnen Personen festzumachen, ist sicher falsch; es geht um die gewachsene Kultur im Umgang mit Entscheidungen und Problemen. Es geht um den Habitus des Unternehmens, die Art und Weise, wie Umfeld und Wirklichkeit wahrgenommen, welche Informationen wie verarbeitet, wie Entscheidungen zustande kommen und wie diese kommuniziert und exekutiert werden. Es geht um eingefahrene Routine im Umgang mit Problemen und um den Umgang mit Herausforderungen. Hier haben sich Muster herausgeprägt, deren Zukunftsfähigkeit jetzt zur Disposition steht. Es kann – zugespitzt formuliert – nicht sein, dass ein Spaltmaß wichtiger ist als die rechtzeitige Information eines Hauptanteilseigners wie dem Land Niedersachsen, zudem auch noch ein besonderes Verhältnis besteht. Da funktioniert das System nicht. Martin Winterkorn war für mich im Übrigen nie eine Kultfigur. Dazu fehlte ihm das Charisma, um über die gewachsene Unternehmenskultur hinaus echte eigene Akzente zu setzen – wobei ich mich fairerweise nur auf das stützen kann, was ich über die Jahre in den Medien verfolgt habe.

Ein anderes Problem ist im Konzern offensichtlich bereits erkannt worden: die bislang fehlende Trennung von Holding und Marke Volkswagen, die nun vorgenommen wird. Volkswagen war Marke und Konzern zugleich. Ob der Claim „Volkswagen. Das Auto“ bewusst strategisch über die Marke hinausreichen und für das gesamte Kerngeschäft „Mobilität“ suggerieren sollte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Problem ist sicher die Plattformstrategie, die ich als ein Holding-Geschäft verstehe, das von dort zu verantworten ist. Wenn, wie in den Medien dargestellt, eine Motorenlösung zu einem bestimmten Preis eingefordert wurde, wie beim EA 189, diese dann aber technisch nicht zu dem Preis, sondern nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erbracht wurde, dann stellt sich die Frage, wie kompetent der Volkswagen-Konzern tatsächlich bei der Frage moderner Mobiltätskonzepte ist. Ich denke, was wir in absehbarer Zukunft erleben werden, ist der „Bus-Unfall-Effekt“: Nach einem gravierenden Negativ-Ereignis werden viele kleinere Mängel und Probleme mit eigentlich geringem Nachrichtenwert in Medien und öffentlicher Meinung mit ‚dem‘ Fall in Beziehung gesetzt nach dem Motto: Siehst Du, so gut, wie wir immer gemeint haben, sind die eben doch nicht. Das mag nach Lebensweisheit klingen, dahinter lauert aber ein Imageproblem. Helfen kann da meines Erachtens nur, dass man sich künftig in Konzern und Marken strategisch-antizipativ mit den Folgen unternehmens- wie markenpolitischer Entscheidungen auseinandersetzt, dies in Entscheidungsprozessen und Auftritten mitdenkt und funktionale Transparenz schafft. Unternehmenskommunikation und Stakeholder-Management gehören dazu unmittelbar zusammen.

Über die beiden Interviewpartner: Dr. Peter Szyszka ist Professor für Organisationskommunikation und Public Relations an der Hochschule Hannover (HsH) und Leiter der Forschungsgruppe Beziehungskapital. Wolfgang Griepentrog ist Interim Manager und Kommunikationsberater. In seinem Blog „Glaubwürdig kommunizieren“ gibt er Impulse für effizientes Kommunikationsmanagement. Regelmäßig veröffentlicht er seine pointierten Marktreflexionen im „PR-Journal“.

Interview im PR-Journal

Volkswagen nach dem Vertrauensverlust: Beziehungskapital muss wieder aufgebaut werden

Gastbeitrag von Peter Szyszka:

Wie kann Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen? Oder radikaler: Kann Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen? Diese Fragen stellen sich nicht erst nach Bekanntwerden des GPRA-Vertrauensindex. Man mag zu derartigen Indexwerten stehen wie man will: Wenn sich ein Indexwert wie im vorliegenden Fall quasi halbiert hat, fordert dies zum Nachdenken heraus. Spannend ist die Frage, ob oder in wieweit es dabei um Kommunikation geht. Unternehmenskommunikation kann immer nur so gut sein wie das ihr übertragene Mandat und der Umgang hiermit. Ein Seismograph, der mit Weitblick auch kritische Meinungen in Markt und Gesellschaft herausfiltert, der Entscheidungen und Ereignisse auf deren Folgen in öffentlicher Kommunikation und Meinungsbildung hinterfragt, der Problemhorizonte nicht nur aufspürt, sondern auch auf deren unternehmenspolitische Bewältigung Einfluss nimmt, ist der eher bürokratische VW-Kommunikationsapparat jedenfalls offensichtlich nicht gewesen. Wenn sich Kommunikationsleistungen auf das Verkünden guter oder schlechter Nachrichten beschränken, dann wäre das „very old school“.

Dieses Problem, so es denn eines ist, ist im Kontext des sogenannten „Abgas-Skandal“ bei näherer Betrachtung genauso zweitrangig wie die Diskussion um eine autoritäre Führungskultur – von Insidern als „Geist von Piech“ bezeichnet –, die ein modernes Verständnis von Unternehmenskommunikation verhindert haben könnte. Im Unverständnis des Martin Winterkorn, der offensichtlich aus seinen Ämtern beim Volkswagen-Konzern und der Porsche SE gedrängt werden musste, spiegeln sich Überheblichkeit von Konzern und Köpfen gegenüber Markt und Gesellschaft und Unsensibilität bis Ignoranz im Umgang mit Öffentlichkeit und Meinungsbildung.

Eine tiefer gehende Frage lautet nämlich: Auf welchen Erwartungen basierte das Bild, das bis dahin vom Volkswagen-Konzern als Unternehmens- und Markenpersönlichkeiten in Markt und Gesellschaft bestand? Welches Persönlichkeitsprofil und welche Authentizitätsmerkmale lagen Vertrauen, Image, Reputation, Sympathie und Attraktivität zugrunde, die dem Konzern und seinen Marken entgegengebracht wurde und ihn erfolgreich machte? Volkswagen stand für mehr als „Made in Germany“, Volkswagen stand für moderne Massenmobilität. Wie anders ließe sich der bewusst gewählte Markenclaim „Volkswagen. Das Auto“ deuten? Der gleichzeitig für Audi etablierte Markenclaim „Fortschritt durch Technik“ ließ sich als Synonym für die Zukunftsorientierung des Konzerns lesen: 13 Audi-Siege bei den 24 Stunden von Le Mans in 15 Jahren plus ein Bentley-Sieg sind hier ein Pfund: Der Konzern als Wegbereiter neuer automobiler Wege.

Aber denkt sich Mobilität in Attributen derartiger Höchstleistungen oder geht es beim Kernimage nicht eher um alltagstaugliche Energieeffizienz? Der Konzern war einmal auf diesem Weg. Jedenfalls schien es so, denn Anfang der 2000er-Jahre gab es im Konzern das 3-Liter-Auto – Verbrauch wohlgemerkt und nicht Hubraum. Im Alltag bewährt, sind die Modelle Audi A2 1.2 3L TDI und VW Lupo 3L TDI ohne Nachfolger in die Automobilgeschichte eingegangen. Am Markt erfolgreich waren beide nicht, schon weil sie das Konzern-Marketing als Stiefkinder behandelte, die nicht zur Flotte passten.

Und dann war da noch das 1-Liter-Auto, als Prototyp seit 2002 immer wieder medienwirksam in Szene gesetzt: Ein Marketing-Gag vielleicht, verbunden mit der Suggestion, dies sei Volkswagens Weg der Zukunft von Massenmobilität und Verbrennungsmotor. Tatsächlich wuchsen auch bei Volkswagen, wie überall, die Autos und mit ihnen ihre PS-Leistungen. Verbrauchwerte wurden schön geprüft, ohne dass man dafür großen öffentlichen Widerspruch erntete: eine automobile Schweigespirale? Der Abgas-Skandal könnte dies alles nun ändern.

Was dies alles mit Kommunikation zu tun hat? Systemtheoretisch und auch praktisch betrachtet sehr viel, denn es geht hier um mehr als nur ums Kommunizieren. Die Beziehungen zwischen Volkswagen und seinen verschiedenen Stakeholdern, von Mitarbeitern und Kunden, Markt und Marktumfeld über Kapitalgeber, Politik usw. haben gelitten. Sie bestehen aus nichts anderem als Kommunikationen, aus Sachverhalten und Ereignissen, die sich Episode für Episode aneinander reihen. In diesen Beziehungsgeschichten gerinnen Erfahrungen zu Erwartungen, an denen Volkswagen immer gemessen wurde und auch nun gemessen wird. In ihnen ist das Beziehungskapital hinterlegt, jenes Unterstützungskapital der verschiedenen Stakeholder, von denen der Volkswagen-Konzern in der Vergangenheit gut gelebt hat. Vertrauensverluste, das sind enttäuschte Erwartungen, Irritationen und mehr, ein angeschlagenes Image, rückläufige Sympathie und Wertschätzung, nachlassende Attraktivität und mehr. Unterstützungskapital steht in Meinungen, Einstellung, Haltungen und letztlich der Akzeptanz von Konzern, Unternehmenspolitik und Konzern-Produkten. Wer ist eigentlich Volkswagen? Wo der Konzern herkommt, ist bekannt, wofür er aber steht, ist infrage gestellt.

Damit wird ein grundsätzliches Problem deutlich: Volkswagen muss sich erklären, muss eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein soll – ein Elektro-Phaeton, wie nun angekündigt, leistet dies definitiv nicht. Deutlich wird daran auch die Rolle moderner Unternehmensberatung rund um Kommunikation: Es geht um die Auseinandersetzung mit den kommunikationspolitischen Konsequenzen unternehmenspolitischer Entscheidungen, um die Gestaltung erfolgversprechender Unternehmenspolitik und das dafür notwendige Beziehungskapital und schließlich um Kommunikationsleistungen mit deren Hilfe gezielt versucht wird, dieses Beziehungskapital im erforderlichen Maße aufzubauen und zu befestigen. Auch vor eben dieser Aufgabe steht der Volkswagen-Konzern.

Artikel von Peter Szyszka im PR-Journal

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