Strategieblog

Fehlstart einer gelungenen Startkommunikation?

Nun ist sie eine gute Woche im Amt, die neue Bundesregierung . Die Regierungsbildung war rekordverdächtig: Koalitionsverhandlungen im Akkord, rasche Zustimmung in den Parteien und schließlich eine fast reibungslose Wahl der Kanzlerin. Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen:

Die schwarzgelbe Koalition spürte strammen Gegenwind: Bei der Wahl der Bundeskanzlerin fehlten 9 von 332 Stimmen. Knapp 3% der Koalitionsabgeordneten versagten ihre Zustimmung, was verglichen mit ihren Vorgängern kein schlechtes Ergebnis ist. Dennoch konstatieren die Leitmedien „Merkels Makel-Start„, eine geschwächte Kanzlerin oder auch nur eine Schlappe für die neue Koalition. Wieso das? Vor Kurzem galt diese Koaliton doch noch als Hoffnungsträger vieler Journalisten.

Die Stimmung war in den Tagen zuvor gekippt . Immer lauter beschwerten sich die Journalisten in Berlin darüber, dass sie Teil einer (gelungenen?) Inszenierung von CDU/CSU und FDP wurden. Am Anfang dieser Inszenierung betonten die drei Koalitionspartner, dies sei eine Wunschkoalition, die nun ganz schnell vereinbart werden könnte. Diese lauten Bekenntnisse zur Koalition übertönten alle kritischen Rückfragen über die vorhandenen Gegensätze zwischen den Verhandlungspartnern. Der zweite Schritt war dann eine geschickte Kommunikationsstrecke nach einander gesetzter Positivbotschaften. Dabei wurden gezielt die Themen nach vorne gestellt, die sich in den vergangenen Monaten als Mühlsteine am Hals der SPD erwiesen hatten.

So betrifft die Erhöhung des Schonvermögens zwar nur 0,5% der Hartz IV Empfänger. Doch dieser Schritt der Koalition sendete ein klares Signal aus: Lebensleistungen der Menschen werden wieder geachtet und anerkannt. Rotgrün hatte noch wie mit dem Rasenmäher alle Betroffenen gleichbehandelt und dabei übersehen, dass sich im eigenen Klientel das Gefühl aufbaute, individuelle Biografien würden nicht mehr geachtet. Millionenfache Stimmenthaltung war das Ergebnis.

Danach nahm sich Schwarzgelb die Internetgesetzgebung vor. Die noch von der CDU/CSU vorangetriebene Internetzensur mittels Stop-Schild wurde mal eben über Bord geworfen und ein neuer Umgang mit dem Thema Datenschutz, Sicherheit und Internetrechte versprochen – fast so als wäre da die Piratenpartei stiller Teilhaber der Regierungskoalition. Dabei waren die Piratenpartei gerade erst wie Phönix aus der Asche entstanden: Insgesamt 2% bei der Bundestagswahl, ganze 13% der Erstwähler – zu Lasten der SPD.

Am Ende der Koalitionsverhandlungen wurde dann aber doch noch eine Woche laut gestritten. Die Koalitionspartner mussten gegensätzliche Versprechen zu Schuldenabbau und Steuersenkungen unter einen Hut bringen. Doch viele Journalisten hatten den Eindruck, die Koalition habe sich längst geeinigt und der Streit sei nur noch für das Publikum. Jede Seite müsse zeigen, dass sie hart für die eigenen Klientel gerungen habe. Spätestens hier vermuteten viele Journalisten, sie seien Teil einer Kommunikation der kommenden Regierung.

Der gefundene Konflikt spricht dafür, denn beide Seiten mussten Fehler lassen: Die Neuverschuldung steigt, die versprochenen 40 Mrd. Steuergeschenke werden auch nur zur Hälfte realisiert.

Zweifelsohne – für Journalisten waren das langweilige und zudem noch oppositionslose Wochen. Die Opposition ist offenbar mehr mit sich selbst als mit Kritik an der neuen Bundesregierung beschäftigt: Die Grünen streiten, ob Jamaika und Schwarzgrün nur Notnägel oder weitere Machtoptionen sind. Die Linkspartei zerreibt sich zwischen den Länderorganisationen, die von anpassungsfähiger Realpolitik bis Fundamentalopposition alles für möglich halten. Und die SPD steht mitten in einem tiefgreifenden personellen und inhaltlichen Umbruch. Da kann es nicht wundern, wenn die neue Regierung in den kommenden Wochen und Monaten wenig Gegenwind bekommen wird.

Spannend kann es erst nach der NRW-Wahl werden: Denn dann muss die Bundesregierung Klartext reden, was aus Haushaltskonsolidierung und aus der Steuerreform wird. Bis dahin muss die Opposition ihre Handlungsfähigkeit wieder hergestellt haben.

Blogger sind keine Gutmenschen

CCP05_0011Hi„Ich mag keine Heuchler“, so der Blogger T. Knüwer in seinem Handelsblatt Blog. Der Noch-Journalist oder Schon-PR-Berater Knüwer regt sich dabei über eine Äußerung des GPRA-Präsidenten Alexander Güttler auf. Güttler hatte darauf hingewiesen, dass es einige Blogger gibt, die gegen Bezahlung oder gegen Überstellung von Gadgets kräftig über bestimmte Produkte bloggen und diese in positivem Licht erscheinen lassen. Das ist nichts anderes als Schleichwerbung. Und es verstößt damit gegen alle einschlägigen PR-Kodizes.
Auf diesen Umstand wies Güttler hin. Zurecht. Denn je wichtiger Social Media für die Kommunikation von Unternehmen wird, umso wichtiger ist es, dass dort kein ethikfreier Raum entsteht. Diesen Einwurf von Güttler nutzt Knüwer, um sich über die PR-Branche aufzuregen und ihr allzu pauschal vorzuwerfen, dass sie mit Journalisten verfilzt sei und diese besteche. Dabei übersieht er, dass die PR-Branche mit dem Deutschen Rat für Public Relations ebenso wie die Journalisten mit ihrem Presserat ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle besitzt, das regelmäßig unethisches Handeln in der Branche kritisiert. Und er übersieht, dass Zeitungsverlage, selbst solche in deren Haus die sogenannte Qualitätspresse erscheint, immer unverfrorener nach zusätzlichen Einnahmequellen suchen und von sich aus Kopplungsgeschäfte anbieten. Inzwischen sind es sehr oft Agenturen und Unternehmen, die solche Angebote als unseriös und nicht mit dem Kodex vereinbar ablehnen müssen.
Kein Zweifel: Die PR-Branche ist nicht frei von schwarzen Schafen. Beispiele dafür gab es in letzter Zeit viel zu viele. Aber der Versuch sich moralisch darüber zu erheben muss scheitern. Gerade wenn er von einem scheidenden Journalisten kommt, der selbst ein PR-Blogger in spe ist.

Es bleibt dabei: Je mehr Social Media Teil der institutionellen und unternehmerischen Kommunikation wird, umso mehr wird es sich in den Kontext einschlägiger Kommunikationskodizes einordnen müssen. Der DRPR hat hierüber eine Debatte angestoßen. Diese wird sich daran messen lassen, ob hier am Ende ein umfassendes, realitätstaugliches Kodexwerk stehen wird.

Der Niedergang der Masterstory

head_smallBerlin (7.10.09): Die Bundestagswahlen 2009 – ein Erdbeben oder doch nur der Wechsel des Koalitionspartners? War das nun die Schicksalswahl, die Richtungsentscheidung für Deutschland? Oder ist es im Großen und Ganzen der Anfang eines Weiter So? (Mein Kommentar auf www.glocalist.com)

Diese Fragen wird man differenziert beantworten müssen. 2009 steht die Welt, Europa und Deutschland vor dem Scherbenhaufen der Euphorie der letzten anderthalb Jahrzehnte der Deregulierung. Dieses ist nicht nur die größte Krise des Finanzsektors seit 1929. Dieses ist auch nicht nur die erste richtig globale Wirtschaftskrise seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Dieses ist auch der Ende eines eigenen ideologischen Zyklus‘.

Um mit dem Obama Berater und Psychiater Drew Westen zu sprechen: Die Masterstory der letzten fast drei Jahrzehnte, die mit Ronald Reagan in den USA ihren Anfang fand, trägt nicht mehr. Drew Westen versteht unter Masterstory eine Art Narrativ, das politisch ideologisch, aber auch kulturell hegemonial wirkt und damit einen Rahmen bildet, in dem sich alle politischen Akteure bewegen müssen, wollen sie mehrheitsfähig in einer Gesellschaft sein. Selten ergibt sich die historische Chance, eine solche Masterstory durch eine neue Masterstory abzulösen. Denn dieses setzt eine Glaubwürdigkeits- oder zumindest Vertrauenskrise des bestehenden Rahmens voraus.

Diese Glaubwürdigkeitskrise ergibt sich nicht allein aus dem Zusammenbruch der Finanzmärkte und der dem zugrunde liegenden Vertrauensdefizit der Banken untereinander. Diese Glaubwürdigkeitskrise hat die westlichen Gesellschaften viel tiefer erfasst. In den letzten Monaten konnte man oftmals die Überraschung der Wahlforscher hören, dass die Krise noch gar nicht in den Köpfen der Menschen angekommen sei.

Das Gegenteil ist richtig. Seit fast zehn Jahren wachsen die Zweifel in der Bevölkerung ob der moralischen Integrität unserer Eliten. Es hat sich in vielen Köpfen festgebrannt, dass um die Jahrtausendwende junge Manager irrsinnige Summen mit Unternehmen am Neuen Markt verdienen konnten, die nicht einen Tag lang schwarze Zahlen schrieben. Die Menschen haben ein feines Gespür für Eliten, die sich doppeldeutig verhalten: Auf der einen Seite Personal abbauen, auf der anderen Seite dem Management explodierende Boni zahlen.

Auf der einen Seite Leistungen kürzen, auf der anderen Seite auf Dienstwagen-Privilegien pochen. Und sie reagieren seit Jahren ambivalent darauf: Man macht mit und achtet bei der Steuererklärung auf den eigenen Vorteil. Man zieht sich irritiert und angewidert von der Politik zurück. 2009 waren die Nichtwähler bei der Bundestagswahl die stärkste Gruppierung. Ein Phänomen, das man von Landtags- und Kommunalwahlen kennt, das aber bei Bundestagswahlen neu ist. Es zeigt sich daher in vielen vertieften Interviews, dass diese Krise nicht überraschend kommt, sondern ihr eine gewisse Logik zugewiesen wird.

Diese Bundestagswahl und dieses Krisenjahr 2009 stehen also für den Niedergang der alten Masterstory. Aber in diesem Jahr entstand keine neue Masterstory. Keiner der politischen Akteure hat eine Erklärung angeboten. Keiner der politischen Akteure hat den Versuch unternommen, ein neues Narrativ zu formulieren. Eine kleine Ausnahme bildeten die Grünen, die mit ihrem Green New Deal ein in sich geschlossenes Konzept der Post-Krise anboten. Allerdings fehlte ihnen die kommunikative Durchschlagskraft.

So erleben wir aktuell ein Paradoxon: Die Krise schreit nach neuen Leitlinien für Gesellschaften und Politiken in einer globalen Welt. Die Mehrheit der Deutschen stimmen gegenwärtig in vielen Fragestellungen nicht mit den Theorien der liberalen Märkte überein, sie befürworten einen agierenden Staat, sie stimmen sozialen Standards wie Mindestlöhnen zu, sie sind für staatliche Eingriffe in den Energiesektor und vieles mehr.

Doch zugleich kann die SPD, als klassischer Vertreter solcher Positionen, das Vertrauen der Menschen nicht gewinnen. Wie tiefgreifend diese Krise ist, zeigt der Umstand dass weder ein überaus engagierter Wahlkampf des Spitzenkandidaten und seine für viele Betrachter überraschend sympathischen Auftritte im Fernsehen, noch der radikale Personalwechsel am Schwielowsee 12 Monate vor den Wahlen (damals sah Emnid die SPD noch bei 26 Prozent) eine Verbesserung der Lage der SPD brachten.

Die Kanzlerin scheint diese Krise der SPD messerscharf analysiert zu haben. Ihr Versuch, der schwarzgelben Regierung ein Weiter so und damit einen „sozialdemokratischen“ Kurs zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise zu verordnen, ist geeignet, die SPD in eine fortdauernde Selbstbeschäftigung zu führen. Denn fehlt das schwarzgelbe Schreckensbild, fehlt der Einigungsdruck von außen. Daher sollte die SPD einen Blick in die jüngere Parteiengeschichte in Europa werfen. Da wird sie Belege dafür finden, dass auch traditionsreiche Parteien keine Bestandsgarantien haben. Wer seit der Machtübernahme 1998 unter Gerhard Schröder Tag für Tag durchschnittlich 2.500 Wähler verloren hat, der muss die eigene Krise als existentielle Bedrohung verstehen.

Online Campagning: Geld verbrennen oder Menschen bewegen?

Obama habe seine Wahlen online gewonnen. So lautet eine These, der man oft außerhalb der USA begegnet. Viele PR-Fachleute in Deutschland versuchten daher in den vergangenen Wochen, den Obama-Effekt im Internet einzufordern. Der deutsche Wahlkampf im Netz, so aufwendig wie noch nie, wurde von ihnen heftig gescholten. Eigene Online Tools dagegen wurden angepriesen. Zu statisch, zu wenig authentisch, zu wenig interaktiv sei der Wahlkampf. Und dennoch konnte die Agentur Weber Shandwick einen Internet-Wahlkampf-Sieger ausmachen: Die CDU.
Den politisch interessierten Beobachter konnte diese Meldung nur wundern. Auf fast allen Plattformen, in fast allen Netzwerken, in den Blogs und Foren gab es im Internet immer nur einen Sieger: Die Piratenpartei. Belächelt und nicht sonderlich ernst genommen, sammelte sie als Einpunkt-Partei am Ende sage und schreibe zwei Prozent der Wählerstimmen ein. Ganze 13 Prozent der Erstwähler stimmten für die Piraten. Damit erreichte die Piratenpartei in den Augen der jüngsten Wähler Augenhöhe mit den etablierten Parteien.
Was kann man daraus lernen?
Erstens ist die Generation upload offenbar doch empfänglich für politische Fragestellungen. Sie muss sie allerdings für relevant für den eigenen Alltag halten. Das genau ist Internet-Gesetzgebung und da fielen die oftmals wenig elaborierten Positionen der etablierten Parteien eben negativ auf.
Zweitens online lassen sich Kampagnen führen, neue Themen platzieren und Wähler überzeugen. Das haben die Piraten mit einem fast allein online gestützten Wahlkampf deutlich gemacht. Das erfordert aber eine hohe Authentizität und fachliches Verständnis von der Materie. Facebook-Profile von Kandidaten, denen man im Wesentlichen entnehmen kann, dass der Kandidat sich gerade auf dem Weg zu einer Sitzung befindet, strahlen eher Inkompetenz aus.
Drittens der Effekt eines online Wahlkampfs darf nicht überschätzt werden. Es lässt sich anhand verschiedener Unterstützerzahlen und Aktivitätsgrade in Netzwerken und Social Media abschätzen, dass etwas 50% der am online Wahlkampf interessierten Menschen die Piraten am Besten fanden. Damit dürfte der Gesamtanteil der Wähler, die primär durch online Campaigning erreicht werden bei ca. 4 Prozent liegen.
Viertens in den sehr jungen Zielgruppen steigt dieser Anteil aber dramatisch an. So scheint sich jeder vierte Erstwähler im Netz entschieden zu haben.
Fünftens bedeutet das aber auch: Wer kein passendes inhaltliches Angebot hat und allein mitmachen will, kann im Internet viel Geld für Nichts verbrennen.

Ein frühes Fazit dieses Wahlkampfs

stakeholder-event_standingNun ist es soweit. Heute wird gewählt. Ab 18 Uhr wird wohl niemand mehr über die Kampagnenführung und die Kampagneninhalte reden. Darum hier ein erster Versuch, ein Fazit zu ziehen.
Dieser Wahlkampf fand unter schwierigen Bedingungen statt. Erstmals war von Beginn an klar, dass wir uns dauerhaft im Fünf-Parteien-System bewegen. Das hätte eine komplett neue strategische Aufstellung fast aller Akteure erfordert. Anfangs schien es, als würden zumindest Grüne und CDU dieses versuchen, doch es blieb bei Lockerungsübungen. Am Ende wurden alle denkbaren Dreierbündnisse ausgeschlossen. Allein Zweierkoalitionen werden die nächsten vier Jahre regieren können (wobei die rot-grüne Variante wohl mangels Realismus ausgeschlossen werden kann).
Hinzu kam eine historische Krise, die erste globale tiefgreifende Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg. Niemand wusste Anfang des Jahres, ja nicht einmal im Frühsommer, wie sich diese Krise im Laufe des Jahres entwickeln würde. Von der anfangs noch vertretenen Hoffnung eines schnellen Aufschwungs (zu Guttenberg sprach vom Ende der Krise im September) bis zum Horrorszenario von mehr als 4 Mio. Arbeitslosen am Tag der Wahl reichten die Annahmen. Nur auf solch dünnem Eis lässt sich kein Wahlkampf planen.
Es sei also eingangs allen Kampagnenplanern und -strategen zugestanden, dass dies die kompliziertesten Ausgangsvoraussetzungen für einen Wahlkampf zumindest seit 1991 waren.
Dennoch darf die Frage gestellt werden, ob das Ergebnis sich allein damit rechtfertigen lässt. Dieser Bundestagswahlkampf war nicht nur langweilig, weil ihm bis kurz vor Ende der Konflikt fehlte, sondern er war auch handwerklich, kommunikativ schwach. Zwei Kampagnen konnten wenigstens strategisch noch auffallen: Die CDU hatte die wichtigste Lektion der Obama Kampagne gelernt. „Stay on message“. Das erfordert erstens eine Message („Wir haben die Kraft“ – meint die CDU hat Angela Merkel und die CDU hat den Mut das Notwendige zu tun). Und zweitens erfordert es die konsequente Deklination dieser Botschaft in alle Kommunikation in der Kampagne. Auch hier konnte die CDU überzeugen. Allein ausgerechnet im TV-Duell war es Angela Merkel selbst, die die zentrale Message vergaß und stets daran vorbei lief.
Ebenfalls sehr konsequent war die Kampagne der Partei Die Linke. Drei Themen dominierten den Wahlkampf („Raus aus Afghanistan“, „Nein zur Rente mit 67“, „Nein zu Hartz IV“) und wurden bis hin zur Selbstparodie („Reichtum für alle“ und „Reichtum besteuern“) durchgetragen.
Ganz anders FDP, Grüne und SPD. Während die FDP einen absolut unauffälligen Wahlkampf machte (Kann sich jemand an die Botschaft erinnern?) und schwer lesbare Plakate aufhing, profitierte sie natürlich von der Rolle die einzige Konkurrenz zur Union im bürgerlichen Lager zu sein. Und die Union war gefangen in der ungeliebten Großen Koalition. Daneben die Grünen. Einprägsame Plakatoptik. Immer wieder Variationen der Aussage, wieso Grün gegen die Krise hilft. Aber dennoch stellte sich kein Bild der Kampagne ein. Insbesondere fehlte bis zum Schluss die funktionale Begründung einer Grünwahl. Es steht zu befürchten, dass der starke Schlussspurt der SPD die Grünen noch auf Platz 5 verweisen wird, denn die Grünen konnten, ihre Wechselwähler nicht ausreichend binden. Nachdem in Hamburg zu einer schwarz-grünen Regierungsbildung kam, hätte die Parteiführung dieses entweder als Chance zur Öffnung ins bürgerliche Lager verstehen müssen oder aber diese Variante explizit ausschließen müssen. Im letzteren Fall hätte dies aber bedeutet, sich zur rot-rot-grün Option auch machtpolitisch zu verhalten. So schien es immer als seien die Grünen im Prinzip draußen.
Damit sind wir beim Wahlkampf der SPD. 1998, 2002 und 2005 hatte die SPD das inoffizielle Wettrennen um den besten Wahlkampf gewonnen. Teilweise mit großem Vorsprung. Umso mehr überraschte die schwache Performance der Kampagne. Es gab keine klare Message. Anfangs sollten mit Wirtschaftskompetenz und Deutschlandplan, 4 Mio. Job geschaffen werden. Dann hieß das Thema Finanzmarktregulierung und Begrenzung der Banker-Boni. Am Ende setzte sich dann doch die Erkenntnis durch, dass der Wahlmapf für die SPD in der Gerechtigkeitsfrage entschieden wird. Und dass die Menschen nach dieser Krise, die Frage wer die Zeche hierfür zahle, Steuerpolitik als Gerechtigkeitsthema verstanden haben. Ein altmodischer visueller Auftritt und eine regelrechte Kapitulation vor der Kritik der eigenen Onliner und der Piraten im Internet taten ihr übriges. Am Ende hatte jedes Instrument seine eigenen Botschaften. Allein der Kandidat hielt diese Kampagne zusammen. So blieb diesem gar nichts anderes übrig als selbst im TV-Duell die Wende zum Besseren einzuleiten.

Was bleibt? Das wird man sicherlich erst im Lichte der Ergebnisse sehen können. Dennoch zeigt dieser Wahlkampf bereits heute, Verschiebungen sind möglich. Ein engagierter Spitzenkandidat der SPD, der Streit in der Union (CSU versus CDU im Steuerthema), strategisch unzweideutige Nutzung der Stellung der FDP im bürgerlichen Lager, Mobilisierungswahlkampf der Linkspartei. Das alles hat nochmals Bewegung in die über Monate unveränderte Landschaft der Umfragen gebracht. Es zeigt aber auch, dass man die Rolle der werblichen und der Online Kampagnen aber auch bei weitem nicht überbewerten darf. Online dürften einige hunderttausend Wählerstimmen zu gewinnen sein. Das sind vielleicht 1 bis 1,5 Prozent. Das kann zwar wahlentscheidend sein (wenn bspw. die Stimmen der Piratenpartei bei SPD und Grünen fehlen), steht aber gemessen an der Zahl der Wähler einer Volkspartei doch nicht im Zentrum des Wahlkampfes.

Damit sind wir bei der eigenen Branche, den Kampagnenmachern, angelangt. Viele Werber fühlten sich in den letzten Wochen berufen, die Kampagnen alle in Grund und Boden zu kritisieren. Ja, eine strategisch gut angelegte und spannend ausgestaltete Kampagne kann natürlich etwas bewegen. Aber wichtiger bleibt der Umstand, dass die Kampagne sich der zentralen Inhalte annimmt, die die Menschen bewegen und diese stringent aus Sicht der jeweiligen Partei durchdekliniert.

Ein kreativer Erguss

stakeholder-event_rotOho. Das war ja wirklich eine gelungene Idee: Karen, Dänin, blond, attraktiv, im besten Alter trifft Ausländer, Zufallsbekanntschaft, leidenschaftlicher Sex, am nächsten Morgen verschwunden, schwanger, Baby. Weltweiter Suchappell auf YouTube. 900.000 Visits in nur 5 Tagen.

Und nun das: ein Fake. Karen heißt gar nicht Karen, sondern Ditte Arndt Jörgensen und ist Schauspielerin. Mehr noch: Sie ist Teil einer Kampagne. Die Schwangerschaft ist nicht das Ergebnis einer heißen Nacht, sondern eines kreativen Ergusses eines Art Directors. Alles nur, um Dänemarks Image aufzupolieren. Man fragt sich, ob es dessen bedurfte. So schlecht ist der Ruf der Dänen ja trotz einiger politischer Eskapaden nicht. Gut. Man hielt es für nötig: Es sollte Lebensfreude zeigen. Dänemark als freies Land mit selbständigen Frauen positionieren.

Jetzt ist die Aufregung groß in Dänemark. Sind dänische Frauen schnell, zu schnell ins Bett zu kriegen? Ist das ein Gag auf Kosten von Frauen? Oder ist es nur Verschwendung von Steuergeldern? Das schlagende Argument der Kreativisten ist wieder einmal der große mediale Erfolg. Eine Kampagne, über die gesprochen wird, obwohl sie inzwischen gestoppt wurde.

Was bleibt? Ein ramponierter Ruf, eine heftige interne Diskussion und eine beschädigte Tourismus-Agentur Visit Denmark. Freuen werden sich die Schweden. Im Nachbarland war man ja schon immer der Auffassung, dass die Dänen einen Spleen haben.

Auch das noch: Ein unnötiger Kommentar

stakeholder-event_dekoDieser Tage fühlen sich viele berufen, über den Wahlkampf zu reden und ihr mehr oder weniger fachmännisches Urteil zum besten zu geben. Selbst der Autor dieses Blogs lässt sich dabei nicht lumpen. Der ein oder andere findet damit auch in den Medien Gehör. Warum aber heute ein Fachmedium der Kommunikationsbranche einem der skandalträchtigsten PR- und Politikberater aller Zeiten Raum einräumen muss, sich über die SPD-Kampagne zu äußern, bleibt wohl ein Geheimnis der W&V.
Dabei darf es sich Moritz Hunzinger einfach machen: Seine Kritik an der SPD-Kampagne kratzt an der Oberfläche und benennt nur offenkundige Fehler. Aber zu den strategischen Problemen der SPD schweigt er.
Doch was aufregt, ist etwas anderes: Moritz Hunzinger ist nicht irgendwer. Er hat Politiker korrumpiert, und das dann als Beratung verkauft. Über ihn sind Politiker gestürzt. Er hat der gesamten Kommunikationsbranche geschadet und wurde vom DRPR entsprechend gerügt. Von Reue ließ er bis heute nicht verlautbaren.
Es war gut, dass er in der Versenkung verschwunden war. Insbesondere in der Versenkung der politischen Kommunikation. Die W&V hätte ihn auch besser da gelassen.

Ein Duell. Drei Verlierer.

Nach 90 Minuten war man froh, dass es vorbei war. Der Abgesang auf ein TV-Duell. Vier Moderatoren, die sich als Helden zu inszenieren trachteten. Fast ein Viertel der Sendezeit für sich beanspruchten, Kontroversen abwürgten und belanglose Themen aufs Tableau brachten. So verwunderte es nicht, dass das Duell immer dann sehr gut wurde, wenn die Moderatoren schwiegen und die Kandidaten miteinander stritten. Offenbar verfolgten die mitunter schlecht vorbereiteten Moderatoren ihr eigenes Ziel. Sie wollten deutlich machen, dass die Große Koalition weitergeht.
Wie auch immer diese Wahl ausgeht: Bei ARD, ZDF, rtl und SAT.1 sollte man dringend über das Format nachdenken. Im Zweifel lieber Herrn Limbourg alleine moderieren lassen. Er verdiente sich neben Peter Klöppel zumindest noch die Note befriedigend.
Aber nicht nur das TV-Format hat verloren. Auch die Kanzlerin. Sie startete sehr zickig. Korrigierte Besserwisserisch. Sie fiel ins Wort. Sie beantwortete anfangs keine der gestellten Fragen. Später dann gewann sie an Sicherheit, blieb aber floskelhaft. Und die Kernbotschaft fehlte. Das verwundert, denn bis dato fiel die Union und die Kanzlerin dadurch auf, dass sie wie niemand sonst im Wahlkampf konsequent ihre Botschaft durchtrug: Wir haben die Kraft. Das fehlte im TV-Duell als Motiv bei fast allen Ausführungen. Nur einmal gelang es ihr, ein Thema klar zu gewinnen. Als ihr Herausforderer sich in der Gesundheitspolitik darin verhedderte, über Dienstwagen zu reden, statt die Bürgerversicherung zu erläutern.
Man mag nun glauben, dass Steinmeier also am Ende der klare Sieger war. E war argumentativ sicherer. Er hatte seine klaren Kernbotschaften („Stoppt schwarz-gelb“, „Große Koalition hat CDU in die Mitte geholt, alleine kann es die SPD aber besser.“), machte den Wahlkampf zur sozialen Auseinandersetzung und ließ endlich den Deutschlandplan links liegen. In der Außenpolitik und der Steuerpolitik war er offensiv und punktete. Dennoch am Ende könnte auch er als Verlierer den Platz verlassen: Er argumentierte zu kompliziert, zu facettenreich, zu intellektuell. Er vermied mehrfach den direkten Angriff. Damit konnte er zwar den politisch interessierten Wähler überzeugen und den eigenen Anhang begeistern (und tat es offenbar auch, wenn man die vielen Tweets verfolgte). Aber das reicht vermutlich nicht, um unentschlossene, eher weniger versierte Wähler an die Urnen zu treiben. Aber genau das braucht die SPD in der aktuellen Lage.

Von Kreativisten gef…

stakeholder-event_dessertVorgestern noch ganz stolz präsentiert. Heute schon Makulatur. Die Stopp AIDS Kampagne des Vereins Regenbogen. Dessen Website heute konsequenterweise nur noch einen Syntax Error produziert.

Da werden Adolf Hitler, Saddam Hussein und Stalin als korpulierende Männer dargestellt. Die Botschaft „AIDS ist ein Massenmörder“ ziert das Plakat. Man fragt sich, was Regenbogen uns sagen will. Auch Massenmörder sind gute Liebhaber – denn die Frauen begehren sie sichtlich? Der Holocaust ist historisch nicht einmalig – denn es gibt ja auch AIDS? Vor dem Gulag konnte man sich bewahren – Kondome schützen ja auch vor AIDS? Jeder HIV-Positive ist ein kleiner Massenmörder, quasi ein KZ-Wächter?

Regenbogen und die Agentur das comitee präsentieren mal wieder ein Beispiel, was Kreativität als Selbstzweck produziert. Hauptsache auffallen. Botschaft egal. Hauptsache Medienthema werden. Egal ob die Opfer sich verhöhnt und die HIV Positiven diskriminiert und kriminalisiert fühlen. das comitee verrät uns auf der eigenen Webseite auch das Erfolgsrezept („Sie brauchen einen brillanten Art-Director und einen brillanten Werbetexter“). Mehr also nicht: Kein Gespür für Menschen. Kein Verständnis für Gesellschaft. Keine Ahnung, wie man ein relevantes Thema, relevant kommuniziert, sodass es Verhaltensänderungen hervorruft.

Und man kann sie sich schon vorstellen, die brillanten Kreativisten, wie sie feststellen, dass die Kampagne doch irre gewirkt hat, kaum sei soviel über eine AIDS Kampagne berichtet worden. Aber „bad news is definitely not better than no news“. Regenbogen wird es merken. Schon fordert die Deutsche AIDS Hilfe die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Verein Regenbogen. Recht so.

Ruhm und Ehre der Kreativen

stakeholder-event_standing2:16 Minuten Ruhm und Ehre. 136 Sekunden Beweihräucherung der kreativen Scheinwelt. Kreativpreise als Maßstab guter Kommunikationsarbeit. Das versucht uns, die Agentur Jung von Matt in ihrem neuesten Online Spot als ihr Credo nahezulegen. Ein Spot, der für sich selbst spricht. Er schildert die Inszenierung der Branche, das „geile“ Gefühl auf der Bühne zu stehen und einen Award entgegenzunehmen. Er streicht den Ehrgeiz der Agentur heraus, mehr Preise als andere Wettbewerber zu gewinnen. Er zeigt den Stolz der Mitarbeiter, sich mit Awards schmücken zu dürfen.

Ansonsten schweigt der Spot sich aber 126 Sekunden lang aus: Er redet nicht über Kunden. Er erwähnt nicht die kommunikativen Herausforderungen, vor denen die Kunden stehen. Er nennt keine Problemlösungen.

Und so bringt JvM es auf den Punkt: Kreativpreise sind irrelevant für die Probleme der Kunden.

« Vorherige SeiteNächste Seite »

Strategieblog