Strategieblog

Wo Innovationen in der Werbebranche entstehen

CCP11_0121Hi„Kunst der Kommunikation“ nennt es Angelika Slavik in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Januar 2010, denn „viele Werbeagenturen müssen sich von alten Denkmustern lösen“. Völlig zu recht kritisiert sie dabei die Trägheit vieler Werbeagenturen, ihre fehlende Social Media Expertise und die fehlende Transparenz im Kundengeschäft. Im Kern bemängelt sie die zunehmende Tendenz von Werbeagenturen, ihren Kunden keine Probleme zu lösen, sondern Antworten von gestern zu präsentieren.

Traurig, dass ausgerechnet dieser Leitartikel nicht online bei der SZ zu finden ist. Aber die Retourkutsche wäre auch etwas einfach. Denn Slavik verschließt die Augen vor gravierenden Veränderungen im Markt. Wenn Agenturen wie Publicis Consultants / Shipyard, J + K, AB ONE und FischerAppelt sich aktuell neu erfinden, klassische Werbung, Livekommunikation usw. integrieren oder aufbauen, um strategische Kommunikationsexpertise mit Präzission in der Execution zu verbinden, dann kann Ihnen der Aufbau einer umfassenden Kampagnenfähigkeit als Agentur gelingen.

Slavik übersieht, dass nicht die klassischen Werbeagenturen, sondern neuartige Agenturen und Agenturkonstruktionen die Innovationen in der Branche bringen werden. Die spannende Frage, welcher dieser Wege sich am Ende durchsetzt, ist heute offen. Aber im Status quo verharren – da hat Slavik recht – ist mittelfristig der Tod der klassischen Werbeagentur.

Politik entdeckt Netzpolitik

CCP11_0121HiSeit Donnerstag ist es sicher: Der Bundestag wird eine neue Enquête-Kommission einsetzen. Darauf haben sich FDP und Union verständigt – offenbar auf Betreiben der CDU. Die Enquête-Kommission soll sich mit dem Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ beschäftigen. Welche Regeln braucht das globale Netz? Welche Folgen hat der Ausbau des Internets für unsere Gesellschaft? Wie verhindert man nach der sozialen Spaltung auch eine Spaltung beim Zugang zu Informationen? Wie verhindert man, dass Unternehmen im Internet nicht der zunehmenden Versuchung erliegen, transparente Absenderschaften zu verschleiern oder Kommunikation und ihre Absender im Netz nicht offenzulegen? Aber auch: Wie kann im Netz der Zukunft die Balance zwischen Security und Privacy, zwischen Datenschutz und Verbrechensabwehr hergestellt und gehalten werden. Und schließlich: Wie müssen sich intellectual property rights verändern, damit sie berechtigte Interessen schützen und nicht jeden User gleich kriminalisieren?

Mit anderen Worten: Die Enquête-Kommission hat richtig viel Arbeit vor sich. Und der Handlungsdruck ist immens. Man darf gespannt sein, denn Enquête-Kommissionen arbeiten in aller Regel langsam. Schnelle Ergebnisse sind nicht zu vermuten. Die Grünen rufen gar zur Ausweitung des Auftrags der Enquête-Kommission auf: „Aus Sicht der Grünen wäre es wünschenswert, wenn nicht nur eine geringe Zahl von Abgeordneten und Sachverständigen, sondern möglichst allen Interessierten die Möglichkeit gegeben wird, sich an den für unsere Gesellschaft so wichtigen netzpolitischen Debatten zu beteiligen. Die einzurichtende Kommission bietet uns die einmalige Chance, nicht nur neue Modelle der E-Partizipation und Formen der Transzparenz zu diskutieren, sondern sie zugleich im Verlauf der Enquête, im politischen Alltag, zu praktizieren. Wir Grüne werden dafür sorgen, das es eine breite zivilgesellschaftliche Begleitung der Arbeit dieser Enquête-Netzpolitik geben wird.“

Insofern bleibt offen, ob die Ergebnisse der Enquête-Kommission rechtzeitig kommen, denn längst rüsten sich die politischen Organisationen für die netzpolitische Debatte. Die SPD lässt ihren Internetbeirat in neuem Gewande wieder auferstehen. Das BMI hat sich auch einen Beirat aufgebaut. Die Debatte um Freiheit, Sanktionen, Datenschutz, Persönlichkeitsrechte, Intellectual Property Rights usw. wird schon bald in neuer Breite geführt werden – da wartet niemand auf die Ergebnisse der Enquête-Kommission.

Interessanterweise widmet sich auch der Deutsche Rat für Public Relations gerade einer neuen Richtlinie zum Thema Online-Kommunikation. Nachdem in den ersten Jahren technologische Innovationen im Vordergrund neuer Entwicklungen in der Netzwelt standen, so rücken jetzt mehr und mehr soziale Innovationen in den Fokus.

Social Media – was 2010 bringen wird.

CCP08_0003HiSocial Media – Fluch oder Segen. Während die einen wie Thomas Mickeleit im W+V Interview vor wenigen Wochen darauf verweisen, dass die Journalisten ihre Monopolstellung verloren haben und Social Media an ihre Stelle treten, bemängeln andere wie der Werbeblogger, dass im Social Web die Trennung zwischen Werbung und User generated content immer schwieriger fällt.

Doch die Entwicklung ist viel unübersichtlicher. So wie das ganze Social Web. Zwar verlieren Journalisten ihre Rolle als Gatekeeper, aber letztlich nur, um sie mit anderen im Social Web zu teilen. Der Glaube, dass eine Information einen „normalen“ User per Zufall erreiche, dürfte sich spätestens beim ersten Google Suchergebnis mit über 100.000 Treffern in Luft auflösen.

Allerdings ändert sich die Rolle eines Gatekeepers. Wo bisher die Auswahl eines Mediums durch den Nutzer stand, steht künftig eine Auswahl von Content, Themen und Interessen durch den User. Auch Harvard Business stellt in seiner Prognose für 2010 fest, dass Filtern und Auswählen künftig das Social Web erfassen und bestimmen wird.

Aber wie wird sich Social Media in 2010 in Deutschland entwickeln? Ich wage einmal eine Prognose für 2010:

  1. Immer mehr Unternehmen werden Projekte im Social Web starten. Allerdings werden diese Projekte zunächst dazu dienen, Erfahrungen sammeln und sich an spezielle Zielgruppen wenden. So gelingt es Unternehmen mit überschaubaren Kosten, mehr über die Wirkung ihrer Marken im Social Web zu erfahren.
  2. Der Deutsche Rat für Public Relations wird die Kommunikationsarbeit im Internet und im Social Web kodizieren. Dadurch entstehen Spielregeln für Transparenz und Trennung von werblichem und berichtendem Inhalt auch in den digitalen Medien.
  3. Das wird zur Folge haben, dass viele Unternehmen ihre eigene Social Media Policy entwickeln werden. Auf diese Weise können sie klären, was Mitarbeiter offiziell im Social Web sagen dürfen und wie sie sich zu verhalten haben, wenn sie nicht offiziell unterwegs sind, sich aber zu Belangen des Unternehmens äußern.
  4. Arbeitsrechtler verweisen darauf, dass dies wiederum zu Social Media Pausen in Unternehmen führen kann. Also statt in die Raucherpause zu gehen, dürfen Mitarbeiter dann ihren privaten Interessen im Netz nachgehen.

Schade, Herr Professor.

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Seit gut zwei Jahren habe ich einen Hund. Ludwig ist ein sehr anhänglicher Rüde, der viele Tricks beherrscht, um sich die Zuwendung und Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen zu sichern. Damit hat er sich in der Agentur unter den Mitarbeitern eine gewisse Beliebtheit und ein Renommee erarbeitet. Leider ändert sich dies schlagartig, sobald ein anderer Rüde in der Nähe ist. Dann stürzt er los, hört nicht mehr, zieht mit aller Gewalt an der Leine und will die Rangfolge unter Rüden klären.

Der geneigte Leser fragt sich vermutlich, warum ich das hier niederschreibe, statt zum Hundecoach zu gehen und Ludwig diese Unart abzutrainieren. Nun, als ich gerade den offenen Brief des Herrn Prof. Merten und die Berichterstattung hierzu las, da musste ich doch an diesen Rüden denken. Fast affekthaft ist der Beissreflex von Prof. Merten, wann immer es um den Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) geht.

Schade, denn so vermischen sich Fragen, die man ernsthaft diskutieren sollte mit Rundumschlägen. Gern kann man zum Beispiel darüber reden, ob PR der Wahrheit oder aber vor allem der Transparenz verpflichtet sein und „lediglich“ die Lüge verboten werden muss. Denn wie verhält es sich mit der Antwort eines Pressesprechers „hierzu kann ich Ihnen nichts sagen“, weil er die Wahrheit nicht sagen darf, aber auch nicht lügen will. Auch Mertens Anregung, dass die Reform der Kodizes, die der DRPR dieses Jahr auf der Agenda hat, mit einer Restrukturierung des DRPR verbunden werden soll, ist zweifellos bedenkenswert. (Wobei meines Erachtens das Augenmerk mehr auf die Leistungsfähigkeit des Rates gelegt werden sollte, als auf die Frage der Trägerverbände.) Wichtige Anregungen also.

Gravierend wirkt der Vorwurf, dass der DRPR sich mit dem Fall des Kommunikationsmanagers nicht befasst habe, weil der Herausgeber, die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG), eine der Trägerorganisationen des Rates sei. Die Tatsachen stimmen aber nicht: Der DRPR hat vielmehr am 24. November 2006 jedoch richtiger Weise festgestellt, dass es sich bei dem offenkundigen Kodexverstoß um eine Verlagsaktivität handelt, die einen Verstoß gegen das Pressegesetz darstellt. Ergo fällt es in die Zuständigkeit des Deutschen Presserats. Dieser Fall ist ein Beispiel dafür, wie wichtig eine institutionelle Zusammenarbeit von Presserat, DRPR und Werberat wäre.

Leider vermischen sich aber diese Ansätze mit Rundumschlägen: Hier will Merten den DRPR einfach mal auflösen, da vermischt er PR – also Organisationskommunikation – mit Kommunikation im Allgemeinen, wenn er Formulierungen in Zeugnissen plötzlich der PR zuschreibt.

Zugleich nimmt er für sich schon seit geraumer Zeit eine Sonderrolle in Anspruch: Da er  in der Öffentlichkeit als Wissenschaftler kommuniziere, falle Gesagtes und Geschriebenes unter die Freiheit der Wissenschaft, nicht aber unter die PR-Kodizes. Dann wiederum ergeht er sich in Andeutungen, undeutlichen Personenumschreibungen,  Generalisierungen und aus dem Zusammenhang gerissenen Kommentare. Schade eigentlich.

Herr Professor Merten, ja, der DRPR ist wichtig und er muss gestärkt werden. Wenn Kommunikation sich nicht mehr an ethische Standards hält, zerstört sie sich selbst, zerstört sie Vertrauen in der Gesellschaft. Und das sollten wir seit dem September 2008 endlich gelernt haben: Vertrauen ist längst die wichtigste Währung in Wirtschaft und und Gesellschaft. Ohne ein Grundmaß Vertrauen zwischen den Akteuren, funktioniert kein komplexes System. Letztlich sind Kodizes daher kein moralischer Selbstzweck, sondern dienen der „Werterhaltung“ von Kommunikation.

Nicht umsonst ist die Auseinandersetzung mit diesen Kodizes und der Frage, was sie für die Beratungsqualität einer Kommunikationsagentur bedeuten eines der Hauptkapitel des Nachhaltigkeitsberichtes von Johanssen + Kretschmer (Download). Denn: Die Kodizes der PR sollen ein nachhaltiges Verständnis von Kommunikation befördern, statt auf kurzfristig orientierte „PR-Erfolge“ zu setzen.

Die Erfahrungen in der Finanzwelt zeigen: Damit sich nachhaltig orientierte Entscheidungsmechanismen gegen die kurzfristigen Gewinnmaximierungen durchsetzen bedarf es eines Rahmenregelwerks. Genau das sollen die Kodizes für die PR-Branche leisten. Dabei ist unbestritten, dass die bestehenden Kodizes mitunter viel zu moralisch formuliert, zu abstrakt und damit nicht handlungsleitend sind. Zudem reflektieren sie den gesamten Bereich Social Media bisher nicht. Durch dieses Handeln stärkt der DRPR auch die Reputation der Branche. Er wurde eben nicht von der Branche erfunden, um PR für sich selbst zu machen.

Auch Mertens Ansicht, Verstöße gegen diese Kodizes führten selbige ad absurdum, kann wohl nicht ernsthaft greifen. Täglich gibt es in Deutschland Gesetzesverstöße. Niemand käme auf die Idee, das BGB oder das Strafgesetzbuch abzuschaffen, weil dagegen verstoßen wird. Nein, Gesetzverstöße rufen eher die Frage auf den Plan, ob die Sanktionen ausreichen und ob die sanktionierenden Organe stark genug sind.

Und auch das lernt das „Herrchen“ in der ersten Trainingsstunde: klare Regeln vorgeben, Regelverstöße sanktionieren und ein klar agierender Hundehalter sind die Grundlage einer jeden Erziehung.

Dieser Beitrag gibt die private Meinung des Autors wieder - und ist keine Äußerung des DRPR.

Wenn Kreativität unerträglich wird

CCP05_0007HiAm Jahresende wird zurück geblickt. Horizont kürt die Werber des Jahres, die Horizont.net Leser ihre Kreation des Jahres. Der Gewinner heißt jedesmal Heimat (Glückwunsch!).

Doch 2009 war auch ein Jahr der inhaltlichen Debatte um die Zukunft der Kreativbranche. Losgetreten hatte diese Debatte der inzwischen zurück getretene ADC Vorsitzende Amir Kassaie. Kassaie wies darauf hin, dass Werbung mit der Veränderung der Kommunikationslandschaft untergehen wird, wenn sie es nicht versteht, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Nicht Kreativität als Selbstzweck, sondern Relevanz der Botschaft müsse im Zentrum der Kommunikation stehen. Die versammelte Werbewirtschaft ließ nicht lange auf sich warten und schlug zurück. Doch die Angst vor Veränderung kann die Veränderung selbst nicht aufhalten.

Dabei ist es doch gar nicht so schwer. Coca Cola macht es vor. Drei Jugendliche werden auf Weltreise geschickt, um herauszufinden, was Menschen glücklich macht. Ihre Erfahrungen tauschen sie interaktiv im Social Web mit anderen Jugendlichen aus. Oder Starbucks mit dem Starbucksloveproject. Starbucks schaffte es einen globalen Flashmob zu organisieren: Musiker aus 124 verschiedenen Ländern haben sich via Webcam zusammengeschaltet, um das Beatles-Lied „All You Need is Love“ zu performen. Den weltweiten Chor konnten User live  verfolgen.  Nach dem Livekonzert sind jetzt Internetnutzer aufgerufen, ihre Version des Songs beizusteuern und als Video auf die Seite zu laden. Für jeden Beitrag stiftet das Unternehmen 50 Cent an The Global Fund für Aidshilfe in Afrika.

Doch immer noch beherrscht l’art pour l’art Kommunikation die Branche. Hauptsache Aufmerksamkeit. Mein persönliches Highlight dieser Form des Kreativismus lieferte Easyjet. Das Unternehmen hatte in seinem Bord-Magazin Modefotos veröffentlicht, das Models in Designerkleidung vor dem Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden im Dritten Reich zeigt. Der weltweite Proteststurm zwnag Easyjet das Magazin einzustampfen und sich öffentlich zu entschuldigen.

Die Stille nach dem Crash

CCP08_0003HiDas neue Jahr bietet die einmalige Chance, Lehren aus der Wirtschaftskrise zu ziehen. Doch die Politik macht weiter wie bisherArtikel aus DIE ZEIT für ÖSTERREICH

Images Schweigen im Schnee: Wo die politische Diskussion fehlt, bleibt auch die Öffentlichkeit fern. Doch gerade die verlangt in Zeiten tief greifender globaler Veränderungen nach Antworten Was für eine Erfolgsstory: 1979 ließ sich Lee Iacocca, Vorstand des maroden US-amerikanischen Autobauers Chrysler, sein Jahresgehalt auf einen Dollar kürzen. Auf eigenen Wunsch. Zuvor hatte der Manager vom US-Kongress eine Kreditgarantie von 1,5 Milliarden Dollar gefordert und auch bekommen. Ohne diese Garantie wäre Chrysler nicht erst im März 2009, sondern schon 30 Jahre zuvor pleite gegangen. Iacocca setzte auf einen harten Restrukturierungskurs, kündigte Arbeitnehmer, lancierte aber gleichzeitig eine neue, erfolgreiche Modellkategorie: den Minivan. Nach einigen Jahren war Chrysler saniert, und Iacocca begann, sich ein standesgemäßes Gehalt zu gönnen. Seinem Heldenstatus konnte die üppige Apanage nichts anhaben. Mitte der achtziger Jahre huldigte ihm das Time Magazine als einem Manager, der »von der Elite genauso bewundert wurde wie von der Arbeiterklasse«.

Im Schatten einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich die blinde Verehrung von Managern, Bankern und Finanzjongleuren in blanken Zorn verwandelt. Lloyd Blankfein, Chef der US-Investmentbank Goldman Sachs, gab sich in einem Interview im Herbst 2009 keinen Illusionen hin: »Die Leute würden vor Begeisterung johlen, wenn ich mir die Pulsadern aufschneiden würde.« Was ist da in der Zwischenzeit bloß geschehen? Was können wir daraus lernen, dass manche Führungskräfte und das »einfache« Volk mittlerweile in verschiedenen Welten leben? Und vor allem: Was bedeutet das für die Zukunft? Das sind nur einige jener Fragen, auf die 40 Vordenker aus Österreich, Deutschland und der Schweiz auf Einladung der ZEIT und des Wiener Beratungsunternehmens Kovar&Köppl Antworten gesucht haben. Ihre Beiträge bilden – zum mittlerweile vierten Mal – die Grundlage für eine Analyse der politischen und gesellschaftlichen Arena, aus der sich jene Problemstellungen herauslesen lassen, die in den nächsten Jahren die politische und soziale Agenda bestimmen werden. Die Kernaussage: Die Politik ist gefordert, mehr denn je. Gerade weil es den Handelnden offenbar immer schwerer fällt, mit den rasanten Veränderungen in Wirtschaft und Wissenschaft Schritt zu halten und dem zunehmenden Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenzuwirken.

So konstatiert der Wiener Strategieberater Gerald Karner, dass sich die Politik in gefährlichem Ausmaß vor notwendigen Eingriffen gedrückt hat. Abhängig vom Verlauf der Wirtschaftskrise könne dies sogar zu »erheblichen sozialen Verwerfungen bis hin zu Unruhen« führen. Für wahrscheinlicher hält Karner es aber, dass dieser Reformdruck in Richtung EU weitergegeben wird. Und dies wiederum führe zu einer Radikalisierung der politischen Landschaft in den kleineren EU-Nationen wie Österreich, weil »für zumindest kurzfristig als unangenehm empfundene Reformen die EU verantwortlich gemacht und die eigene Unfähigkeit damit bemäntelt würde«.

Die Große Koalition wird zum politischen Dauerphänomen

Ein distanziertes Verhältnis zur Europäischen Union ist es auch, das die Politik von Bundeskanzler Werner Faymann prägt. Sei es mit seiner fatalen Strategie, den Schwenk der Sozialdemokratie hin zu einer »kritischen« Europapolitik via Leserbrief in der Kronen Zeitung kundzutun. Sei es angesichts des protokollarischen Fauxpas, im Oktober nicht zur Eröffnung der Vertretung der Europäischen Union in Wien zu erscheinen. Mittlerweile hat der SPÖ-Vorsitzende diese Entscheidung nicht nur öffentlich bedauert, er versucht seiner Politik auch ein europafreundlicheres Gepräge zu geben. »In der Welt kann man gemeinsam sehr viel bewegen, in Europa einiges und in der Innenpolitik wenig«, erklärte Faymann Mitte Dezember. Doch wie lange wird diese Erkenntnis angesichts populistischer Anti-EU-Slogans der politischen Rechten währen? Vermutlich nur bis zum Beginn des nächsten Wahlkampfs. Doch die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise erfordern mehr als nur Lippenbekenntnisse. Der deutsche Kommunikationsexperte Heiko Kretschmer fordert als Konsequenz aus der Finanzkrise vielmehr einen Metadiskurs: »Welche Fehler wurden gemacht? Wer ist seiner Verantwortung nicht nachgekommen? Wie muss Verantwortung in dieser Gesellschaft überhaupt aussehen?« Kretschmer entwickelt drei mögliche Szenarien. Im ersten Fall orientieren sich die Unternehmen künftig an den Stakeholdern, wie etwa Lieferanten und Mitarbeitern, als auch den Aktionären, den Shareholdern. Politisch gesehen, würden Regulierung und Selbstverpflichtung als notwendige Bestandteile einer modernen Ordnung verstanden. Es könne sich aber auch die Erkenntnis durchsetzen, dass Krisenbranchen ohne dauerhafte Interventionen nicht auskommen; dann werde die Politik zum dauerhaften Korrektiv. Oder drittens kehre das ordnungspolitische Laisser-faire der vergangenen knapp 30 Jahre zurück. Dies, meint Kretschmer, würde »zum Preis breiten Vertrauensverlustes in alle Institutionen geschehen und eine konflikthaftere Entwicklung unserer Gesellschaft und Politik zur Folge haben«. Die Atomisierung in der politischen Artikulation, etwa in Form der Piratenpartei, führe zur Großen Koalition als Dauerphänomen.

»Wir brauchen nicht mehr, sondern eine bessere Regulierung«

Der Schweizer Publizist Roger de Weck unterscheidet in seinem Essay Nach der Krise. Gibt es einen anderen Kapitalismus? zwischen staatlicher Regulierung und Intervention. Erst, so de Weck, sei massiv dereguliert im Zuge der Krise dann aber massiv interveniert worden. Regulieren, um das Intervenieren zu vermeiden, lautet seine Schlussfolgerung. Dem stimmt Peter Koren von der österreichischen Industriellenvereinigung zu. »Der Krise lag ein grundsätzliches Versagen des Staates zugrunde. Die Kontrollen und Regulierungen haben nicht funktioniert; wir brauchen aber nicht mehr, sondern bessere Regulierung.« Würden daraus nicht die richtigen Lehren gezogen werden, »droht eine Prolongierung des wirtschaftlichen Abschwungs, verbunden mit einem massiven Wohlstands- und Vertrauensverlust weiter Bevölkerungsschichten«. Ein Paradebeispiel bietet die Beinahe-Pleite der Hypo Alpe Adria: Alle, auf deren Reisepass »Republik Österreich« steht, bezahlen es teuer, dass die Politik ihre Kontrollfunktion vernachlässigt hat. Wie viele solcher Fehler verträgt das Land noch?

Zugespitzt läuft die Diskussion auf die Frage hinaus, wer die Gesetze des Handelns diktiert: die Politik oder die Ökonomie. Für Strategieberater Gerald Karner ist dieser Zielkonflikt bereits entschieden. Die Politik könne »die durch die Krise eröffnete Chance, ihr gesellschaftlich-gestalterisches Primat über die Wirtschaft wiederzuerlangen und zu festigen, nicht nachhaltig wahrnehmen«. Ausnahmen würden, wenn überhaupt, die USA, Frankreich und Großbritannien bilden. Die Schuld daran sieht er jedoch nicht nur bei maßlosen Bankmanagern. Zu sehr sei die Politik in ihre taktisch-parteipolitischen Denkmuster verstrickt: »Machterhalt für Institutionen und sogar einzelne Repräsentanten um beinahe jeden Preis prägen das politische Handeln.«

Für Claus Faber, Ökonom der Arbeiterkammer Oberösterreich, liegt das vor allem an den kurzfristigen Zielen, denen die Politik hinterherhechelt: Wer sich in kurzen Abständen vor dem Wahlvolk, Massenmedien oder einflussreichen Bedenkenträgern verantworten müsse, flicke eben sein Hemd auf Kosten des Rocks und kümmere sich erst nachher darum, dass es kalt sei: »Dies ist zwar nicht nachhaltig, macht aber politisch leider Sinn.« Zwar weist Faber auf die Schwierigkeiten hin, auf internationaler Ebene kollektiv zu handeln, einig zeigen sich jedoch alle Befragten der Arena-Analyse in einem Punkt: Nur ein koordiniertes internationales Vorgehen kann der Politik wieder entsprechendes Gewicht verleihen.

Darüber hinaus geht es aber vor allem darum, die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu mildern. Rudolf Scholten, Vorstand der Österreichischen Kontrollbank, sieht darin gar einen Prüfstein für die Demokratien: »Die gleichen Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, werden aufgrund gekürzter Sozialbudgets auch die Konsequenzen zu tragen haben. Das wird die Verteilungsdiskussion massiv anheizen und damit die Debatte darüber, ob wir mit systemisch ziemlich extremen Situationen umgehen können.«

Nicht nur weniger Geld für Sozialleistungen werde es geben, hält Karin Frick vom Gottlieb-Duttweiler-Institut fest, der Westen müsse sich prinzipiell an ein geringeres Wirtschaftswachstum gewöhnen. Der Leiterin der Schweizer Denkfabrik stellt sich generell die Frage, welche Sektoren in Europa künftig für Wohlstand sorgen werden: Auf bisherige Kern-Branchen wie den Automobilbau könne man nicht mehr zählen. Im Gegenzug würden aufblühende Wirtschaftszweige wie der Kulturtourismus das Wohlstandsniveau nicht garantieren.

Aber auch ein offensives Krisenmanagement ist gefragt. Der CDU-nahe Politikberater Peter Radunski plädiert dafür, dass Politiker die Wähler auf Krisen besser vorbereiten müssen. Andernfalls erwartet er »ernste innere Auseinandersetzungen«. Sein Ausweg, auf den auch andere Befragte hinweisen: Wachstum müsse als Fortschrittsfaktor gegenüber qualitativen Verbesserungen des Lebens zurücktreten. Dies könnte natürlich als eine Möglichkeit für Politiker missverstanden werden, die schlechte wirtschaftliche Performance ihrer Staaten zu camouflieren. Genau dies wurde Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Anfang 2008 nachgesagt, als er ein Team unter Führung der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Amartya Sen beauftragte, einen neuen Wohlstandsindikator zu entwickeln: Dieser solle neben der Produktivität auch Faktoren wie die Nachhaltigkeit einer Volkswirtschaft, das Einkommen, die Lebenserwartung und Freizeit mit einbeziehen. Sprich: auch erfassen, ob die Menschen glücklich seien.

»Happiness is a warm baguette«, spottete der Economist damals, im goldenen Zeitalter vor der Krise. Doch als die Kommission im September 2009 ihren Bericht vorlegte, verebbte die Kritik. Joseph Stiglitz konnte die im Vergleich zu Europa lange höheren Wachstumsraten der USA bereits als Ergebnis der Überschuldung der Amerikaner enttarnen. Die Ökonomen sollten, so empfahlen die Nobelpreisträger weiter, »Anstrengungen unternehmen, um Maßeinheiten für soziale Verbindungen, politische Mitbestimmung und Sicherheit zu entwickeln«. Der Generalsekretär der OECD, Angel Gurría, erklärte darüber hinaus, die Organisation, zu der auch die USA gehören, wolle eine führende Rolle dabei übernehmen, einen neuen Wohlstandsindikator abseits von reinen Wachstumsindikatoren zu entwickeln.

Während also die Experten unvoreingenommen und auf breiter Basis die Herausforderungen der Zukunft diskutieren und Lösungsmodelle anbieten, scheint der Politik der Wille zu einer offenen, interdisziplinären Diskussion abhanden gekommen zu sein. Politikberater Hanns Kratzer hält in seinem Beitrag zur Arena-Analyse fest: »Erst wenn vermittelt werden kann, dass es sich auch individuell lohnt, den Egoismus ein wenig hintanzustellen und größere Lösungsentwürfe zu entwickeln, wird die Crew des Raumschiffs Erde den Herausforderungen des Jahres 2010 begegnen können.«

Antworten für die Arena-Analyse 2010 kamen von:

Hildegard Aichberger, Geschäftsführerin des World Wildlife Fund
Wilhelm Bründlmayer, Weingut Bründlmayer
Erhard Busek, Institut für den Donauraum und Mitteleuropa und ehemaliger Österreichischer Vizekanzler
Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich
Knut Consemüller, Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologieentwicklung
Thomas Czypionka, Institut für Höhere Studien (IHS)
Claus Faber, Referent an der Arbeiterkammer OÖ
Heiner Flassbeck, Chef-Volkswirt der UNCTAD
Karin Frick, Gottlieb-Duttweiler-Institut
Josef Fröhlich, Austrian Institute of Technology
Dietmar Halper, Direktor der Politischen Akademie der ÖVP
Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Vorsitzender des Bundesverbands der Deutschen Industrie
Clemens Jabloner, Präsident des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs
Gerald Karner, Strategie- und Organisationsberater
Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland
Peter Koren, stv. Generalsekretär der Industriellenvereinigung
Hanns Kratzer, PERI Consulting
Heiko Kretschmer, Johannsen+Kretschmer Strategische Kommunikation
Bernhard Marckhgott, Wiener Börse AG
Viola Neu, Konrad Adenauer-Stiftung
Anton Pelinka, Central European University
Volker Perthes, Stiftung Wissenschaft und Politik
Ronald Pichler, GlaxoSmithKline
Peter Radunski, Publicis Deutschland
Georg Rebernig, Umweltbundesamt Wien
Martin Säckl, European Affairs Consulting Group
Andreas Salcher, Andreas Salcher Projects
René Schmidpeter, Bertelsmann Stiftung
Rudolf Scholten, Oesterreischische Kontrollbank AG
Christian Tomuschat, Humboldt-Universität Berlin
Rudolf Trauner, Wirtschaftskammer OÖ
Herbert Tumpel, Arbeiterkammer
Jürgen Turek, Centrum für angewandte Politikforschung
Helmut Wachowiak, Internationale Fachhochschule Bad Honnef
Manfried Welan, ehemaliger Rektor der Universität für Bodenkultur Wien
Rainer Wieltsch, Aufsichtsratsvorsitzender OMV
Ole Wintermann, Bertelsmann Stiftung
Hans Zeger, ARGE Daten
Wolf-Dieter Zumpfort, TUI AG und ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages

Transparenz – es tut sich was.

stakeholder-event_dekoKaum war die neue Bundesregierung gebildet, bemühten sich die neuen Minister deutlich zu machen, dass sie auf keinen Fall einfach dem Lobbyismus der Wirtschaft erliegen werden. Am deutlichsten wurde während seiner Amtseinführung der neue Gesundheitsminister Rösler, der dem Lobbyismus in der Gesundheitspolitik endlich etwas entgegensetzen will. Immer öfter wird in der Diskussion „Lobbyismus“ als Ursache für politische Fehlentscheidungen ausgemacht. Dabei wissen alle Beteiligten, dass es ohne Interessenvertretung gar nicht geht. Politik muss die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten kennen und muss diese Interessen gegeneinander abwägen, Kompromisse zwischen verschiedenen Interessen finden. Das allein ermöglicht es, ungewollte Folgewirkungen zu erkennen und zu verhindern. Lobbyismus kann also die Politik nicht aus der Entscheidungsfindung und damit auch nicht aus der Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen entlassen. Voraussetzung dafür ist aber, dass grundlegende Spielregeln der Interessenvertretung und Standards der Kommunikation eingehalten werden. Unbestritten ist Transparenz dabei einer der wesentlichen Grundsätze.

Natürlich wird jeder der seine Interessen artikuliert und offen vorträgt auch immer Kritik ernten und Widerworte erfahren, weil andere Akteure in der Regel widerstreitende Interessen verfolgen. Doch etwas anderes ist die drohende Gefahr, dass die License to operate des Lobbying bedroht ist. Spätestens der nächste gravierende Skandal könnte diese in Windeseile in Frage stellen.

Mehr und mehr Akteure erkennen diese Problematik und drängen daher auf eine Klärung der gesetzlichen Grundlagen des Lobbyings:

Die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung de’ge’pol hat am 17.12. auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung und nach einer Mitgliederbefragung ein Papier mit Eckpunkten für einen Gesetzentwurf für ein Lobbygesetz verabschiedet. Damit liegt eine erste Grundlage für ein Gesetzgebungsverfahren auf dem Tisch. Zwar wird das Papier sowohl aus Kreisen der DPRG, die gegen ein verpflichtendes Lobbyregister sind, als auch von Lobbycontrol, denen die finanzielle Offenlegung nicht weit genug geht, kritisiert. Aber damit ist die Diskussion eben eröffnet. Lobbycontrol selbst hat ebenfalls am 17.12. fast 9.000 Unterschriften für ein Lobbygesetz an den Vizepräsidenten des Deutschen Bundestag, Otto Solms, übergeben.

Aber auch in die Unternehmenslandschaft ist Bewegung gekommen. So belegt die jüngste Public Affairs Umfrage der Agentur Publicis, dass das Lobbyregister seinen Schrecken verloren hat. Die Mehrheit erwartet sogar einen positiven Imageeffekt auf das Ansehen der Branche.  Auch in einem Workshop der Bertelsmann Stiftung im Dezember sprachen sich eine mehrere Hauptstadtrepräsentanten verschiedener großer Unternehmen für ein Lobbyregister aus. Inzwischen scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch aus den Reihen der deutschen Industrie eine entsprechende Initiative gestartet wird. Darauf setzt offenkundig auch Transparency International. So verweist der Geschäftsführer von Transparency International, Christian Humborg, immer wieder auf die schwindende Glaubwürdigkeit des Lobbyismus, die nur doch mehr Transparenz gestoppt werden könne. Zurecht unterstreicht er welche gravierenden Folgen dies für die Akzeptanz demokratischer Entscheidungsprozesse und unserer staatlichen Institutionen haben kann.

Mein Fazit: Laut Koalitionsvertrag will die schwarzgelbe Koalition das Thema Lobbying zwar nicht anfassen, aber wenn sich mehr und mehr Akteure pro Lobbyregister positionieren, dann wird gerade eine schwarzgelbe Mehrheit sich dem nicht entgegenstellen. Kommt es zu einer Regelung steckt der Teufel im Detail – auf drei Punkte wird man besonders achten müssen:

  1. Der Geltungsbereich eines Lobbyregisters darf nicht auf den Deutschen Bundestag begrenzt sein, sondern muss zumindest auch die Bundesministerien umfassen. Daher bedarf es einer gesetzlichen Regelung, nicht einer Festschreibung in der Geschäftsordnung des Bundestags.
  2. Das Register muss verpflichtend sein. Ein freiwilliges Register birgt mehr Gefahren als Lösungen, denn es erlaubt aus Sicht der Unternehmen die Verlagerung des „Konfliktes“ in die Beratungsunternehmen, die dann fallweise klären müssen, wo sie offenlegen dürfen und wo nicht.
  3. Das Register muss alle Akteure umfassen. Das meint ausdrücklich auch Rechtsanwaltskanzleien. Da der Mandantenschutz nur den Inhalt des Mandats, nicht aber das Mandatsverhältnis selbst umfasst, ist diese Offenlegung juristisch problemlos möglich.

Eine Stadt ist keine Marke ist eine Marke …

CCP11_0067Hi„Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen.“ Es ist ein Plädoyer des Protests. Ein Protest von Hamburger Künstlern unter Schirmherrschaft von Daniel Richter gegen die Marke Hamburg. Es ist aber viel mehr als das, denn es ist ein Plädoyer für ein politisches Manifest gegen die stromlinienförmige Ausrichtung eines Gemeinwesens im Rahmen des internationalen und nationalen Standortwettbewerbs.

Als politischem Beobachter juckt es mir natürlich in den Fingern, darüber zu schreiben, was es für eine Stadt bedeutet, wenn sie 40% ihres gesamten Kulturetats an ein Projekt, hier die Elbphilharmonie, bindet – übrigens wie so oft ein Projekt, dessen Kosten laufend explodieren. Genauso juckt es mich, die Frage zu kommentieren, wie soziale Stadtentwicklung aussehen muss, wenn Seggregation und damit Ghettoisierungen abgewehrt werden sollen – und dennoch die wirtschaftliche Basis einer Großstadt nachhaltig gesichert werden muss. Dies bedeutet nämlich, dass Unternehmen angesiedelt, neue Unternehmen entstehen und Steuerzahler in der Stadt gehalten werden müssen. Langfristig führt Seggregation aber zur Destabilisierung solcher Ansiedlungspolitik, ist also von kurzfristigem Denken geprägt.

Aber Richter und seine Kollegen fordern ja auch den Kommunikationsfachmann in mir heraus. Denn sie projizieren ihre Kritik an der Politik des schwarzgrünen Senats auf die Marke Hamburg. Und damit schlagen sie die Marke mit ihren eigenen Waffen. Denn Marke soll ja gerade Komplexität reduzieren und Kernentwicklungen hervorkehren. Wenn die Marke Hamburg ihnen also das Symbol einer von ihnen abgelehnten Politik ist, tun sie richtig daran auch die Marke und die Markenentwicklung zu kritisieren.

Was kann der Kommunikationsmann da also noch argumentieren? „Eine Stadt ist keine Marke“, gerade weil sie eine Marke ist? Oder ist es nicht doch ein zu kurz gegriffenes Markenverständnis, das hier einer berechtigten Kritik ausgesetzt ist. Marken sollen Komplexität reduzieren, nicht aber Komplexität ausblenden. Es geht also gerade nicht darum, erwünschte Realitäten eindimensional zur Marke einer Stadt zu erklären, sondern das Gemeinwesen Stadt mit all seinen Widersprüchen und Verwerfungen auch in der Marke abzubilden. Denn was soll die Marke erreichen? Es geht ja nicht allein darum, eine Tourismusmarke zu haben, die Reisende anlockt am Wochenende oder im Kurzurlaub das kulturelle Angebot einer Stadt zu nutzen. Es geht auch nicht darum, die Standortmarke zu entwickeln, die Investoren verdichtet die Vorteile eines Standorts verdeutlichen soll. Nein, die Herausforderung besteht darin, einer Stadt eine Identität zu geben. Identifikationsmerkmale für Bewohner wie Besucher herauszuarbeiten. Gemeinsamkeiten im Gemeinwesen zu erkennen. Gerade weil die Stadt ein Gemeinwesen ist, braucht sie diese Gemeinsamkeiten. Gemeinsame Erfahrungen, gemeinsame Konflikte, gemeinsame Widersprüche, aber auch Gemeinsamkeiten, auf die man stolz ist, die das Gemeinwesen eben zusammen halten. Wer also eine Marke nicht als Konstruktion einer Identität des Gemeinwesens versteht, sondern als Simplifizierung im Marketing, der riskiert viel: Er riskiert die Frontalopposition jener, die sich in dieser Konstruktion nicht wieder finden. Er konstruiert eine Marke, die nicht mitnimmt, die nicht einbindet, die nicht begeistert. Letztlich entsteht eine artifizielle Marke, keine authentische Identität.

Und dann wird die Marke zum Symbol des Trennenden und nicht des Gemeinwesens. Das kann einige Jahre gut gehen, kann Wachstumseffekte für Tourismus und Stadtentwicklung haben. Auch der Wirtschaftsstandort mag zunächst befördert werden. Aber am Ende trennt es eben – und damit erodiert dann auch das Gemeinwesen. Das Fazit kann nur lauten: erfolgreiche Identitätsgestaltung kann nur im Dialog mit den Stakeholdern gelingen. Oder um es in den Worten von Schultz&Hatch zu sagen: Hamburg ist ein klassischer Fall von Marken-Narzissmus.  Diese Marke hat sich so intensiv mit ihrem Selbstbild und der konstruierten Markenkultur beschäftigt, dass der Bezug zur Realität verloren gegangen ist. Die Folge: vernachlässigte Stakeholder verlieren das Interesse an der Marke oder boykottieren sie.

Und so ist der Künstler-Appell am Ende fast dialektisch: Daniel Richter und seine Kollegen wollen Widerstand gegen die Stadt als Marke leisten und unterstreichen dennoch wie wichtig Marken-Identitäten im Gemeinwesen Stadt sind.

Ein Gruß vom Etagensekretär

berliner-freiheitManchmal schreibt das Leben die besten Satiren. So geschehen am heutigen Tag – in Form eines Mailwechsels zwischen Moritz Hunzinger und dem Autor dieses Blogs. Zur Erinnerung: Moritz Hunzinger wurde im September 2002 öffentlich vom Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) gerügt. Der Rat schrieb unter anderem: „Moritz Hunzinger hat dem Ansehen des Berufsstandes PR erheblichen Schaden zugefügt. Er hat durch sein Handeln, insbesondere durch solche Geldzuwendungen, die Politiker in Konflikte mit ihren Ämtern gebracht haben, in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dies sei übliche PR-Praxis.“

Unter dem Betreff „Politikkongress“ lässt Moritz Hunzinger um 17:28 Uhr einen großen Verteiler, in den er ungefragt auch den Autor des Strategieblogs integriert wissen, wie erfolgreich sein Auftritt auf diesem Kongress war. Dieses verbindet er mit einer Breitseite auf die Branchenverbände: 

Sehr geehrter Herr Arns [Anm. Christian Arns (depak) war „sein“ Moderator und Gastgeber auf dem Politikkongress],

auch ich habe den Kongreß in guter Erinnerung, der beim erstaunlich applaudierten Kamingespräch mit mir zur Vorlesung mutierte. Die Zuhörer konnten viel erfahren:
– Die PR-Branche hat seit meiner „Riesen-Swatch“ in 20 Jahren kein neues (berichtenswertes) Format erfunden. Was neu ist, kommt von Branchenfremden wie Xing und Facebook.
– Konjunkturbedingt stellt das PR-Beraterprekariat die Mehrheit der Mitglieder und bei Versammlungen, Tagungen etwa der DPRG. Erfolgreich aktiven PR-Profis bietet der Berufsverband nichts mehr.
– Der PR-Beruf hat weitgehend seine Effektivität in Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying verloren; Wirtschaft und Politik nutzen Alternativen, Rechtsanwaltskanzleien machen längst das Business der Agenturen zu deutlich höheren Honoraren.
– Die Glaubwürdigkeitskrise bei Print und TV reduziert zudem die Plazierungschancen von PR. Der Beruf macht sich in weiten Teilen der Wirtschaft überflüssig oder diffundiert in andere Bereiche (Personal, Recht, Marketing, Messe-/Besucherdienst).
Hier fehlen allen Standesorganisationen Antworten und ihren Mitgliedern die notwenige Orientierung durch die Verbände.
Die mir zugegangenen Anfragen aus dem Kongreßplenum bearbeite ich, mir qualifiziert erscheinende Interessenten verweise ich an die neue Quadriga-Hochschule.
Freundliche Grüße, Moritz Hunzinger

Der als Ethikbeauftragte der degepol angemailte Autor musste an dieser Stelle natürlich Stellung beziehen:

Sehr geehrter Herr Arns,
Lieber Christian,

Wer dieser Branchen mit seinen unethischen und fuer seine Kunden schaedlichen Verhalten soviel Schaden zugefuegt hat, ist wirklich der letzte, der der Branche die Leviten lesen kann. Manchmal ist Schweigen doch Gold.
Insofern bleibt der Veranstalter auch die Antwort schuldig, was der „Sinn“ für die Branche sein soll, einen Mann der Vergangenheit mit bestenfalls zweifelhaftem Ruf inzuladen

Mit besten Grüßen
Heiko Kretschmer

Doch nun dreht Moritz Hunzinger so richtig auf:

Sehr geehrter Herr Kretschmer,

nennen Sie mir einen unzufriedenen Hunzinger-Kunden?
Sie sind ein Denunziant, ein Trottel. Bei uns hätten Sie wahrscheinlich nicht mal eine Stelle als Etagensekretär bekommen.

Freundliche Grüße, Moritz Hunzinger

Der Etagensekretär stellt darauf hin nur noch fest:

Der getroffene Hund bellt … 

Mit besten Grüßen
Heiko Kretschmer

Und nun die wahrlich lyrische Antwort des Moritz Hunzinger:

… bellt zurück.

Kümmern Sie sich mit Ihrer Hartz-4-Bude lieber um ihre Kunden, Kretschmer, als Vorbilder anzupinkeln.

Staatskonzern 2.0

Die neue Telekom. DT AG 2.0. Da kann man sie also bestaunen, die neue Version einer ehemaligen Behörde:

Man darf hin und her gerissen sein: Die Deutsche Telekom bekennt sich zur ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Nicht als ein Bekenntnis Gutes zu tun und darüber zu reden, sondern um Verantwortung als Motor der Erneuerung zu begreifen. Im Camp Palomar wird über die Arbeitswelt von morgen nachgedacht. Dies ist ein einzigartiger Innovationsprozess, der nicht nur community-based engeneering sein soll, sondern tatsächlich einen Zukunftsentwurf mit all seinen Schwächen und Risiken entwerfen soll. Man darf gespannt sein, was die 30 Mitwirkenden Ende November präsentieren.

Immerhin hat René Obermann den wesentlichen Punkt einer Verantwortungsstrategie der Deutschen Telekom selbst benannt: „Dabei ist klar: Wir sind noch nicht am Ziel. Nicht alles klappt von heute auf morgen.“ Jedes Unternehmen, das sich einer derartigen Herkulesaufgabe stellt, sich neu ausrichtet und künftig einer langfristigen, nachhaltigen Geschäftsentwicklung den Vorzug vor kurzfristiger Gewinnerzielung geben will, muss sich über eines klar werden: Ein solches Unternehmen wird zur lernenden Organisation, muss zuhören können, muss Kritik ertragen und verstehen – selbst scheinbar unberechtigte Kritik.

Oft wird das Bekenntnis zu verantwortungsvollem Handeln heute aber mit umwelt- und klimagerechten Handeln verwechselt: So lässt sich Dr.Dr. Rainer Erlinger über Verantwortung als Marketing-Gag aus und redet nur über Umwelterscheinungen.

Dabei gibt es so viele andere Themen, in denen die Deutsche Telekom Verantwortung für unsere Gesellschaft trägt: der massive Umbau des Umbau des Unternehmens und dessen Auswirkung auf die eigenen Mitabeiter, die Verwirklichung des Grundrechts auf Zugang zur Information, die Überwindung der digitalen Teilung unseres Landes oder die Verwirklichung der Breitbandstrategie der Bundesregierung. Was könnte eine verantwortungsbewusste Deutsche Telekom allein dazu beitragen?

Fast schon Greenwashing ist aber die Telekom-Initiative, mit der man erreichen will, dass möglichst viele Kunden von der Option Gebrauch machen, den Rechnungsversand per Email zuzulassen. Was die Deutsche Telekom als Erfolg für die Umwelt feiert, erweist sich als Bärendienst an der Umwelt, die nun durch hunderttausende ausdrucke am heimischen PC belastet wird.

Enttäuschend ist leider auch die begleitende Kampagne: Der wuselige TV-Spot setzt den Claim ganz nett und mit dem unter Hobbyfotografen gerade modernen Tilt/Shift-Verfahren um, aber die eigentlichen Botschaft erschließen sich nur einem vorgebildeten Publikum:

Die emotionsfreien Textanzeigen nutzen den gleichen Effekt, liefern aber nur Bekenntnisse ab ohne konkrete Maßnahmen aufzuzeigen. CSR-Kommunikation hat deutlich mehr verdient.

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