Strategieblog

Wo Innovationen in der Werbebranche entstehen

CCP11_0121Hi„Kunst der Kommunikation“ nennt es Angelika Slavik in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Januar 2010, denn „viele Werbeagenturen müssen sich von alten Denkmustern lösen“. Völlig zu recht kritisiert sie dabei die Trägheit vieler Werbeagenturen, ihre fehlende Social Media Expertise und die fehlende Transparenz im Kundengeschäft. Im Kern bemängelt sie die zunehmende Tendenz von Werbeagenturen, ihren Kunden keine Probleme zu lösen, sondern Antworten von gestern zu präsentieren.

Traurig, dass ausgerechnet dieser Leitartikel nicht online bei der SZ zu finden ist. Aber die Retourkutsche wäre auch etwas einfach. Denn Slavik verschließt die Augen vor gravierenden Veränderungen im Markt. Wenn Agenturen wie Publicis Consultants / Shipyard, J + K, AB ONE und FischerAppelt sich aktuell neu erfinden, klassische Werbung, Livekommunikation usw. integrieren oder aufbauen, um strategische Kommunikationsexpertise mit Präzission in der Execution zu verbinden, dann kann Ihnen der Aufbau einer umfassenden Kampagnenfähigkeit als Agentur gelingen.

Slavik übersieht, dass nicht die klassischen Werbeagenturen, sondern neuartige Agenturen und Agenturkonstruktionen die Innovationen in der Branche bringen werden. Die spannende Frage, welcher dieser Wege sich am Ende durchsetzt, ist heute offen. Aber im Status quo verharren – da hat Slavik recht – ist mittelfristig der Tod der klassischen Werbeagentur.

Wenn Kreativität unerträglich wird

CCP05_0007HiAm Jahresende wird zurück geblickt. Horizont kürt die Werber des Jahres, die Horizont.net Leser ihre Kreation des Jahres. Der Gewinner heißt jedesmal Heimat (Glückwunsch!).

Doch 2009 war auch ein Jahr der inhaltlichen Debatte um die Zukunft der Kreativbranche. Losgetreten hatte diese Debatte der inzwischen zurück getretene ADC Vorsitzende Amir Kassaie. Kassaie wies darauf hin, dass Werbung mit der Veränderung der Kommunikationslandschaft untergehen wird, wenn sie es nicht versteht, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Nicht Kreativität als Selbstzweck, sondern Relevanz der Botschaft müsse im Zentrum der Kommunikation stehen. Die versammelte Werbewirtschaft ließ nicht lange auf sich warten und schlug zurück. Doch die Angst vor Veränderung kann die Veränderung selbst nicht aufhalten.

Dabei ist es doch gar nicht so schwer. Coca Cola macht es vor. Drei Jugendliche werden auf Weltreise geschickt, um herauszufinden, was Menschen glücklich macht. Ihre Erfahrungen tauschen sie interaktiv im Social Web mit anderen Jugendlichen aus. Oder Starbucks mit dem Starbucksloveproject. Starbucks schaffte es einen globalen Flashmob zu organisieren: Musiker aus 124 verschiedenen Ländern haben sich via Webcam zusammengeschaltet, um das Beatles-Lied „All You Need is Love“ zu performen. Den weltweiten Chor konnten User live  verfolgen.  Nach dem Livekonzert sind jetzt Internetnutzer aufgerufen, ihre Version des Songs beizusteuern und als Video auf die Seite zu laden. Für jeden Beitrag stiftet das Unternehmen 50 Cent an The Global Fund für Aidshilfe in Afrika.

Doch immer noch beherrscht l’art pour l’art Kommunikation die Branche. Hauptsache Aufmerksamkeit. Mein persönliches Highlight dieser Form des Kreativismus lieferte Easyjet. Das Unternehmen hatte in seinem Bord-Magazin Modefotos veröffentlicht, das Models in Designerkleidung vor dem Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden im Dritten Reich zeigt. Der weltweite Proteststurm zwnag Easyjet das Magazin einzustampfen und sich öffentlich zu entschuldigen.

Eine Stadt ist keine Marke ist eine Marke …

CCP11_0067Hi„Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen.“ Es ist ein Plädoyer des Protests. Ein Protest von Hamburger Künstlern unter Schirmherrschaft von Daniel Richter gegen die Marke Hamburg. Es ist aber viel mehr als das, denn es ist ein Plädoyer für ein politisches Manifest gegen die stromlinienförmige Ausrichtung eines Gemeinwesens im Rahmen des internationalen und nationalen Standortwettbewerbs.

Als politischem Beobachter juckt es mir natürlich in den Fingern, darüber zu schreiben, was es für eine Stadt bedeutet, wenn sie 40% ihres gesamten Kulturetats an ein Projekt, hier die Elbphilharmonie, bindet – übrigens wie so oft ein Projekt, dessen Kosten laufend explodieren. Genauso juckt es mich, die Frage zu kommentieren, wie soziale Stadtentwicklung aussehen muss, wenn Seggregation und damit Ghettoisierungen abgewehrt werden sollen – und dennoch die wirtschaftliche Basis einer Großstadt nachhaltig gesichert werden muss. Dies bedeutet nämlich, dass Unternehmen angesiedelt, neue Unternehmen entstehen und Steuerzahler in der Stadt gehalten werden müssen. Langfristig führt Seggregation aber zur Destabilisierung solcher Ansiedlungspolitik, ist also von kurzfristigem Denken geprägt.

Aber Richter und seine Kollegen fordern ja auch den Kommunikationsfachmann in mir heraus. Denn sie projizieren ihre Kritik an der Politik des schwarzgrünen Senats auf die Marke Hamburg. Und damit schlagen sie die Marke mit ihren eigenen Waffen. Denn Marke soll ja gerade Komplexität reduzieren und Kernentwicklungen hervorkehren. Wenn die Marke Hamburg ihnen also das Symbol einer von ihnen abgelehnten Politik ist, tun sie richtig daran auch die Marke und die Markenentwicklung zu kritisieren.

Was kann der Kommunikationsmann da also noch argumentieren? „Eine Stadt ist keine Marke“, gerade weil sie eine Marke ist? Oder ist es nicht doch ein zu kurz gegriffenes Markenverständnis, das hier einer berechtigten Kritik ausgesetzt ist. Marken sollen Komplexität reduzieren, nicht aber Komplexität ausblenden. Es geht also gerade nicht darum, erwünschte Realitäten eindimensional zur Marke einer Stadt zu erklären, sondern das Gemeinwesen Stadt mit all seinen Widersprüchen und Verwerfungen auch in der Marke abzubilden. Denn was soll die Marke erreichen? Es geht ja nicht allein darum, eine Tourismusmarke zu haben, die Reisende anlockt am Wochenende oder im Kurzurlaub das kulturelle Angebot einer Stadt zu nutzen. Es geht auch nicht darum, die Standortmarke zu entwickeln, die Investoren verdichtet die Vorteile eines Standorts verdeutlichen soll. Nein, die Herausforderung besteht darin, einer Stadt eine Identität zu geben. Identifikationsmerkmale für Bewohner wie Besucher herauszuarbeiten. Gemeinsamkeiten im Gemeinwesen zu erkennen. Gerade weil die Stadt ein Gemeinwesen ist, braucht sie diese Gemeinsamkeiten. Gemeinsame Erfahrungen, gemeinsame Konflikte, gemeinsame Widersprüche, aber auch Gemeinsamkeiten, auf die man stolz ist, die das Gemeinwesen eben zusammen halten. Wer also eine Marke nicht als Konstruktion einer Identität des Gemeinwesens versteht, sondern als Simplifizierung im Marketing, der riskiert viel: Er riskiert die Frontalopposition jener, die sich in dieser Konstruktion nicht wieder finden. Er konstruiert eine Marke, die nicht mitnimmt, die nicht einbindet, die nicht begeistert. Letztlich entsteht eine artifizielle Marke, keine authentische Identität.

Und dann wird die Marke zum Symbol des Trennenden und nicht des Gemeinwesens. Das kann einige Jahre gut gehen, kann Wachstumseffekte für Tourismus und Stadtentwicklung haben. Auch der Wirtschaftsstandort mag zunächst befördert werden. Aber am Ende trennt es eben – und damit erodiert dann auch das Gemeinwesen. Das Fazit kann nur lauten: erfolgreiche Identitätsgestaltung kann nur im Dialog mit den Stakeholdern gelingen. Oder um es in den Worten von Schultz&Hatch zu sagen: Hamburg ist ein klassischer Fall von Marken-Narzissmus.  Diese Marke hat sich so intensiv mit ihrem Selbstbild und der konstruierten Markenkultur beschäftigt, dass der Bezug zur Realität verloren gegangen ist. Die Folge: vernachlässigte Stakeholder verlieren das Interesse an der Marke oder boykottieren sie.

Und so ist der Künstler-Appell am Ende fast dialektisch: Daniel Richter und seine Kollegen wollen Widerstand gegen die Stadt als Marke leisten und unterstreichen dennoch wie wichtig Marken-Identitäten im Gemeinwesen Stadt sind.

Ein Gruß vom Etagensekretär

berliner-freiheitManchmal schreibt das Leben die besten Satiren. So geschehen am heutigen Tag – in Form eines Mailwechsels zwischen Moritz Hunzinger und dem Autor dieses Blogs. Zur Erinnerung: Moritz Hunzinger wurde im September 2002 öffentlich vom Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) gerügt. Der Rat schrieb unter anderem: „Moritz Hunzinger hat dem Ansehen des Berufsstandes PR erheblichen Schaden zugefügt. Er hat durch sein Handeln, insbesondere durch solche Geldzuwendungen, die Politiker in Konflikte mit ihren Ämtern gebracht haben, in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dies sei übliche PR-Praxis.“

Unter dem Betreff „Politikkongress“ lässt Moritz Hunzinger um 17:28 Uhr einen großen Verteiler, in den er ungefragt auch den Autor des Strategieblogs integriert wissen, wie erfolgreich sein Auftritt auf diesem Kongress war. Dieses verbindet er mit einer Breitseite auf die Branchenverbände: 

Sehr geehrter Herr Arns [Anm. Christian Arns (depak) war „sein“ Moderator und Gastgeber auf dem Politikkongress],

auch ich habe den Kongreß in guter Erinnerung, der beim erstaunlich applaudierten Kamingespräch mit mir zur Vorlesung mutierte. Die Zuhörer konnten viel erfahren:
– Die PR-Branche hat seit meiner „Riesen-Swatch“ in 20 Jahren kein neues (berichtenswertes) Format erfunden. Was neu ist, kommt von Branchenfremden wie Xing und Facebook.
– Konjunkturbedingt stellt das PR-Beraterprekariat die Mehrheit der Mitglieder und bei Versammlungen, Tagungen etwa der DPRG. Erfolgreich aktiven PR-Profis bietet der Berufsverband nichts mehr.
– Der PR-Beruf hat weitgehend seine Effektivität in Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying verloren; Wirtschaft und Politik nutzen Alternativen, Rechtsanwaltskanzleien machen längst das Business der Agenturen zu deutlich höheren Honoraren.
– Die Glaubwürdigkeitskrise bei Print und TV reduziert zudem die Plazierungschancen von PR. Der Beruf macht sich in weiten Teilen der Wirtschaft überflüssig oder diffundiert in andere Bereiche (Personal, Recht, Marketing, Messe-/Besucherdienst).
Hier fehlen allen Standesorganisationen Antworten und ihren Mitgliedern die notwenige Orientierung durch die Verbände.
Die mir zugegangenen Anfragen aus dem Kongreßplenum bearbeite ich, mir qualifiziert erscheinende Interessenten verweise ich an die neue Quadriga-Hochschule.
Freundliche Grüße, Moritz Hunzinger

Der als Ethikbeauftragte der degepol angemailte Autor musste an dieser Stelle natürlich Stellung beziehen:

Sehr geehrter Herr Arns,
Lieber Christian,

Wer dieser Branchen mit seinen unethischen und fuer seine Kunden schaedlichen Verhalten soviel Schaden zugefuegt hat, ist wirklich der letzte, der der Branche die Leviten lesen kann. Manchmal ist Schweigen doch Gold.
Insofern bleibt der Veranstalter auch die Antwort schuldig, was der „Sinn“ für die Branche sein soll, einen Mann der Vergangenheit mit bestenfalls zweifelhaftem Ruf inzuladen

Mit besten Grüßen
Heiko Kretschmer

Doch nun dreht Moritz Hunzinger so richtig auf:

Sehr geehrter Herr Kretschmer,

nennen Sie mir einen unzufriedenen Hunzinger-Kunden?
Sie sind ein Denunziant, ein Trottel. Bei uns hätten Sie wahrscheinlich nicht mal eine Stelle als Etagensekretär bekommen.

Freundliche Grüße, Moritz Hunzinger

Der Etagensekretär stellt darauf hin nur noch fest:

Der getroffene Hund bellt … 

Mit besten Grüßen
Heiko Kretschmer

Und nun die wahrlich lyrische Antwort des Moritz Hunzinger:

… bellt zurück.

Kümmern Sie sich mit Ihrer Hartz-4-Bude lieber um ihre Kunden, Kretschmer, als Vorbilder anzupinkeln.

Blogger sind keine Gutmenschen

CCP05_0011Hi„Ich mag keine Heuchler“, so der Blogger T. Knüwer in seinem Handelsblatt Blog. Der Noch-Journalist oder Schon-PR-Berater Knüwer regt sich dabei über eine Äußerung des GPRA-Präsidenten Alexander Güttler auf. Güttler hatte darauf hingewiesen, dass es einige Blogger gibt, die gegen Bezahlung oder gegen Überstellung von Gadgets kräftig über bestimmte Produkte bloggen und diese in positivem Licht erscheinen lassen. Das ist nichts anderes als Schleichwerbung. Und es verstößt damit gegen alle einschlägigen PR-Kodizes.
Auf diesen Umstand wies Güttler hin. Zurecht. Denn je wichtiger Social Media für die Kommunikation von Unternehmen wird, umso wichtiger ist es, dass dort kein ethikfreier Raum entsteht. Diesen Einwurf von Güttler nutzt Knüwer, um sich über die PR-Branche aufzuregen und ihr allzu pauschal vorzuwerfen, dass sie mit Journalisten verfilzt sei und diese besteche. Dabei übersieht er, dass die PR-Branche mit dem Deutschen Rat für Public Relations ebenso wie die Journalisten mit ihrem Presserat ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle besitzt, das regelmäßig unethisches Handeln in der Branche kritisiert. Und er übersieht, dass Zeitungsverlage, selbst solche in deren Haus die sogenannte Qualitätspresse erscheint, immer unverfrorener nach zusätzlichen Einnahmequellen suchen und von sich aus Kopplungsgeschäfte anbieten. Inzwischen sind es sehr oft Agenturen und Unternehmen, die solche Angebote als unseriös und nicht mit dem Kodex vereinbar ablehnen müssen.
Kein Zweifel: Die PR-Branche ist nicht frei von schwarzen Schafen. Beispiele dafür gab es in letzter Zeit viel zu viele. Aber der Versuch sich moralisch darüber zu erheben muss scheitern. Gerade wenn er von einem scheidenden Journalisten kommt, der selbst ein PR-Blogger in spe ist.

Es bleibt dabei: Je mehr Social Media Teil der institutionellen und unternehmerischen Kommunikation wird, umso mehr wird es sich in den Kontext einschlägiger Kommunikationskodizes einordnen müssen. Der DRPR hat hierüber eine Debatte angestoßen. Diese wird sich daran messen lassen, ob hier am Ende ein umfassendes, realitätstaugliches Kodexwerk stehen wird.

Der Niedergang der Masterstory

head_smallBerlin (7.10.09): Die Bundestagswahlen 2009 – ein Erdbeben oder doch nur der Wechsel des Koalitionspartners? War das nun die Schicksalswahl, die Richtungsentscheidung für Deutschland? Oder ist es im Großen und Ganzen der Anfang eines Weiter So? (Mein Kommentar auf www.glocalist.com)

Diese Fragen wird man differenziert beantworten müssen. 2009 steht die Welt, Europa und Deutschland vor dem Scherbenhaufen der Euphorie der letzten anderthalb Jahrzehnte der Deregulierung. Dieses ist nicht nur die größte Krise des Finanzsektors seit 1929. Dieses ist auch nicht nur die erste richtig globale Wirtschaftskrise seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Dieses ist auch der Ende eines eigenen ideologischen Zyklus‘.

Um mit dem Obama Berater und Psychiater Drew Westen zu sprechen: Die Masterstory der letzten fast drei Jahrzehnte, die mit Ronald Reagan in den USA ihren Anfang fand, trägt nicht mehr. Drew Westen versteht unter Masterstory eine Art Narrativ, das politisch ideologisch, aber auch kulturell hegemonial wirkt und damit einen Rahmen bildet, in dem sich alle politischen Akteure bewegen müssen, wollen sie mehrheitsfähig in einer Gesellschaft sein. Selten ergibt sich die historische Chance, eine solche Masterstory durch eine neue Masterstory abzulösen. Denn dieses setzt eine Glaubwürdigkeits- oder zumindest Vertrauenskrise des bestehenden Rahmens voraus.

Diese Glaubwürdigkeitskrise ergibt sich nicht allein aus dem Zusammenbruch der Finanzmärkte und der dem zugrunde liegenden Vertrauensdefizit der Banken untereinander. Diese Glaubwürdigkeitskrise hat die westlichen Gesellschaften viel tiefer erfasst. In den letzten Monaten konnte man oftmals die Überraschung der Wahlforscher hören, dass die Krise noch gar nicht in den Köpfen der Menschen angekommen sei.

Das Gegenteil ist richtig. Seit fast zehn Jahren wachsen die Zweifel in der Bevölkerung ob der moralischen Integrität unserer Eliten. Es hat sich in vielen Köpfen festgebrannt, dass um die Jahrtausendwende junge Manager irrsinnige Summen mit Unternehmen am Neuen Markt verdienen konnten, die nicht einen Tag lang schwarze Zahlen schrieben. Die Menschen haben ein feines Gespür für Eliten, die sich doppeldeutig verhalten: Auf der einen Seite Personal abbauen, auf der anderen Seite dem Management explodierende Boni zahlen.

Auf der einen Seite Leistungen kürzen, auf der anderen Seite auf Dienstwagen-Privilegien pochen. Und sie reagieren seit Jahren ambivalent darauf: Man macht mit und achtet bei der Steuererklärung auf den eigenen Vorteil. Man zieht sich irritiert und angewidert von der Politik zurück. 2009 waren die Nichtwähler bei der Bundestagswahl die stärkste Gruppierung. Ein Phänomen, das man von Landtags- und Kommunalwahlen kennt, das aber bei Bundestagswahlen neu ist. Es zeigt sich daher in vielen vertieften Interviews, dass diese Krise nicht überraschend kommt, sondern ihr eine gewisse Logik zugewiesen wird.

Diese Bundestagswahl und dieses Krisenjahr 2009 stehen also für den Niedergang der alten Masterstory. Aber in diesem Jahr entstand keine neue Masterstory. Keiner der politischen Akteure hat eine Erklärung angeboten. Keiner der politischen Akteure hat den Versuch unternommen, ein neues Narrativ zu formulieren. Eine kleine Ausnahme bildeten die Grünen, die mit ihrem Green New Deal ein in sich geschlossenes Konzept der Post-Krise anboten. Allerdings fehlte ihnen die kommunikative Durchschlagskraft.

So erleben wir aktuell ein Paradoxon: Die Krise schreit nach neuen Leitlinien für Gesellschaften und Politiken in einer globalen Welt. Die Mehrheit der Deutschen stimmen gegenwärtig in vielen Fragestellungen nicht mit den Theorien der liberalen Märkte überein, sie befürworten einen agierenden Staat, sie stimmen sozialen Standards wie Mindestlöhnen zu, sie sind für staatliche Eingriffe in den Energiesektor und vieles mehr.

Doch zugleich kann die SPD, als klassischer Vertreter solcher Positionen, das Vertrauen der Menschen nicht gewinnen. Wie tiefgreifend diese Krise ist, zeigt der Umstand dass weder ein überaus engagierter Wahlkampf des Spitzenkandidaten und seine für viele Betrachter überraschend sympathischen Auftritte im Fernsehen, noch der radikale Personalwechsel am Schwielowsee 12 Monate vor den Wahlen (damals sah Emnid die SPD noch bei 26 Prozent) eine Verbesserung der Lage der SPD brachten.

Die Kanzlerin scheint diese Krise der SPD messerscharf analysiert zu haben. Ihr Versuch, der schwarzgelben Regierung ein Weiter so und damit einen „sozialdemokratischen“ Kurs zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise zu verordnen, ist geeignet, die SPD in eine fortdauernde Selbstbeschäftigung zu führen. Denn fehlt das schwarzgelbe Schreckensbild, fehlt der Einigungsdruck von außen. Daher sollte die SPD einen Blick in die jüngere Parteiengeschichte in Europa werfen. Da wird sie Belege dafür finden, dass auch traditionsreiche Parteien keine Bestandsgarantien haben. Wer seit der Machtübernahme 1998 unter Gerhard Schröder Tag für Tag durchschnittlich 2.500 Wähler verloren hat, der muss die eigene Krise als existentielle Bedrohung verstehen.

Online Campagning: Geld verbrennen oder Menschen bewegen?

Obama habe seine Wahlen online gewonnen. So lautet eine These, der man oft außerhalb der USA begegnet. Viele PR-Fachleute in Deutschland versuchten daher in den vergangenen Wochen, den Obama-Effekt im Internet einzufordern. Der deutsche Wahlkampf im Netz, so aufwendig wie noch nie, wurde von ihnen heftig gescholten. Eigene Online Tools dagegen wurden angepriesen. Zu statisch, zu wenig authentisch, zu wenig interaktiv sei der Wahlkampf. Und dennoch konnte die Agentur Weber Shandwick einen Internet-Wahlkampf-Sieger ausmachen: Die CDU.
Den politisch interessierten Beobachter konnte diese Meldung nur wundern. Auf fast allen Plattformen, in fast allen Netzwerken, in den Blogs und Foren gab es im Internet immer nur einen Sieger: Die Piratenpartei. Belächelt und nicht sonderlich ernst genommen, sammelte sie als Einpunkt-Partei am Ende sage und schreibe zwei Prozent der Wählerstimmen ein. Ganze 13 Prozent der Erstwähler stimmten für die Piraten. Damit erreichte die Piratenpartei in den Augen der jüngsten Wähler Augenhöhe mit den etablierten Parteien.
Was kann man daraus lernen?
Erstens ist die Generation upload offenbar doch empfänglich für politische Fragestellungen. Sie muss sie allerdings für relevant für den eigenen Alltag halten. Das genau ist Internet-Gesetzgebung und da fielen die oftmals wenig elaborierten Positionen der etablierten Parteien eben negativ auf.
Zweitens online lassen sich Kampagnen führen, neue Themen platzieren und Wähler überzeugen. Das haben die Piraten mit einem fast allein online gestützten Wahlkampf deutlich gemacht. Das erfordert aber eine hohe Authentizität und fachliches Verständnis von der Materie. Facebook-Profile von Kandidaten, denen man im Wesentlichen entnehmen kann, dass der Kandidat sich gerade auf dem Weg zu einer Sitzung befindet, strahlen eher Inkompetenz aus.
Drittens der Effekt eines online Wahlkampfs darf nicht überschätzt werden. Es lässt sich anhand verschiedener Unterstützerzahlen und Aktivitätsgrade in Netzwerken und Social Media abschätzen, dass etwas 50% der am online Wahlkampf interessierten Menschen die Piraten am Besten fanden. Damit dürfte der Gesamtanteil der Wähler, die primär durch online Campaigning erreicht werden bei ca. 4 Prozent liegen.
Viertens in den sehr jungen Zielgruppen steigt dieser Anteil aber dramatisch an. So scheint sich jeder vierte Erstwähler im Netz entschieden zu haben.
Fünftens bedeutet das aber auch: Wer kein passendes inhaltliches Angebot hat und allein mitmachen will, kann im Internet viel Geld für Nichts verbrennen.

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